Wie können Remote-Teams produktiv kommunizieren?
Diese Frage nagt schon seit Jahren an mir. Gleich im ersten Jahr meiner Karriere arbeitete ich mit einem Offshore-Team aus Indien zusammen. Dabei erlebte ich aus erster Hand, wie einfach es ist, schnell einen Anruf zu tätigen und die Details direkt zu besprechen. Zu meinem Erstaunen verbesserte sich dadurch die langfristige Zusammenarbeit nur wenig. Ganz im Gegenteil:
Ich führte dasselbe Gespräch immer und immer wieder.
Eine Weile erklärte ich mir dies mit unserem kulturellen Unterschied. Ich dachte mir, es muss einfach schwierig sein, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammenarbeiten. Da dies nicht das einzige Remote-Team war, in dem ich über Jahre Mitglied war, und sich die Situation auch in anderen Teams häufig wiederholte, kann dies wohl nicht die Antwort sein.
Kürzlich habe ich einen interessanten Artikel von James Stanier dazu gelesen.
James ist der Director of Engineering bei Shopify, einem Unternehmen, das vollständig remote arbeitet. Er selbst arbeitet seit vier Jahren remote und leitet dabei Entwicklerteams unterschiedlicher Größe. Im Artikel beschreibt er ein Spektrum von Remote-Arbeit.
Das Spektrum beginnt mit synchroner Remote-Arbeit und endet in asynchroner Remote-Arbeit:
- Video-Konferenzen (etwa Zoom oder MS Teams)
- Chat (etwa Slack oder MS Teams)
- Videoaufzeichnung (etwa Loom oder WhatsApp)
- E-Mail (etwa Gmail oder MS Outlook)
- Gemeinsame Dokumente (etwa Google Docs)
- Wikis und Readme.txt (etwa OwnCloud oder Confluence)
Die Einsicht des Artikels:
Je weiter das Team verteilt ist, desto stärker muss die Kommunikation auch in Richtung Asynchronität gehen.
Natürlich wäre es einfacher, Präsenzmeetings einfach nur als Videokonferenz abzuhalten.
Häufig bleiben die erhofften Vorteile aber aus. In einer Videokonferenz ist es schwerer, Wissen zu teilen, konzentriert zu arbeiten oder ein Teamgefühl zu schaffen – oder es fehlt einfach Zeit. Wird nicht in der Muttersprache gesprochen, fehlt häufig die Bedenkzeit, um eine individuelle Antwort zu formulieren. Genau diesen Effekt konnte ich auch in der Zusammenarbeit mit dem Offshore-Team am eigenen Leib erfahren.
Das Spektrum zeigt auch:
Je verteilter das Team, desto wichtiger ist die schriftliche Kommunikation. Sich schriftlich klar ausdrücken zu können, ist also eine entscheidende Fähigkeit in Remote-Teams.
Ich habe in den letzten beiden Jahren 180 Artikel geschrieben und häufig bekomme ich das Feedback, dass die Artikel lesenswert sind, da sie prägnant und klar geschrieben sind. Diesen Schreibstil habe ich mir angewöhnt, da ich festgestellt habe, dass diese Art der schriftlichen Kommunikation gut funktioniert. Leider bekomme ich auch häufig E-Mails, die schwierig formuliert sind, und bei denen mir nicht klar ist, was der Autor möchte. Bei genauerer Betrachtung werden dort immer wieder die gleichen drei Fehler gemacht, die ganz einfach vermieden werden könnten.
Welche das sind und wie du sie vermeidest, verrate ich dir jetzt:
Fehler 1: Du dokumentierst und denkst nicht
Was macht einen Text gut?
Ein guter Text liegt in der Schnittmenge aus der Beantwortung einer relevanten Frage und deinem Wissen.
Schreiben ist dabei Denken. Es ist ein Prozess, bei dem Gedanken entwickelt, verfeinert und kommuniziert werden. Leider lese ich häufig Texte, in denen der Verfasser nur sein Wissen dokumentiert hat, das Denken aber mir überlässt. Was dazu führt, dass ich seine E-Mail nicht bis zum Ende lese.
Möchtest du, dass deine E-Mails gelesen werden? Dann überlege dir, welche Frage du beantworten willst.
Und zwar noch, bevor du beginnst, eine E-Mail, einen Wiki-Eintrag oder eine Meetingeinladung zu schreiben. Welche Frage hat der Leser, die du mit diesem Text beantworten willst?
