Skip to main content

Meine 5 Lieblings-Retrospektiven – und wie du dich als Scrum Master verbesserst

February 10, 2025

Eine Woche im Jahr 2018 blieb mir sehr gut in Erinnerung.

Von Montag bis Mittwoch war ich bei meinen beiden Scrum Teams in Nürnberg. Es war Sprintwechsel. Das bedeutet, ich moderierte in jedem Team eine Retrospektive. Darüber hinaus leitete ich auch noch die teamübergreifende Retrospektive an. Donnerstag fuhr ich nach Berlin zu einem weiteren Kunden. Dort facilitierte ich die Nexus-Sprint-Retrospektive für fünf Teams. Am Freitag ging es weiter nach Neckarsulm, um mit einer Kollegin zusammen einen Workshop zu moderieren. Was im Wesentlichen auch eine Retrospektive über die letzten 3 Monate im Projekt war. Addieren wir alle Retrospektiven zusammen, dann kommen wir auf 5 Retrospektiven in einer Woche. Deshalb bleibt mir diese Woche so in Erinnerung.

Warum erzähle ich dir das?

Ich werde häufig gefragt, wie du dich als Scrum Master verbesserst. Wie du deine Fähigkeiten weiterentwickelst. Und wie du neue Methoden und Techniken lernst. Hierfür gibt es ein schönes Vorgehen. Ich glaube, es geht auf Alex Hormozi zurück. Es spiegelt sehr schön wider, wie ich meine Fähigkeiten versuche zu verbessern, und lautet:

Das „Mehr, besser und erst dann neu“-Vorgehen

Im Detail bedeutet das:

  • Mehr: Solange das Volumen nicht das Problem ist, solltest du mehr tun.
  • Besser: Sobald das Volumen die Einschränkung ist, konzentrierst du dich darauf, die Qualität deines Volumens zu erhöhen, indem du besser wirst.
  • Neu: Wenn das Volumen in bester Qualität die Einschränkung ist – du also nicht mehr tun kannst und das, was du tust, nicht mehr wirklich besser machen kannst –, dann solltest du etwas Neues oder Anderes tun.

Retrospektiven zu facilitieren, ist eine Fähigkeit, die ich über Jahre versucht habe zu verbessern. Und wenn ich ehrlich mit dir sein darf, immer noch versuche zu verbessern. Die Woche im Jahr 2018 mit den 6 Retrospektiven markierte dabei einen besonderen Zeitpunkt.

Was ich dir nämlich nicht erzählt habe:

Ich habe alle 5 Retrospektiven gleich moderiert. Ich nutzte jedes Mal das exakt gleiche Format. Es war immer die Segelboot-Retrospektive. Und nicht nur das – ich nutzte auch die exakt gleichen Methoden. So war die Qualität jeder Retrospektive gleich. Die Retrospektive lud jeden zum Mitmachen ein, alle Stimmen wurden gehört und es wurde gemeinsam abgestimmt. Genauer: Ich nutzte 1-2-4-All zum Sammeln, Dot-Voting zum Auswerten und Römisches Voting zum Abstimmen.

Am Ende dieser Woche erkannte ich allerdings:

Mehr Segelboot-Retrospektiven und mehr 1-2-4-All würden meine Fähigkeiten nicht mehr signifikant verbessern. Um mich weiterzuentwickeln, musste ich etwas Anderes ausprobieren. Im „Mehr, besser und erst dann neu“-Vorgehen war ich am Ende von „besser“ angekommen.

Bist du bei deinen Retrospektiven auch an diesem Punkt angekommen?

Dann ist dieser Artikel für dich. Ich hoffe, dass du in meinen 5 Lieblings-Retrospektiven auf Inspiration für deine Arbeit stößt.

Aber erst noch eine Warnung:

Befolge die Schritte „Mehr, besser und erst dann neu“ nur in dieser Reihenfolge.

Häufig neigen angehende Scrum Master dazu, gleich zu „neu“ zu springen.

Sie haben erstmalig eine Retrospektive moderiert und schon wünschen sie sich Abwechslung und probieren ein anderes Format aus. Das Resultat: 1-2-4-All funktioniert nicht, da im Team 9 Personen sind. Das Timing passt irgendwie nicht und sie unterbrechen die Mitglieder des Teams ständig. Und am Ende kommen sie in Zeitnot und für die Verbesserung bleiben ihnen nur 7 Minuten.

Kurzum: Es fühlt sich für sie an, als wäre es ihre erste Retrospektive.

Und das Schlimme? Die Leidtragenden sind nicht die Scrum Master. Sondern die Leidtragenden sind ihre Teammitglieder. Erspare dir und deinem Team diesen Fehler. Gehe das „Mehr, besser und erst dann neu“-Vorgehen konsequent einen Schritt nach dem anderen. Und erst, wenn du bei „neu“ bist, dann lies hier weiter.

Versprochen?

Beginnen wir mit der Segelboot-Retrospektive:

Retrospektive #1: Segelboot

Gute Retrospektiven leben von einer Metapher.

Ein Segelboot, das eine unbewohnte Insel erreichen will und dabei Klippen umschiffen muss, ist eine schöne Metapher.

