Skip to main content

Scrum Master als Karriereeinstieg – Steht die Agile-Coaching-Branche vor dem Aus?

April 3, 2023

Hast du dich jemals gefragt, welche Auswirkungen Stellenanzeigen für „Junior-Scrum-Master“ auf unsere Branche haben?

In diesen Stellenanzeigen ist praktisch alles optional: Praktische Erfahrung in der Softwareentwicklung, Moderation, Coaching oder Know-how in agilen Skalierungsmodellen oder der Organisationsentwicklung sowie eine einschlägige Zertifizierung – alles ist optional!

Das Einzige, was nicht optional ist: ein abgeschlossenes Studium.

Ich kenne nicht jeden Studiengang in Deutschland, aber mein Mathematik- und Wirtschaftsinformatikstudium hat mich nicht unmittelbar auf die Arbeit eines Scrum Masters vorbereitet. Bitte versteh mich nicht falsch, ich mache Absolventen, die eine Karriere als Scrum Master anstreben, keinen Vorwurf. Ich denke, es ist eine lohnende Karriereentscheidung. Agiles Coaching vereint Produkt- und Teamentwicklung – eine sehr spannende Kombination.

Wem ich jedoch einen Vorwurf mache, sind Recruiter oder HR-Mitarbeiter, die Absolventen in Unternehmen locken. Und ohne weitere Ausbildung in einem Scrum Team als Scrum Master einsetzen. Ohne zusätzliche Unterstützung ist es für einen Absolventen unmöglich, seiner Verantwortung als Scrum Master in einem Unternehmen gerecht zu werden. Es ist dann nicht weiter verwunderlich, dass Führungskräfte den Wert eines Scrum Masters im Team hinterfragen.

Ein Scrum Master nimmt eine verantwortungsvolle Position im Unternehmen ein:

Scrum Master übernehmen Verantwortung für Effektivitätssteigerungen mit allen Konsequenzen.

„YouTube erlaubt es dir nicht, deine Inhalte zu monetarisieren, bevor du nicht 4 000 Watch Hours erreicht hast.“

Ich halte diese Regelung auch für Scrum Master sinnvoll – nicht um ihre Arbeit abzuwerten, sondern um sie zu schützen. Am Ende des Tages ist die Rechnung für Mitarbeiter in Unternehmen einfach: Mitarbeiter kosten Geld. Damit das Unternehmen über Wasser gehalten wird und die Aktionäre glücklich sind, müssen Mitarbeiter Geld erwirtschaften. Jeder Mitarbeiter muss unter dem Strich mehr Geld einbringen als er kostet.

Wenn ein angehender Scrum Master 45.000 EUR im Jahr verdient, sollte er wahrscheinlich 90.000 bis 135.000 EUR einbringen, damit es sich langfristig für das Unternehmen rentiert. Ein Faktor von 2 bis 3 ist typisch in Konzernen. Allerdings ist es nicht einfach, bis zu 135.000 EUR mit Effektivitätssteigerungen oder durch Prozessoptimierung einzusparen, insbesondere, wenn man neu in der Berufswelt ist. Ich habe die ersten Jahre meiner Karriere hauptsächlich als Entwickler gearbeitet und erst später als Scrum Master. Wenn ich diese beiden Erfahrungen vergleiche, komme ich zu dem Schluss:

Am Anfang der Karriere ist es wahrscheinlich schwieriger, Geld mit Veränderungsarbeit am Unternehmen zu verdienen als mit dem Schreiben von Code.

Angehende Scrum Master sollten davor geschützt werden, damit sie in einer Krise nicht die ersten sind, die gehen müssen, wenn sie den Erwartungen des Unternehmens nicht gerecht werden.

Scrum Master tragen auch finanzielle Verantwortung.

Die finanzielle Verantwortung wird in Scrum Teams oft dem Product Owner zugesprochen, jedoch ist das zu vorschnell gedacht.

Betrachten wir die Kosten eines Sprints. Um die Rechnung zu vereinfachen, nehmen wir mal an, ein Scrum Master betreut nur ein Team. Ein Mitarbeiter kostet ein Unternehmen etwa 500 EUR am Tag. Wir haben zehn Personen im Team und der Sprint dauert zehn Arbeitstage. Das bedeutet, dass ein Sprint das Unternehmen 50.000 EUR kostet. Jetzt kennen wir die Kosten eines Sprints. Was soll mit dem Geld erreicht werden? Der Zweck eines Sprints besteht darin, den Stakeholdern und Kunden etwas Wertvolles zu liefern, indem das Produkt seinen Wert und Nutzen steigert.