- Wenn du etwa Stakeholder zum Sprint Review einladen willst, dann frage dich: „Wenn ich Stakeholder wäre, welche Information wäre für mich relevant? Was muss ich aus dem Review mitnehmen, damit ich meine Arbeit besser erledigen kann?“
- Wenn du einen Wiki-Eintrag verfasst, wie neue Teammitglieder ihre Entwicklungsumgebung aufsetzen können, dann frage dich, welche Fragen sie haben werden. Also dokumentiere nicht nur, welche Schritte du unternommen hast, um alle Programme zu installieren, sondern schreibe auch die Fragen auf, die dir dabei durch den Kopf gegangen sind. Oder die Fragen, die du Kollegen gestellt hast, als die Konfiguration der Programme nicht funktioniert hat.
- Wenn du eine Folge-E-Mail beantwortest, dann rufe dir die Fragen ins Gedächtnis, die es noch zu beantworten gibt.
Nachdem du eine Frage formuliert hast, die dein Text beantworten soll, kommen wir zum Wissensteil.
Welches Wissen oder welche Information kannst du zur Beantwortung der Frage beisteuern?
Diese Information solltest du so verpacken, dass sie möglichst hilfreich bei der Beantwortung der Frage ist. Alles, was nur „nice to know“ ist, solltest du weglassen. Aus meiner Erfahrung sind Texte im Unternehmens- und Teamkontext nur dann hilfreich, wenn sie informieren oder eine Aufforderung zur Handlung beinhalten.
Diese Einsicht hilft dir, deine Antwort zu strukturieren:
- Abschnitt 1 – Einleitung: Hier greifst du die Frage des Lesers auf.
- Abschnitt 2 – Hauptteil: Welche Informationen, Handlungsschritte oder Entscheidungen gibt es?
- Abschnitt 3 – Schlussfolgerung: Falls der Hauptteil aus Informationen besteht, füge zum Schluss noch einen Handlungsaufruf hinzu.
Nachdem du die Struktur für deinen Text kennst, beginnen wir mit dem Wichtigsten: Denken. Oder – wie ich es auch bezeichne – das Formulieren der Überschrift.
Ja, du hast richtig gelesen, die Überschrift oder Betreffzeile ist das Wichtigste deines Texts.
Fehler 2: Du nutzt abstrakte Überschriften oder Betreffzeilen
Die Überschrift entscheidet, ob dein Text gelesen wird oder nicht.
Deshalb solltest du auch 50 % der Zeit damit verbringen, dir Gedanken zu machen, was du schreiben willst. Hier findet das Denken statt.
Ein häufiger Fehler ist, dass die E-Mail geschrieben ist und zum Schluss noch schnell eine Überschrift darüber gesetzt wird. Dann ist die Überschrift meist sehr abstrakt und dadurch nichtssagend. Betrachten wir dazu die Überschrift eines Artikels, der vor Kurzem erschienen ist:
„Möchtest du wissen, wie gut du Meetings moderierst? Diese 8 Fragen zeigen deine Fähigkeiten als Facilitator auf“
Die Überschrift hätte auch lauten können:
„Wie du bessere Meetings moderierst“
Auf den ersten Blick ist die zweite Version der Überschrift einladend. Betrachten wir sie genauer, dann sehen wir, dass sie sehr abstrakt formuliert ist. Die Hoffnung bei abstrakt formulierten Überschriften ist, dass dadurch mehr Leser angezogen werden. In der Realität klicken Leser entnervt weg, da sie ihre Zeit mit dem Lesen eines Artikels verbracht haben, ohne dass ihre Frage beantwortet wurde.
Betrachte die beiden Überschriften im Detail, indem du dir die folgenden Fragen stellst:
- Für wen ist der Artikel? Mitglieder im Team, Führungskräfte von Teams, Moderatoren, Facilitatoren?
- Was werde ich in diesem Artikel erfahren? Methoden, Techniken, eine Checkliste mit Fragen?
- Warum sollte ich diesen Artikel lesen? Was bedeutet „bessere Meetings“? Kann ich nach dem Lesen meine Fähigkeiten als Facilitator bewerten?
Wie du siehst: Abstraktes verwirrt, da es Fragen offenlässt.
Für Belletristik und Artikel mag das noch in Ordnung sein, für E-Mails, Wiki-Seiten und Readme-Dokumente solltest du dies jedoch vermeiden. Du umgehst diesen Fehler, indem du dir vor dem Schreiben einer E-Mail diese drei Fragen stellst:
- Was ist der Inhalt des Beitrags? Welche Frage soll beantwortet werden? Welche Informationen müssen dazu enthalten sein?
- Wer ist der Leser?
- Warum sollte der Leser die Inhalte lesen? Was hat er davon? Was ermöglicht ihm das Lesen der E-Mail?
