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Working-Agreements: Mein größter Fehler und wie Scrum Master diesen in Zukunft vermeiden

August 22, 2024

Die Vorteile von Working-Agreements liegen auf der Hand:

  • Sie machen den Arbeitsprozess transparent und ermöglichen dadurch, dass Scrum Teams auch Verbesserungen identifizieren können.
  • Working-Agreements fördern psychologische Sicherheit. Erst wenn jedes Mitglied im Team weiß, was von ihm erwartet wird, wird es sich sicher fühlen. Dann ist es bereit, auch Risiken einzugehen.
  • Neue Mitarbeitende in Scrum Teams zu integrieren ist sehr zeitaufwändig. Working-Agreements verkürzen diese Zeit. Sie halten schriftlich das Miteinander im Team fest und dienen somit als erster Anlaufpunkt für neue Mitglieder im Team.

Gleichzeitig entstehen bei der Nutzung dieses Werkzeugs viele Fehler. Von einem der der schlimmsten, welchen ich jahrelang gemacht habe, berichte ich dir heute.

Er lautet:

„Die Working-Agreements müssen perfekt sein.“

Bei der Bildung eines Scrum Teams ist die Formulierung von Working-Agreements unverzichtbar.

Bei dieser Aussage kannst du mir bestimmt auch zustimmen. Jahrelang bin ich dabei so vorgegangen: Zuerst habe ich die Mitglieder im Team gebeten, Notizen dazu zu erstellen, was ihnen in der Zusammenarbeit wichtig ist. Dann wurden die Notizen im Team vorgestellt, Ähnliches zusammengefasst und Duplikate aussortiert. Am Ende hatten wir eine lange Liste von Regeln, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollten. Es fehlte nur ein letzter Schritt:

Die Abstimmung.

Aber diese war immer problematisch.

Ich habe es nie erlebt, dass alle im Team den neuen Regeln zustimmen konnten. Dann wurde die Regel nochmal diskutiert, angepasst und neu abgestimmt. Mit dem Ergebnis, dass andere Mitglieder im Team nicht mehr zustimmen konnten. Und das Spiel begann von vorne. Bei jeder neuen Diskussion stieg innerlich der Druck auf mich, da mir langsam die Zeit im Nacken saß. Die Session war nur auf 90 Minuten angesetzt. Das Ergebnis sollten gemeinsame Working-Agreements sein. Ich befürchtete jedoch, dass wir uns davon eher entfernten.

Meine Angst war berechtigt.

Nicht wenige dieser Workshops endeten mit Alibi-Working-Agreements. Die Mitglieder im Team stimmten den Regeln nur zu, weil die Zeit des Termins zu Ende war. Sie wollten den Termin nicht ohne Ergebnis verlassen. Dies ging wahrscheinlich einige Jahre so.

Dann erkannte ich endlich meinen Fehler.

Es ist nicht wichtig, alle möglichen nützlichen Regeln der Zusammenarbeit zu finden. Es geht um die wenigen, die wirklich unverzichtbar sind.

Diese Erkenntnis veränderte, wie ich seither über Working-Agreements denke. Du wirst dich wundern, aber die wirklich unverzichtbaren Regeln sind oft nur eine Handvoll. Etwa: „Wir verlassen den Code in einem besseren Zustand, als wir ihn vorgefunden haben.“ Oder: „Wer krank ist, schreibt bis vor dem Daily Scrum in die WhatsApp-Gruppe, dass er heute nicht kommt.“

Diese wenigen, aber unverzichtbaren Regeln unterstützen das Team in der Zusammenarbeit. Zusätzlich hatte ich nun etwas, worauf ich mich im Coaching als Scrum Master beziehen konnte. Und ich hatte bereits ein Thema für die nächste Sprint-Retrospektive.

Eine Frage bleibt noch:

Wie lassen sich die unverzichtbaren Regeln für Working-Agreements finden?

Ich habe viel ausprobiert und die beste Möglichkeit, die ich gefunden habe, sieht so aus.

