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Unterschiedliche Lerntypen – warum dieser Mythos deine Schulungen ruiniert und wie du lehrreiche Trainings gestaltest (wissenschaftlich belegt)

September 5, 2024

Im Jahr 2014 haben K. Dandy und K. Bendersky eine Umfrage unter Professoren und Studenten in den USA durchgeführt. Dabei stimmten 64 Prozent der Professioren und 88 % der Studenten zu, dass das Lernen verbessert wird, wenn der Unterricht auf die Lernstile der Schüler abgestimmt ist.

In meiner „Train-the-Trainer“-Arbeit und im Gespräch mit Teilnehmern meiner Trainings zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Viele sind der Ansicht, dass jede Person einen individuellen Lernstil habe. Einige lernen besser visuell, andere eher auditiv und wieder andere eher haptisch. Insgesamt glauben die meisten, dass es unterschiedliche Lerntypen gebe. Was einleuchtet, da wir Menschen doch auch unterschiedliche Vorlieben und Neigungen haben. Warum sollte das beim Lernen anders sein?

Allerdings gibt es für diese Ansicht keinerlei empirische Nachweise.

Ganz im Gegenteil:

Im Jahr 2008 versuchte eine Gruppe von Forschern um den Psychologen Hal Pashler eine Übersicht über die empirischen Belege für unterschiedliche Lernstile zu verfassen. Zu ihrem Erstaunen fanden sie fast keine Experimente, die die These von unterschiedlichen Lernstilen stützten. Mehr noch: Sie fanden nicht nur fast keine Experimente zu dieser These, sondern so gut wie keine Experimente oder Studien zu diesem Thema insgesamt. Nachdem sie diese eklatante Lücke in der Forschung entdeckten, formulierten sie deshalb Kriterien, wie Experimente zu unterschiedlichen Lernstilen aussehen müssten.

Was zu einer Flut von Veröffentlichungen durch andere Forscher führte.

Ich möchte dich jetzt nicht mit wissenschaftlichen Details langweilen. Aber überfliege bitte kurz die Titel dieser Arbeiten:

  • Im Jahr 2009 veröffentlichte G. R. Norman das Paper: „When will learning style go out of style?“
  • Im Jahr 2010 erschien: „The myth of learning styles“, verfasst von C. Riener und D. T. Willingham.
  • Im Jahr 2017 veröffentlichten D. An und M. Carr ihre Arbeit: „Learning styles theory fails to explain learning and achievement: Recommendations for alternative approaches“.

Ich denke, du wirst mir zustimmen, dass die Theorie von unterschiedlichen Lernstilen wissenschaftlich haltlos ist. Wir können also getrost diesen Schluss folgern:

Dass es unterschiedliche Lerntypen gibt, ist ein Mythos.

Schön auf den Punkt bringen es die Psychologen A. M. Brown und A. N. Kaminske, indem sie in ihrem Buch „Five Teaching and Learning Myths – Debunked: A Guide for Teachers“ schreiben:

„Fakt ist: Obwohl wir uns alle in vielerlei Hinsicht unterscheiden – unsere Vorlieben, Abneigungen, Motivation, frühere Erfahrungen, unser Entwicklungsumfeld, unser Spektrum an Fähigkeiten usw. –, lernen wir alle auf grundsätzlich ähnliche Weise.“

Wenn du als Trainer so wie ich im Jahr über 20 Schulungen durchführst, stellst du dir wahrscheinlich auch die Frage: Wenn es keine Lerntypen gibt, wie soll ich dann Trainings, Schulungen und Workshops gestalten, damit die Teilnehmer bestmöglich lernen? Visuelle Lerner profitieren beim Lernen von Grafiken, sollte ich die jetzt entfernen oder mehr Bilder einfügen? Wie kann ich den Inhalt so präsentieren, dass er jeden anspricht?

Die Antwort finden wir in der Multimedialen Lerntheorie

Ein erster Hinweis auf eine Antwort liefert uns ein Experiment des Forscherteams um den Mediziner Nabil Issa.