Nun betrachten wir zwei Situationen:

Situation 1: Das Team kommt im Sprint Planning zusammen und einigt sich auf ein Ziel, bei dem es viele unterschiedliche Funktionen so vereinen kann, dass für den Nutzer eine neue Möglichkeit geschaffen wird.

Situation 2: Das Team kommt im Sprint Planning zusammen und nach stundenlangen Diskussionen können die Teammitglieder sich nicht auf ein gemeinsames Ziel einigen. Stattdessen verfolgt eine kleine Gruppe von Entwicklern die Umsetzung eines kleinen Features, bei welcher nicht jeder gebraucht wird. Eine andere Gruppe löst einige der Bugs, die sich weit unten im Product Backlog befinden. Und Jenny, die Designerin, überlegt sich neue Design-Richtlinien, die für das ganze Unternehmen gelten sollen.

In welcher Situation wurden die 50.000 EUR gewinnbringend investiert?

Wahrscheinlich in der ersten Situation. Situation 2 beschreibt allerdings ein Szenario, das wir häufig in Unternehmen wiederfinden. Es wird viel Geld in Meetings investiert, aber die Meetings führen zu keinen Ergebnissen. Als Resultat müssen weitere Abstimmungen und Meetings abgehalten werden, was zu noch mehr Kosten führt. Damit so etwas in Scrum Teams nicht zur Regel wird, gibt es einen Scrum Master im Scrum Team. Er hilft dem Scrum Team, effektiv zu arbeiten und Verschwendungen zu vermeiden. Effektivität bedeutet in der Situation des Sprint Plannings: innerhalb der vorgegebenen Zeit das Sprint-Ziel erreichen, an dem jeder im Team arbeitet.

Dadurch übernimmt ein Scrum Master auch finanzielle Verantwortung im Team.

Scrum Master ist eine Führungsposition.

Stell dir vor:

Die Entwickler und der Product Owner treffen sich zweimal am Tag, einmal morgens und einmal vor Feierabend. Es dauert niemals länger als 20 Minuten und ab und zu hat abends der ein oder andere bereits ein Bier in der Hand. Sie stehen vor einer Glaswand und verschieben Klebezettel. An einigen Zetteln hängen Bananen, von denen eine schon nicht mehr appetitlich aussieht.

Was wären wohl die Auswirkungen auf das Team und das Unternehmen, wenn die HR-Abteilung diesem Team einen Junior-Scrum-Master zur Seite stellen würde? Einen Scrum Master, der dem Team erklärt, dass laut dem Scrum Guide das Daily Scrum nur einmal am Tag für maximal 15 Minuten stattfinden darf, und der im Internet gelesen hat, dass die Entwickler im Stand-up dem Scrum Master berichten müssen, woran sie gestern gearbeitet haben? Einen Scrum Master, der das Team darauf hinweist, dass Essen und Getränke im Teamraum nichts verloren haben, und deshalb die Bananen in den Müll schmeißt?

Ein unerfahrener Scrum Master würde die Regeln befolgen und versuchen, sie anderen beizubringen. Erfahrene Scrum Teams haben diese Phase hinter sich und haben ihre eigenen Prinzipien entwickelt. Diese Prinzipien haben sich in der Vergangenheit bewährt und weisen ihnen den Weg in der Produktentwicklung. Du stimmst mir sicherlich zu, dass es fatale Folgen haben kann, wenn ein erfahrenes Scrum Team auf einen unerfahrenen Scrum Master trifft. Im besten Fall bringen die Entwickler ihn auf den richtigen Weg und im schlimmsten Fall schränkt der Scrum Master die Selbstorganisation der Entwickler mit seinem Verhalten ein.

Man könnte argumentieren, dass ein unerfahrener Scrum Master gut mit einem unerfahrenen Scrum Team harmonieren würde. Aber auch das ist sehr fragwürdig.

Scrum Master sind echte Führungspersonen.