Hier meine Anleitung:

  1. Stelle dem Team den Zweck von Working-Agreements vor, indem du eine Frage an das Team richtest: „Welche Regeln helfen uns, als Team erfolgreich zu sein?“
  2. Jetzt bittest du jedes Teammitglied, für sich Regeln, Gebote und Vorschläge aufzuschreiben. Diese sollten sich in der Vergangenheit bereits bewährt haben.
  3. Nun gilt es, die gefundenen Punkte in eine gemeinsame Liste zu überführen. Punkte können zusammengefasst werden, Duplikate gelöscht und fehlende Punkte ergänzt werden. Ziel sollte es sein, eine möglichst vollständige Liste zu erstellen.
  4. Aus dieser Liste wollen wir nun die unverzichtbaren Regeln herausfiltern. Dies geschieht am besten, indem wir die verzichtbaren Punkte löschen. Dazu führen wir ein Roman Voting durch mit der Frage: „Stimmst du diesem Working-Agreement zu? Dann Daumen nach oben. Kannst du ihm nicht zustimmen, dann Daumen nach unten.“ Wichtig: Die Working-Agreements werden nur dann angenommen, wenn alle Daumen nach oben zeigen. Es handelt sich also um eine Konsensentscheidung.
  5. Wenn ein Teammitglied einer Regel nicht zustimmen kann, soll es diese Regel nennen. Im Anschluss löschst du den Punkt aus der Liste und bittest um eine weitere Abstimmung.
  6. Die Liste der Working-Agreements wird so lange reduziert und es wird immer wieder neu abgestimmt, bis nur noch die Regeln auf der Liste übrig sind, welchen jeder zustimmen kann. Das sind die unverzichtbaren Regeln für dein Working-Agreement.

 

Nachdem du das Vorgehen kennst, gibt es noch etwas zu beachten?

3 Tipps, die du bei diesem Vorgehen unbedingt beachten solltest:

  • Gruppengröße: Im Idealfall sollten Teams nicht größer als 10 Personen sein. Bei mehr als 10 Personen können sich Schritt 2 und 3 zu Zeitfressern entwickeln. Hier würde ich dann zusätzlich ein 1-2-4-All nutzen, um mehr parallele Zusammenarbeit zu ermöglichen.
  • Gemeinsamer Zweck: Der Zweck der Working-Agreements ist wichtig. „Welche Regeln helfen uns, als Team erfolgreich zu sein?“ Diese Frage ist sehr allgemein gewählt. Was bedeutet etwa „erfolgreich sein“? Möchtest du, dass die Mitglieder des Teams motiviert sind, würde ich den Zweck viel spezifischer und passender für euer Team wählen.
  • Entscheidungsregel: Kommuniziere die Entscheidungsregel noch vor der Abstimmung. Für Working-Agreements bietet sich aus meiner Sicht eine Konsensentscheidung an.

Wenn ich mein Vorgehen unerfahreneren Scrum Mastern erkläre, dann stellen sie mir immer die Frage:

„Ist ein Working-Agreement, welches nur eine Handvoll Regeln enthält, wirklich nützlich?“

Ich beantworte die Frage gerne mit einer provokativen Gegenfrage:

„Ist ein iterativer und inkrementeller Ansatz in der Entwicklung von Produkten wirklich nützlich? Wäre es nicht sinnvoller, das Produkt erst auszuliefern, wenn es perfekt ist?“

Wahrscheinlich hast du bereits erkannt, worauf meine Gegenfrage abzielt.

Als Scrum Master glauben wir weder daran, dass wir die Zukunft vorhersagen können, noch, dass unser Team mit Überlegen und Analysieren die Antwort auf alle Fragen finden kann. Wir glauben daran, dass wir, wenn wir den Mut haben, etwas auszuprobieren, dann die Rückmeldung der Nutzer einholen und uns anschließend anpassen, am Ende eine bessere Erfahrung für unsere Kunden liefern werden.

Gleiches gilt für Working-Agreements:

  1. Wir einigen uns auf einige unverzichtbare Regeln.
  2. Wir probieren, diesen für einen Sprint zu folgen.
  3. In der Sprint-Retrospektive diskutieren wir, welche Regeln hilfreich waren, welche Regeln vielleicht noch gefehlt haben.
  4. Zum Schluss fügen wir diese Regeln zum Working-Agreement hinzu und probieren diese für einen weiteren Sprint aus.

Und dabei sollten wir nicht vergessen: 

Scrum ist weniger ein Prozess als eine Verhaltensweise. 

Dieses Verhalten sollten wir als Scrum Master auch leben, wenn es um die Erstellung von Working-Agreements geht. Und die Erstellung von Working-Agreements ist nur eine der Aufgaben eines Scrum Masters. Weitere sind etwa die Moderation von Sprint-Retrospektiven und der Versuch, Einigung unter Stakeholdern herzustellen. Wenn du dabei Unterstützung suchst, dann wirf einen Blick auf das „Professional Scrum Facilitation Skills“-Training. Marc Kaufmann und ich teilen dort einen Tag lang alle Tipps und Methoden mit dir, welche wir seit vielen Jahren als Scrum Master nutzen.

Bis dahin: Scrum on!


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