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Psychologische Sicherheit: Missverstanden, dennoch von entscheidender Bedeutung 🇩🇪

February 13, 2025

In Kürze: Psychologische Sicherheit als Wettbewerbsvorteil

Psychologische Sicherheit ist keine nebensächliche „Nettigkeit“ – sie ist die Grundlage für agile Teams, die innovativ sind, sich an Veränderungen anpassen und Ergebnisse liefern.

Wenn Teams furchtlos Ideen diskutieren, Fehler eingestehen, Normen in Frage stellen und Wege finden, um Fortschritte zu erzielen, können sie die meisten Konkurrenten übertreffen. Dennoch sabotieren viele Organisationen wissentlich oder unwissentlich die psychologische Sicherheit – eine kurzsichtige und gefährliche Einstellung in einer Zeit, in der Wissen nicht mehr die Schutzwirkung vor Wettbewerb entfaltet wie früher. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie Sie Ihren Wettbewerbsvorteil erhalten können.

Psychologische Sicherheit: Missverstanden, dennoch von entscheidender Bedeutung — PST Stefan Wolpers

Psychologische Sicherheit und ihre Fehlinterpretation

Ich habe einen beunruhigenden Trend festgestellt: Während die Idee der „psychologischen Sicherheit“ zunehmend verinnerlicht wird, wird sie gleichzeitig weitgehend missverstanden. Allzu oft wird sie mit Bequemlichkeit gleichgesetzt, einer stets angenehmen Umgebung, in der harte Gespräche vermieden werden und Konsens wichtiger ist als Offenheit. Diese Verwechslung ist nicht nur begrifflich verworren, sie untergräbt auch aktiv die Vorteile, die psychologische Sicherheit ermöglichen soll.

Lassen Sie uns das klarstellen: Bei der psychologischen Sicherheit geht es nicht darum, künstliche Harmonie über gesunde Konflikte zu stellen. Sie ist keine „Wohlfühl“-Abstraktion oder ein Freibrief für ungefiltertes Dampfablassen. Im Kern bedeutet psychologische Sicherheit, ein Umfeld des gegenseitigen Vertrauens und Respekts zu schaffen, das eine offene Kommunikation, kalkulierte Risikobereitschaft und den offenen Austausch von Ideen ermöglicht — auch und gerade dann, wenn diese Ideen den Status quo in Frage stellen. (Es gibt einen Grund, warum drei der fünf Scrum-Werte — Offenheit, Respekt und Mut — ein Umfeld fördern, in dem psychologische Sicherheit gedeiht)

Amy Edmondson aus Harvard definierte den Begriff erstmals als „gemeinsame Überzeugung der Mitglieder eines Teams, dass das Team sicher ist, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen.“ [Quelle.] Bei näherer Betrachtung stellte sie klar, dass es bei psychologischer Sicherheit darum geht, aufrichtiges Feedback zu geben, Fehler offen zuzugeben und voneinander zu lernen.

Beachten Sie hier die Schlüsselelemente: Offenheit, Risikobereitschaft und Lernen. Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass wir vor harten Wahrheiten zurückschrecken oder Konflikte unter den Teppich kehren. Stattdessen bietet sie uns die Grundlage, um diese Spannungen an die Oberfläche zu bringen und sie in persönliches Wachstum umzuwandeln. Psychologische Sicherheit ist die Grundlage für das Vertrauen, das es uns ermöglicht, einander gegenüber verletzlich zu sein und gemeinsam unsere beste Arbeit zu leisten.