Sie führen das Scrum Team, indem sie ihm ein Vorbild sind und ihm die Grundlage schaffen, jeden Tag einen kleinen Schritt besser zu werden. Wenn wir uns ansehen, wie die Rolle des Scrum Masters entstanden ist, sehen wir, dass ein Scrum Master in einem heutigen Unternehmen wohl am ehesten mit einer Teamleiterposition zu vergleichen ist. (Wenn du mehr über die spannende Geschichte des Scrum Masters lesen möchtest, dann empfehle ich dir Jan Fischbachs Artikel. Aber Achtung, das ist ein Fass ohne Boden. Wenn du einen von Jans Beiträgen gelesen hast, willst du alle lesen.)

Wenn die Führungsposition, die ein Scrum Master innehaben sollte, mit einer Teamleiterstelle zu vergleichen ist, welches Unternehmen würde einem Absolventen gleich zu Karrierebeginn eine Teamleiter-ähnliche Verantwortung übertragen?

Scrum Master haben Scrum gemeistert.

Warum wird der Scrum Master als Scrum Master bezeichnet?

Die Antwort liegt auf der Hand. Ein Scrum Master hat Scrum gemeistert. Für mich bedeutet „etwas zu meistern“, dass man es lange gemacht hat. Wenn man sich angestrengt hat, um etwas lange genug zu trainieren, sich ins Zeug gelegt hat, um es tiefgründig zu verstehen, und es blind wiederholen kann, dann hat man es gemeistert.

Wenn etwas ein Teil von einem geworden ist, hat man es gemeistert.

Nehmen wir etwa Basketball. Ich habe mit 12 Jahren angefangen. Ab meinem 16. Lebensjahr habe ich täglich mindestens zwei Stunden trainiert. Später habe ich in der Jugendleistungsliga, Oberliga und AAA-Liga an der West Memphis High School gespielt. Heute kann ich keinen Dunk mehr und ich treffe wahrscheinlich auch keinen Freiwurf mehr. Aber durch die 13 Jahre, in denen ich Wettbewerbsbasketball gespielt habe, habe ich gelernt, was ich tun muss, um besser zu werfen, sicher zu dribbeln und präziser zu passen. Ich habe gelernt, welchen Einfluss Krafttraining, Ernährung, Schlaf und Erholung auf meine Leistung haben. Ich habe meine Erfahrung so verinnerlicht, dass ich sie auch anderen weitergeben kann. Und zwar nicht, indem ich ihnen Geschichten aus meiner Jugend erzähle, sondern indem ich ihre Technik analysiere, sie mit meiner eigenen vergleiche und ihnen dann explizite Verbesserungsvorschläge gebe. Natürlich kann ich immer noch viel dazulernen, aber ich denke, ich habe diesen Sport zu einem gewissen Grad gemeistert.

Ich kann ihn anderen weitergeben.

Das Konzept des Meisters sehen wir auch in anderen Bereichen. Im Handwerk bescheinigt eine Prüfung der Fertigkeiten, dass jemand etwas so gemeistert hat, dass er es weitergeben kann. Erst dann darf er sich Meister nennen!

Deshalb kann ein Scrum Master meiner Ansicht nach niemals eine Einstiegsposition sein. Junioren können Scrum nicht gemeistert haben! Sie haben es nicht über viele Jahre selbst praktiziert, analysiert und ihre eigene Praxis reflektiert, sodass sie ihre gesammelten Erfahrungen weitergeben können.

Absolventen können deshalb keine Scrum-Meister sein.

Ich möchte noch einmal betonen, was ich bereits am Anfang geschrieben habe:

Ich mache Scrum Mastern keinen Vorwurf. Jeder muss einmal anfangen! Ich unterstütze auch jeden Absolventen auf seinem Weg zu einem wirklichen Scrum Master.

Aber liebe Recruiter und HR-Mitarbeiter, bitte hört auf, Absolventen anzulocken und sie ohne Ausbildung, Unterstützung, Training und Mentoring zu Teams und in Unternehmen zu schicken, nur weil Scrum gerade in aller Munde ist!

Habe ich etwas übersehen? Wie siehst du die Entwicklung, dass immer mehr Absolventen in Scrum-Master-Stellen gelockt werden?

 


What did you think about this post?