Hier die Elemente der Retrospektive im Überblick:

  • Die Insel symbolisiert das Ziel, worauf ihr hinarbeitet.
  • Der Wind treibt das Boot an. Hier geht es um die Faktoren, Ergebnisse und Stärken, die das Team dabei unterstützen, das Ziel zu erreichen.
  • Der Anker hält das Boot zurück. Er symbolisiert Hindernisse, Probleme und Herausforderungen, die euren Fortschritt verlangsamen.
  • Das Riff steht für potenzielle Gefahren und Risiken. Es könnte das Schiff beschädigen und somit das Erreichen des Ziels gefährden.

Was mir gut daran gefällt, ist der Prozess der Zusammenarbeit. Zuerst muss sich das Team darauf einigen, was auf der Insel sein soll. Danach kann es seinem Boot einen Namen geben. Anschließend sammeln die Teammitglieder gemeinsam Informationen und werten diese aus. Sie bewerten, was ihrem Vorhaben Aufwind verleiht und was es ausbremst. Zudem überlegen sie, worauf sie achten sollten.

Die Segelboot-Retrospektive kratzt manchmal jedoch nur an der Wasseroberfläche.

Ihr Augenmerk liegt darauf, Beobachtungen, Fakten und Erkenntnisse zu sammeln. Sie bietet allerdings wenig Anleitung, auch unter Wasser zu schauen. Allerdings ist das bei komplexeren Problemen nötig.

Um tiefer in das Problem einzutauchen, hilft ein strukturierter Ansatz zur Retrospektive. Dazu kommen wir jetzt:

Retrospektive #2: „Was, warum, und jetzt?“

Diese Struktur geht auf die Arbeit von Terry Borton zurück.

Terry Borton war ein amerikanischer Schullehrer und hat im Jahr 1970 das Buch „Reach, Touch, and Teach“ veröffentlicht. Dort stellt er einen strukturierten Ansatz zur Reflexion vor, der auf diesen drei Fragen beruht: „Was?“, „Warum?“ und „Und jetzt?“. Bist du ein Fan von Liberating-Structures? Dann solltest du jetzt erkannt haben, welches Vermächtnis Terry Borton hinterlassen hat.

Diese drei Fragen lassen sich auch gut für eine Retrospektive nutzen.

  1. Stellt euch im Team zuerst die Frage: „Was?“ – Was ist im letzten Sprint passiert, welche Beobachtungen habt ihr gemacht und was ist euch aufgefallen? Hierbei geht es ausschließlich um die Fakten – Dinge, die ihr beobachtet habt, Dinge, die unstrittig sind.
  2. Dann fragt euch: „Warum war das wichtig?“ – Analysiert daraufhin, warum dies geschehen sein könnte und welche Annahmen oder Schlussfolgerungen ihr daraus ziehen könnt. Jetzt geht es um die Interpretation der Fakten.
  3. Zum Schluss fragt euch im Team: „Und jetzt?“ – Welche konkreten nächsten Schritte könnt ihr aus diesen Erkenntnissen ableiten?

Diese drei Fragen helfen euch, über vergangene Erfahrungen oder Ereignisse nachzudenken und dann auch Entscheidungen zu treffen, wie ihr weitermachen wollt.

Sowohl die Segelboot- als auch die „Was, warum, und jetzt?“-Retrospektive folgen einem klaren Vorgehen. Ein Vorgehen, das die Mitglieder im Team bei einer Retrospektive erwarten. Irgendwann wirst du nach Abwechslung suchen. Du wirst frischen Wind reinbringen wollen. Dazu eignet sich das nächste Format:

Retrospektive #3: TRIZ

TRIZ ist ein russisches Akronym und heißt so viel wie „Theorie des erfinderischen Problemlösens“.

Die Idee dahinter wird auch manchmal Kopfstand-Methode genannt. Es geht darum, das Worst-Case-Szenario zu entwerfen und dann durch kritische Selbstreflexion Verbesserungen zu finden, damit es nicht zu diesem Szenario kommt.

Die Methode ist deshalb so genial, da sie die Kreativität der Mitglieder im Team weckt und gleichzeitig radikal anders ist als die Segelboot-Retrospektive.

Betrachten wir die Schritte von TRIZ im Detail:

  1. Als Erstes sammelt das Team Ideen und erstellt eine Liste: eine Liste der Dinge, die die Teammitglieder tun könnten, damit sie das Ziel des Teams garantiert verfehlen. Das Team beantwortet also die Frage, wie es seinen Fortschritt sabotieren könnte.
  2. Nun geht das Team diese Liste Schritt für Schritt durch und diskutiert: „Gibt es etwas, das wir aktuell tun, das diesem Punkt in irgendeiner Art und Weise entspricht?“ Hierbei müsst ihr schonungslos ehrlich sein. Diese kontraproduktiven Aktivitäten, Pläne oder Prozesse bitte wieder in einer Liste festhalten.
  3. Zum Abschluss geht das Team alle Punkte der zweiten Liste durch und fragt sich bei jedem Punkt: „Wie können wir diese kontraproduktive Aktivität stoppen?“ Dies sind die Verbesserungen für den nächsten Sprint.