Wenn Teams psychologische Sicherheit falsch verstehen, neigen sie dazu, in eines von zwei dysfunktionalen Mustern zu verfallen:

  1. Künstliche Harmonie: Konflikte werden um jeden Preis vermieden. Abweichende Meinungen werden abgemildert oder zurückgehalten, um die Illusion der Einigkeit aufrechtzuerhalten. Oberflächlich betrachtet scheinen die Dinge rosig zu sein – aber darunter schwelt der Groll, mittelmäßige Ideen rutschen unkontrolliert durch und die „Elefanten im Raum“ leben glücklich bis an ihr Lebensende.
  2. Falsche Großspurigkeit: Das Team hält psychologische Sicherheit für eine Entschuldigung für ungefilterte „brutale Ehrlichkeit“. Extrovertierte äußern Kritik, ohne sich um ihre Auswirkungen zu kümmern, und drangsalieren die Introvertierten, wodurch das Vertrauen und der gegenseitige Respekt untergraben werden, von denen eine angemessene psychologische Sicherheit abhängt.

Beide Arten des Scheiterns beruhen auf demselben grundlegenden Missverständnis: Psychologische Sicherheit gibt Bequemlichkeit den Vorrang vor Offenheit oder Ehrlichkeit vor Fürsorge. In Wirklichkeit lässt echte psychologische Sicherheit diese falschen Dilemmas außer Acht. Es geht darum, herauszufinden, wie man direkte, sogar herausfordernde Gespräche auf eine Art und Weise führt, die Beziehungen und Vertrauen eher fördert als untergräbt.

Psychologische Sicherheit und radikale Offenheit (Radical Candor)

An dieser Stelle kommt das Konzept der „radikalen Offenheit“ ins Spiel. Der von Kim Scott geprägte Begriff „Radical Candor“ bedeutet, dass Sie offenes, umsetzbares Feedback geben und gleichzeitig zeigen, dass Ihnen der Adressat ihrer Kritik am Herzen liegt. Es ist eine Art, Ehrlichkeit und Einfühlungsvermögen miteinander zu verbinden und zu erkennen, dass eine wirklich konstruktive Wahrheitsfindung ein Fundament an zwischenmenschlichem Vertrauen erfordert. [Quelle.]

Diese Kombination aus Direktheit und Fürsorge ist das Herzstück der psychologischen Sicherheit und für agile Teams absolut unerlässlich. Das Versprechen von Agile, auf Veränderungen zu reagieren, kreative Problemlösungen zu finden und die kollektive Intelligenz zu nutzen, hängt von der Bereitschaft der Teammitglieder ab, ihre Meinung zu sagen, intelligente Risiken einzugehen und etablierte Denkweisen in Frage zu stellen. Dies erfordert ein Umfeld, in dem sich die Menschen sicher fühlen, sich nicht nur gegenseitig zu unterstützen, sondern auch produktiv zu streiten.

Betrachten Sie das Daily Scrum oder Standup, ein Markenzeichen von Agile. Es geht darum, dass die Teammitglieder Hindernisse aufdecken, um Hilfe bitten und sich auf neue Ziele ausrichten. Aber das ist schwer zu erreichen, wenn die Leute sich unter Druck gesetzt fühlen, „in Ordnung“ zu sein oder keine Unruhe ins Team zu bringen. Tatsächliche psychologische Sicherheit schafft hingegen Raum für Menschen, die sagen können: „Ich stecke fest und brauche Hilfe“, „Ich weiß nicht“ oder „Ich bin mit diesem Ansatz nicht einverstanden“, ohne Angst vor Bewertung oder Repressalien zu haben.

Oder nehmen Sie die Retrospektive, in der es ebenfalls darum geht, Misserfolge aufzudecken und aus ihnen zu lernen. (Natürlich lernen wir auch aus Erfolgen.) Wenn Menschen denken, dass ihnen das offene Reden über Fehler zum Vorwurf gemacht werden könnte, werden sie das Geschehene natürlich ignorieren, kaschieren oder beschönigen. (Das ist auch der Hauptgrund, warum ein Team keine Mitglieder haben sollte, zwischen denen ein Untergebener-/Vorgesetzenverhältnis existiert). Psychologische Sicherheit verschiebt dieses Kalkül. Sie besagt: „Wir sitzen im selben Boot, egal ob wir gewinnen oder verlieren“, was paradoxerweise den Teams den Mut gibt, ihre Misserfolge genauer unter die Lupe zu nehmen, um aus den Fehlern zu lernen.