Sein Team legte einer Gruppe von Medizinstudenten herkömmliche Folien mit vielen Aufzählungspunkten vor. Gleichzeitig legten sie einer anderen Gruppe von Studenten die gleichen Folien vor, nur diesmal waren die Schlüsselwörter durch Bilder ersetzt und die Bilder wurden verbal erklärt. Begriffe und Definitionen wurden auf diesen Folien nicht gezeigt.

Das Ergebnis wird dich vielleicht (nicht) überraschen:

Die Gruppe, die nur Bilder der Schlüsselwörter samt der verbalen Erläuterung erhalten hatte, schloss im anschließenden Wissenstest besser ab. Prägnant ausgedrückt: Wenn es ums Lernen geht, dann übertreffen Bilder die Nutzung von Wörtern.

Mittlerweile ist dieses Phänomen als die multimediale Lerntheorie des Schulpsychologen Richard Mayer bekannt.

Die Grundidee hiervon ist ganz einfach: Ein Bild mit einer begleitenden verbalen Erklärung kann beim Lernen helfen, ein Konzept viel schneller zu erfassen als ein Bild oder eine verbale Erklärung allein. Dies liegt daran, dass das Arbeitsgedächtnis in der Regel sowohl eine hörende als auch eine sehende Komponente hat. Daher der Name der Theorie: multimediale Lerntheorie. Die gleichzeitige Verwendung von visuellen und auditiven Eindrücken ermöglicht es den Teilnehmern in Trainings und Schulungen, ihr begrenztes Arbeitsgedächtnis besser zu nutzen.

Halten wir also fest, wie du deine Schulung ganz einfach verbessern kannst:

Tipp: Nutze unbedingt Bilder auf deinen Folien

Nutzt du in deiner Schulung Folien, um die Inhalte zu präsentieren?

Dann ergänze die Folien mit Bildern und erkläre die wichtigen Konzepte unbedingt in eigenen Worten. Dies wird dazu beitragen, dass die Zuhörer in deinen Seminaren oder Vorträgen mehr verstehen.

Hierbei gibt es allerdings etwas zu beachten:

Wenn du die Folien im Eiltempo durchnimmst, gibst du den Lernern keine Zeit zum „Lernen“. Sie können die visuellen und verbalen Informationen nicht verarbeiten. Du zwingst die Teilnehmer möglicherweise unbeabsichtigt zum Multitasking.

Forschungen zu Multitasking zeigen: Multitasking führt dazu, dass …

  • … Lerner mehr Fehler machen,
  • … Lernen mehr Zeit beansprucht und
  • … Lerner weniger Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überführen können.

Eigentlich gleicht Multitasking eher einem Wechsel der Aufmerksamkeit. Und schnelles Umschalten der Aufmerksamkeit führt zu verminderter Aufmerksamkeit und schlechter kognitiver Leistung.

Deshalb noch ein weiterer Rat:

Tipp: Pausiere regelmäßig und gib Zeit zum „Lernen“

Nutzt du in deiner Präsentation viele Bilder, um die wichtigen Konzepte zu visualisieren, und erklärst du die Konzepte in eigenen Worten?

Dann mache in regelmäßigen Abständen eine kurze Pause. Diese Pausen ermöglichen den Teilnehmern deiner Schulung, sich Notizen zu machen und die Inhalte zu reflektieren. Hier ein Beispiel aus meinen „Professional Agile Leadership“-Schulungen. Nachdem ich das Agile Manifest für Softwareentwicklung vorgestellt habe, halte ich inne und richte das Wort an die Teilnehmer der Schulung mit der Frage:

„Welche Auswirkungen hat das Manifest auf das Management?“

Dann gebe ich jedem Teilnehmer etwas Zeit, darüber nachzudenken, bevor wir gemeinsam weitermachen. Einige Minuten später im Training bitte ich dann die Teilnehmer, ihr Notizbuch in die Hand zu nehmen und folgende Frage schriftlich zu beantworten:

„Warum möchte dein Unternehmen agiler werden?“

Aus meiner Erfahrung reichen nur ein oder zwei Minuten stiller Reflexion oder die Zeit, sich eigene Notizen zu machen, aus, damit die Teilnehmer nicht zum Multitasking gezwungen sind.

Was bedeutet dies für uns als Trainer?