Nachdem du eine Frage formuliert hast und dir Gedanken gemacht hast, wie du sie beantworten wirst, wer der Leser ist und warum er deine Antwort lesen sollte, kommen wir zur Gestaltung der E-Mail. Auch hier machen die meisten einen großen Fehler:
Fehler 3: Du vergisst deine E-Mail nach dem Schreiben zu formatieren
Wie lässt sich der Text möglichst einfach lesen?
Ein gängiger Expertenrat: indem ich kurze Sätze nutze und auf dem Sprachniveau eines Fünftklässlers schreibe. Das stimmt natürlich. Allerdings möchte ich dir noch eine einfachere Methode vorstellen. Du kannst sie anwenden, ohne dass du etwas umschreiben musst.
Sie lautet: formatieren!
Nun 3 Tipps, wie du deine E-Mails für bessere Lesbarkeit formatieren kannst:
1. Nutze den „Nur noch einen Chip“-Vorsatz:
Wenn es dir so geht wie den meisten, dann führen eine Tüte Chips und ein Film dazu, dass …
... am Ende die ganze Tüte leer ist.
Wie kann das sein?
Du hast immer nur einen Chip gegessen.
Allerdings einen nach dem anderen.
Diesen „Vorsatz“ können wir auch beim Formatieren des Texts nutzen.
Anstatt den Leser vor eine riesige Wand aus Text zu setzen, kann er sich einen Satz nach dem anderen aus der Tüte nehmen.
Und schwups, ist die Tüte leer.
Twitter-Threads sind das beste Beispiel für diese Methode.
2. Schreibe mit Rhythmus:
Eine Sache ist dir bestimmt nicht verborgen geblieben:
Die Methode, nach jedem Satz eine Leerzeile einzufügen, ist im Unternehmenskontext nicht nutzbar. Natürlich macht sie E-Mails, Termineinladungen und Wiki-Seiten lesbarer, allerdings werden die Kollegen dich fragen, warum du deine E-Mail nicht „professioneller“ schreiben kannst. Wir sind ja schließlich nicht bei Twitter!
Der Ausweg:
Schreibe in unterschiedlichem Rhythmus.
Diese Technik geht auf Nicolas Cole zurück. Abschnitt 1 hatte den Rhythmus 1/1/1/1 und dieser obige Abschnitt den Rhythmus 1/3/1/1/3/1. Dieser Rhythmus verbindet beide Vorteile: Der Text lädt zum „snacken“ ein, gleichzeitig wirkt die Satzstruktur nicht monoton.
Nun zum letzten Tipp:
3. Nutze Aufzählungen
E-Mails werden zu 99 % linear geschrieben.
Deshalb kannst du jede E-Mail auch als Aufzählung formulieren. Aufzählungen machen den Text ähnlich lesbar wie der „Nur noch einen Chip“-Vorsatz.
Hier ein Beispiel:
Angenommen, Tim und Susi konnten nicht an der Planung des Sprints teilnehmen. Du möchtest ihnen eine E-Mail schreiben und ihre Frage beantworten: Woran will das Team diesen Sprint arbeiten?
Dann könntest du die E-Mail mit einer Aufzählung so formatieren:
Betreff: 3 Entscheidungen, die wir im Sprint Planning getroffen haben – Bitte lesen, sie sind unverzichtbar für euer Verständnis des aktuellen Sprint Backlogs
Hallo Susi und Tim!
Im Sprint Planning haben wir als Team drei Entscheidungen getroffen:
- Entscheidung 1: Sprint-Ziel: Nach dem Sprint soll ein Testnutzer aus dem Vertrieb mit PayPal zahlen können.
- Entscheidung 2: Wie gehen wir mit den aktuellen Fehlern um? Wir arbeiten nur daran, wenn es die Arbeit am Sprint-Ziel nicht beeinträchtigt.
- Entscheidung 3: Architekturentscheidung: Wir nutzen dafür die offizielle PayPal Java SDK.
Nun solltet ihr auf dem Laufenden sein. Prüft nach eurer Rückkehr bitte noch vor dem Daily den Fortschritt bei den Tickets in Jira. So können wir eure Fragen sofort im Daily diskutieren.
Wir freuen uns, dass ihr wieder zurück seid!
Zusammenfassung: Beherzige diese Tipps und drücke dich von nun an in E-Mails klarer aus
Zum Abschluss betrachten wir noch einmal das letzte Beispiel.
Es fasst alle Tipps dieses Artikels zusammen:
- Die E-Mail beantwortet eine Frage.
- Die Betreffzeile beantwortet das Wer, Was und Warum.
- Die E-Mail folgt der Struktur aus Einleitung, Hauptteil und Schlussfolgerung.
- Der Text ist mit dem „Nur noch einen Chip“-Vorsatz, einem abwechslungsreichen Rhythmus und einer Aufzählung formatiert.