Psychologische Sicherheit zieht sich wie ein roter Faden durch alle Kernprinzipien von Agile: „Individuals and interactions over processes and tools,“ „customer collaboration over contract negotiation,“ und „responding to change over following a plan.“ Die Umsetzung dieser Werte im betrieblichen Alltag erfordert eine Teamumgebung mit enormem zwischenmenschlichem Vertrauen und Offenheit. Dieses zu schaffen ist die eigentliche Aufgabe der psychologischen Sicherheit – und dabei geht es nicht darum, „soft“ zu sein oder schwierige Dinge zu vermeiden – ganz im Gegenteil. (Denken Sie an die Scrum-Werte; siehe oben.)

Die Forschung zeigt, dass psychologische Sicherheit nicht nur ein Ponyhof-Wunschdenken ist – sie ist ein Leistungsmultiplikator. Googles umfassendes Projekt Aristoteles, bei dem Hunderte von Teams untersucht wurden, ergab, dass psychologische Sicherheit der wichtigste Prädiktor für die Effektivität von Teams ist. Teams mit einem hohen Maß an psychologischer Sicherheit erzielten durchweg bessere Ergebnisse, lernten schneller und bewältigten Veränderungen geschickter. Sie neigten auch dazu, mehr Spaß an der Arbeit zu haben. [Quelle.]

Außerdem ist es wahrscheinlicher, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit einen Mehrwert für die Kunden schaffen, einen Beitrag zum Gewinn leisten, Top-Talente an sich binden und bahnbrechende Innovationen hervorbringen — der ultimative Wettbewerbsvorteil. Mit anderen Worten: Psychologische Sicherheit ist kein Nice-to-have, sondern eine strategische Notwendigkeit und ein profitables Gut.

Wie können wir also echte psychologische Sicherheit in unseren Teams kultivieren? Ein paar wichtige Praktiken:

  1. Gestalten Sie die Arbeit als Lernprozess: Stellen Sie jedes Projekt als Experiment und jedes Scheitern als wichtige Quelle für Daten dar. Feiern Sie kluge Risiken öffentlich, unabhängig vom Ergebnis. Machen Sie deutlich, dass Fehltritte nicht nur toleriert werden – sondern an der Front des Wissen unvermeidbar und damit akzeptabel sind.
  2. Seien Sie Vorbild für Fehlbarkeit: Gestehen Sie als Führungskraft Ihre eigenen Fehler und Wachstumsgrenzen offen ein. Erzählen Sie, was Sie alles falsch gemacht haben und was Sie daraus gelernt haben. Wenn Sie Ihre Verwundbarkeit zeigen, ist das ein starkes Signal, dass es für andere sicher ist, auch ihre Deckung fallen zu lassen. (Failure Nights sind eine großartige Möglichkeit, diese Botschaft zu verbreiten.)
  3. Ritualisieren Sie die Reflexion: Nehmen Sie Retrospektiven ernst, um offen darüber nachzudenken, was funktioniert und was nicht. Die Verwendung von strukturierten Aufforderungen und Protokollen trägt dazu bei, dass alle Stimmen zu Wort kommen. (Denken Sie zum Beispiel an das Liberating Structures’ Conversation Café.) Je mehr das Nachdenken zur Gewohnheit wird, desto mehr wird sich die psychologische Sicherheit vertiefen. Ziehen Sie gegebenenfalls anonyme Umfragen in Betracht, um jedem Teammitglied eine Stimme zu geben.
  4. Lehren Sie taktvolle Offenheit: Schulen Sie das Team im Umgang mit konstruktivem Feedback, wie dem SBI (situation-behavior-impact) Modell oder Non-violent Communication. Betonen Sie, dass das Aussprechen harter Wahrheiten mit Klarheit und Sorgfalt das ultimative Zeichen von Respekt ist – für den Einzelnen und die gemeinsame Arbeit.
  5. Schaffen Sie Raum, um ein Mensch zu sein: Beginnen Sie Meetings mit einem kurzen persönlichen Check-In. Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, ihr ganzes, wunderbares Selbst zur Arbeit mitzubringen. Teilen Sie Ihre Dankbarkeit, machen Sie Witze und feiern Sie die kleinen Erfolge. Psychologische Sicherheit ist nicht steril, sie ist befreiend menschlich.