TRIZ bringt frischen Wind in deine Retrospektive. Wenn du Veränderung oder Fortschritt über einen längeren Zeitraum als nur diesen Sprint betrachten oder verfolgen willst, dann empfehle ich hierfür das nächste Format.

Retrospektive #4: Ecocycle-Planning

Der Ecocycle orientiert sich dabei am Lebenszyklus einer Pflanze.

Und das Ecocycle-Planning ist ein Werkzeug zur Planung eines Portfolios von Aktivitäten. Damit kannst du die Aktivitäten deines Teams sichtbar machen und auch deren Veränderung über die Zeit betrachten.

Der Lebenszyklus einer Pflanze sieht grob so aus:

Fällt ein Samenkorn in fruchtbaren Boden, keimt es (Erneuerung). Die Keimlinge benötigen Sonne, Wasser, Schutz und Mineralien, um zu wachsen (Wachstum). Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, wachsen die Keimlinge zu Pflanzen heran, die Früchte tragen und neue Samen verbreiten (Reifung). Doch irgendwann sterben die alten Pflanzen ab und werden kompostiert, um Energie für neue Pflanzen zu gewinnen. Dadurch wird Platz geschaffen, damit neue Pflanzen aus den Samen im Boden wachsen können (kreative Zerstörung).

Dieser Prozess ist in diesem Bild dargestellt:
 

Als Retrospektive kannst du es wie folgt verwenden:

  1. Dein Team sammelt die laufenden Aktivitäten des Sprints.
  2. Gemeinsam bewertet ihr die Aktivitäten und ordnet sie den Phasen auf dem Ecocycle zu.
  3. Im letzten Schritt sucht das Team Maßnahmen für jede Phase. Etwa: Wie können wir das Wachstum der Dinge, die gerade entstehen, beschleunigen?

Das Geniale an der Retrospektive mit dem Ecocycle?

Die Beobachtungen, Erkenntnisse und Handlungen sind in ständiger Bewegung. Damit kannst du Fortschritte bei Themen oder Problemen einfach sichtbar machen. Wenn du die Retrospektive mehrfach wiederholst, kannst du jedes Mal an die Erkenntnisse des letzten Mals anknüpfen.

Wenn du mehr darüber erfahren willst, dann wirf einen Blick auf meinen Artikel „Retrospektiven-Anleitung: So nutzt du Ecocycle-Planning, um Working-Agreements zu verbessern und den Zusammenhalt im Team zu stärken“. Dort beschreibe ich eine Retrospektive zur Verbesserung von Working-Agreements.

Die letzten vier Retrospektiven zeichnet alle eines aus:

Sie brauchen Zeit.

Deshalb möchte ich dir zum Abschluss noch eine Retrospektive vorstellen, die sehr schnell geht. Sie hat auch einen weiteren Vorteil: Im Gegensatz zu vielen Formaten für Retrospektiven konzentrieren wir uns hierbei nicht auf Negatives.

Retrospektive #5: Perfection-Game

Beim Perfection-Game beantworten die Mitglieder des Teams individuell erst die drei Fragen:

  1. Wie bewerte ich den letzten Sprint auf einer Skala von 1 bis 10?
  2. Was hat mir im letzten Sprint gut gefallen, was zu meiner Bewertung führte?
  3. Was hätte den letzten Sprint perfekt gemacht – was fehlt zur 10?

 

Nach dem Sammeln der Daten folgen diese Schritte:

  • Ergebnisse gruppieren: Die Notizen zu den Fragen werden nun gruppiert und zu Themen zusammengefasst.
  • Themen besprechen: Nachdem die drei Fragen von jeder Person beantwortet und übergeordnete Themen gefunden wurden, könnt ihr diese Themen im Team weiter besprechen.
  • Auf eine Verbesserung einigen: Der abschließende Schritt besteht darin, dass sich das Team darauf einigt, welche Verbesserung im nächsten Sprint umgesetzt werden soll. Ihr widmet euch also der dritten Frage.

Warum spart diese Retrospektive viel Zeit?

Aus meiner Sicht kann der zweite Schritt „Themen besprechen“ sehr kurz gehalten werden, nur durch Lesen erfolgen oder gar ganz weggelassen werden. Das spart viel Zeit, ist aber nicht immer möglich. Es funktioniert aber gut zu sehr konkreten Fragen, wie etwa: „Wie können wir das Sprint-Review verbessern?“ Wenn du eine ausführliche Erklärung dieser Retrospektive suchst, dann schaue dir gerne mein Webinar dazu an.

Dort erkläre ich nicht nur, wie du eine Retrospektive facilitieren kannst, sondern gebe auch Tipps für die anderen Scrum Events.

Willst du den nächsten Schritt deiner Scrum-Master-Karriere gehen? Suchst du konkrete Tipps für deine Situation? Möchtest du dich mit anderen Scrum Mastern austauschen? Dann besuche unser nächstes „Professional Scrum Master - Advanced“-Training. Dort unterstützen Marc und ich dich auf deinem Weg, ein besserer Scrum Master zu werden.


What did you think about this post?