Womit verbringt ein Scrum Master seinen Arbeitstag?
Diese Frage stellte ich bereits unterschiedlichsten Scrum Mastern. Die Antwort ist immer dieselbe: Entweder moderieren sie Meetings oder beheben eine Katastrophe nach der anderen.
Und natürlich sollte ein Feuer schnellstmöglich gelöscht werden, wenn es brennt. Und da weder Produktionsausfälle noch verpasste Deadlines oder Probleme in der Qualität allein gelöst werden können, verbringen Scrum Master viel Zeit in Status-, Jourfixe- oder Krisensitzungen.
Die Folgen des ewigen „Firefighting“ werden dabei oft übersehen.
Ich möchte nicht einmal den Stress ansprechen, der entsteht, wenn wir von einem Krisenmeeting zum nächsten hetzen. Stattdessen führe ich nur die Folgen für das Scrum Team auf. Liegt der Fokus der Arbeit auf reinem Krisenmanagement, wird dadurch die Fähigkeit deines Teams geschwächt, sich selbst zu organisieren und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dies führt zu einer reaktiven Teamkultur, anstatt zu einer, die durch Produktivität und Innovation ansteckt.
Also, bevor du das nächste Mal in den Problemlösungsmodus schaltest, tritt bitte einen Schritt zurück und frage dich:
- Wer hat entschieden, dass es ein Problem ist?
- Wer profitiert davon, dass dieses Problem gelöst wird?
- Was bleibt auf der Strecke, wenn ich meine Zeit in die Lösung dieses Problems investiere?
Was unweigerlich die Frage aufwirft:
Was ist eigentlich ein Problem?
Ein Problem ist eine Frage, die nach einer Antwort oder einer Lösung sucht.
Spätestens jetzt sollte es dir dämmern:
Probleme sind nicht einfach da – du wählst sie aktiv aus.
In diesem Artikel werde ich dir drei Kriterien vorstellen, die dir helfen, in Zukunft die richtigen Probleme zu wählen.
Scrum-Guide-Check: Fokussierung auf empirisches Arbeiten
Das erste Kriterium nenne ich den Scrum-Guide-Check.
Ich habe ihn in den letzten Jahren bei jedem neuen Team angewandt, mit dem ich gearbeitet habe. Er funktioniert so:
- Ich begleite das Team einige Zeit als stiller Beobachter.
- Dann nehme ich den Scrum Guide zur Hand und schreibe mir alle Elemente des Scrum Rahmenwerks in mein Notizbuch.
- Nun gehe ich jedes Element Schritt für Schritt durch und stelle mir die Frage, ob es im Team existiert.
Wenn ein Element des Rahmenwerks im Team nicht vorhanden ist, dann haben wir ein Problem identifiziert. Lösen wir es, dann profitiert das Scrum Team und insbesondere das Unternehmen.
Existiert etwa das Inkrement am Ende eines Sprints nicht, dann ist empirisches Arbeiten nicht möglich. Eine der drei Säulen des empirischen Arbeitens ist gestört. Im Falle des fehlenden Inkrements wäre es die Transparenz. Und es gibt einen Grund, warum diese drei Säulen das Herzstück von Scrum sind:
Ohne Inkrement ist das finanzielle Risiko nicht kontrollierbar.
Somit lautet das erste Kriterium:
Löse Probleme, um Scrum zu ermöglichen.
Eisenhower-Matrix: Unterscheidung zwischen Dringendem und Wichtigem
Warnung: Verfalle nicht dem Dringlichkeitseffekt!
Dass dieser Effekt existiert, ist bewiesen. Menschen neigen dazu, sich eher auf dringliche Aufgaben zu konzentrieren als auf wichtige. Ein Forscherteam unter der Leitung von Zhu, Yang und Hsee hat dies 2018 nachgewiesen.
Ihr Experiment war interessant. Sie stellten Versuchspersonen vor die Wahl: Es gab Aufgaben mit und ohne Belohnung. Verblüffenderweise wurden die Aufgaben mit geringer erwarteter Belohnung bevorzugt, wenn diese Aufgaben zusätzlich als dringend eingestuft wurden.