Erkennen Sie vor allem, dass der Aufbau und die Aufrechterhaltung psychologischer Sicherheit eine fortlaufende Aufgabe ist und kein einmalige Veranstaltung. Sie müssen sich täglich neu verpflichten, Mut statt Bequemlichkeit, Zielstrebigkeit statt Posen und die harten und notwendigen Wahrheiten statt der einfachen Ausflüchte zu wählen.

Wie jede sinnvolle Disziplin ist auch diese nicht immer bequem. Auf psychologisch sichere Weise zu arbeiten und Beziehungen aufzubauen, kann sich manchmal holprig und entlarvend anfühlen. Wir geben vielleicht ungeschicktes Feedback, stolpern über Missverständnisse und verletzte Gefühle und werden mit harten Fakten konfrontiert, die wir lieber vermeiden würden.

Aber genau das ist der Punkt: Echte psychologische Sicherheit verwandelt unangenehme Momente von Bedrohungen in Chancen. Sie ermöglicht es uns, immer wieder zuammenzukommen und gemeinsam zu lernen, vor allem, wenn wir uns am verletzlichsten fühlen. Sie fördert eine Teamkultur, die belastbar genug ist, um die notwendigen Reibungen einer ehrlichen Zusammenarbeit auszuhalten und sie in etwas Wirkungsvolles und Klärendes zu verwandeln.

Das ist das Versprechen der psychologischen Sicherheit. Sie ist mehr als nur ein weiteres Schlagwort oder ein Punkt auf der Checkliste der Agilität, denn es geht darum, den Boden für dauerhaft gesunde und produktive menschliche Beziehungen am Arbeitsplatz zu kultivieren. Es geht darum, die Bedingungen zu schaffen, die uns dabei unterstützen, gemeinsam in diese Beziehungen hineinzuwachsen. Einfach ausgedrückt: Ohne psychologische Sicherheit kann „Agile“ sein Potenzial nicht entfalten. Mit psychologischer Sicherheit kann Agile tatsächlich als Kraft für Kreativität, Innovation und, ja, Freude an der Arbeit lebendig werden.

Fazit

Beginnen Sie damit, Ihr Team ehrlich zu betrachten: Wie sicher fühlen sich die Mitarbeiter, wenn sie Risiken eingehen und harte Wahrheiten aussprechen? Was ist das eine Gespräch, der eine Elefant im Raum, den anzusprechen Sie bisher vermieden haben, der aber die nächste Stufe von Leistung und Vertrauen im Team freisetzen könnte? Fordern Sie sich selbst heraus, dieses Gespräch in der nächsten Woche anzustoßen — und beobachten Sie, wie es sich auswirkt.

Diese authentische Version der psychologischen Sicherheit zu verinnerlichen, wird kein Spaziergang sein. Sie und Ihr Team werden unbequeme Momente der Reibung und Verletzlichkeit erleben. Teammitglieder könnten aussteigen, weil sie sich zu sehr gestresst fühlen. Aber wenn Sie sich auf dieses Unbehagen einlassen, werden Sie Ihr wahres Potenzial freisetzen. Bei der psychologischen Sicherheit geht es darum, ein widerstandsfähiges Team aufzubauen, das schwierige Herausforderungen meistern und schwierige Gespräche führen kann, weil Sie wissen, dass Sie sich gegenseitig den Rücken freihalten. Auf dieser Grundlage können Sie dann Agilität so verinnerlichen, wie diese gedacht ist.

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