Wie du siehst, kursieren immer noch viele Mythen darüber, wie Menschen lernen. Zum Beispiel, dass es unterschiedliche Lerntypen gibt. Als Trainer können wir auch viele Fehler machen, die dazu führen, dass die Lerner am Lernen gehindert werden. Zum Beispiel, wenn wir den Teilnehmern nicht ausreichend Zeit geben, sich Notizen zu machen oder zu reflektieren.

Damit wir Trainer in diesem Dschungel von Mythen und Fehlern unseren Weg finden, hat Sharon Bowman die aktuelle Forschung zusammengetragen und daraus hilfreiche Prinzipien verfasst.

Sie sind bekannt als:

Die 6 Trümpfe gehirngerechten Lernens

Hier die 6 Trümpfe in der Übersicht:

  • „Bewegung übertrifft Sitzen“: Langes Sitzen macht uns müde. Das Überleben der Menschheit haben wir bisher durch Bewegung gesichert: Laufen, Jagen, Fliehen und uns an neue Umstände anpassen. Bewegung verbessert also unsere Denk- und Merkfähigkeit. Deshalb sollten wir auch Bewegung im Training fördern.
  • „Sprechen übertrifft Zuhören“: Menschen sind eine soziale Spezies. Wir sind Meister in der Zusammenarbeit. Diese entsteht mehr durch Reden und weniger durch passives Zuhören. Ferner festigt Sprechen soziale Bindungen, ermöglicht Feedback und Meta-Lernen, also das Lernen über das Lernen.
  • „Bilder übertreffen Worte“: Was geht in deinem Gehirn vor, wenn du die Worte „Mickey Mouse“, „Ozeanwelle“, „erste Liebe“ hörst? Hast du das geschriebene Wort oder ein Bild vor Augen? Die Kapazität unseres Gehirns, Bilder zu speichern, ist fast unbegrenzt. Ferner rufen Bilder Emotionen hervor. Emotionen helfen uns, Informationen vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis zu überführen.
  • „Schreiben übertrifft Lesen“: Wie merkst du dir die Sachen, die du im Supermarkt kaufen sollst? Du schreibst sie auf. Schreiben erfordert Aufmerksamkeit. Es ist fast unmöglich, während des Schreibens etwas anderes zu machen. Ferner aktiviert Schreiben andere Regionen im Gehirn als Zuhören.
  • „Kürze übertrifft Länge“: Um wirklich zu lernen, brauchen wir Pausen. Und zwar häufiger, als wir denken. Dann und nur dann kann die Information vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Darüber hinaus helfen Pausen, involviert und aktiv zu bleiben.
  • „Unterschiedlich übertrifft Gleich“: Die Aufgabe unseres Gehirns ist es, Energie einzusparen. Wir müssen es überlisten, sich nicht abzuschalten. Historisch gesehen geschieht das am besten, wenn es Änderungen im Umfeld gibt. Es könnte ja Gefahr drohen. Unser Gehirn reagiert auf Neues, Ungewohntes, Sinnhaftigkeit und Emotionen. Können wir uns als Trainer diesen Umstand zunutze machen, halten wir den Schlüssel für langfristiges Lernen in unseren Händen.

Seitdem ich im Jahr 2020 ein „Training from the Back of the Room“ besucht habe, gestalte ich all meine Workshops, Seminare und Schulungen nach diesen Prinzipien. Da inzwischen so gut wie jede Bewertung meiner Trainings das Wort „interaktiv“ enthält, kann ich mir keine Trainings ohne die Berücksichtigung dieser Prinzipien vorstellen. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du dir hier selbst ein Bild machen.

Zum Abschluss:

Menschen neigen dazu, auf die gleiche Weise zu lernen.

Das ist wissenschaftlich erwiesen.

Es gibt zwar einige individuelle Unterschiede, aber die grundlegenden Prozesse sind bei allen Menschen gleich. Es gibt keine reinen „visuellen“ oder „auditiven“ Lerner. Damit wir bestmöglich lernen, müssen alle Sinne angesprochen werden.

Selbst für erfahrene Trainer kann dies zur Herausforderung werden. Wie kann in so wenig Zeit wie in einer Schulung wirklich jeder Inhalt mit allen Sinnen begreifbar gemacht werden?

Die Antwort auf diese Frage gibt es im „Training from the Back of the Room“-Training.


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