Eine Methode zur Priorisierung, wie die Eisenhower-Matrix, hilft dir, diesem Effekt vorzubeugen. Es ist nicht überraschend, dass dieses Modell nach Dwight D. Eisenhower benannt ist. Wir sollten bedenken, welche Aufgaben er priorisierte. Er diente als Fünf-Sterne-General und Oberbefehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Später wurde er US-Präsident.
Um diese Matrix anzuwenden, frage dich:
Wie wichtig ist dieses Problem? Wie schlimm wären die Auswirkungen, wenn es nicht angegangen würde? Wie dringend ist das Problem? Mit anderen Worten: Wie dringend ist es, dass das Problem gelöst wird? Wird eine baldige Lösung des Problems eine weitere Ausbreitung der Folgen verhindern? Oder handelt es sich einfach um ein Problem von geringer Bedeutung, das um deine Aufmerksamkeit buhlt?
Somit lautet das zweite Kriterium:
Löse Probleme, die wichtig sind.
Jeff-Bezos-Check: Fokussierung auf Beständiges
„Was wird sich in den nächsten zehn Jahren ändern?“
Diese Frage wird dem Gründer von Amazon häufig gestellt. Was er hingegen weniger häufig gefragt wird, ist:
„Was wird sich in den nächsten zehn Jahren nicht ändern?“
Seiner Ansicht nach ist dies jedoch die wichtigere der beiden Fragen. Dinge, die sich nie ändern, sind wichtig, weil man sich darauf verlassen kann, wie sie die Zukunft gestalten werden. Laut Bezos ist es unmöglich, sich eine Zukunft vorzustellen, in der Amazon-Kunden keine niedrigen Preise wünschen. Sie wollen auch keinen schnellen Versand missen. Daher kann er enorme Investitionen in diese Bereiche tätigen.
Diese Denkweise sollten wir uns auch als Scrum Master zu eigen machen und auf unseren Arbeitsalltag anwenden.
Warum setzen Unternehmen auf Scrum? Sie wollen Produkte unter unsicheren und sich ständig ändernden Bedingungen risikoarm entwickeln.
Was wird sich dabei auch in zehn Jahren nicht ändern?
- Es sind zufriedene Kunden nötig. Produkte sind eine Möglichkeit für Unternehmen, Umsatz zu generieren. Dieser Umsatz entsteht, wenn die Kunden mit der Nutzung des Produkts ihre eigenen Ziele erreichen und deshalb zufrieden sind.
- Es ist Teamarbeit nötig. Eine einzelne Person kann kein wirklich komplexes Produkt entwickeln und warten. Wissensarbeit im Team bleibt wichtig. Sie wird auf lange Sicht nicht durch Maschinen ersetzt.
- Es ist Transparenz nötig. Mit der Investition in die Produktentwicklung gehen Manager eine Wette ein. Deshalb sind sie auf Rückmeldungen angewiesen, ob ihr Geld gut platziert war. Sind die Kunden begeistert? Sind die Mitarbeiter motiviert? Wie schnell erhalten die Kunden Neuerungen? Rechtfertigt das Ergebnis die Kosten?
Über die Jahre hat sich die Vorgehensweise bei der Entwicklung von Produkten gewandelt. Was früher Wasserfall war, ist heute Scrum. Und was es in Zukunft sein wird, weiß niemand! Allerdings kann ich mir kein Unternehmen vorstellen, das nicht auf zufriedene Kunden, Teamarbeit und Transparenz angewiesen ist.
Somit lautet das dritte Kriterium:
Löse Probleme, die Bestand haben.
Entscheidungskriterium: Womit solltest du deine Zeit als Scrum Master verbringen?
Bevor du dich das nächste Mal in eine Krisensituation hineinziehen lässt, halte inne und stelle dir diese Frage:
Wähle ich ein Problem,
- dessen Lösung Scrum ermöglicht,
- Das wichtig ist und
- Bestand hat?
Denn: Deine Zeit ist die wertvollste Ressource, die du zur Verfügung hast.
Wenn du sie einmal investiert hast, bekommst du sie nicht mehr zurück. Deshalb sollte sich deine Investition langfristig für das Unternehmen auszahlen und nicht nur kurzfristig einen kleinen Brand löschen.
Bedenke: Was heute wie eine Krise wirken mag, kann langfristig für ein selbstorganisiertes und interdisziplinäres Team eine Routineaufgabe darstellen.