Wie läuft ein typisches Meeting ab?
Die Teilnehmer im Meeting sitzen um einen Tisch und diskutieren munter drauflos. Warum ist diese Form eines Meetings ein Problem? Nicht jeder Teilnehmer kommt zu Wort. Eher stillere Menschen haben Schwierigkeiten, das Wort in einer großen Gruppe zu ergreifen. Der Beitrag von Vorgesetzten wird von den anderen Teilnehmern als wichtiger bewertet und verhindert eine Vielfalt von unterschiedlichen Perspektiven. Die Gruppe ist für die Moderation selbst verantwortlich, was bedeutet, dass jeder Teilnehmer stets jonglieren muss, was er sagen will und wann er es sagen kann. Dadurch hat jeder wenig Energie, um den anderen wirklich zuzuhören, und das gemeinsame Verständnis leidet.
Zusammengefasst führen traditionelle Meetings zu viel Stress, weniger Ideenvielfalt, niedrigerem gemeinsamen Verständnis und somit zu Frustration bei den Teilnehmern.
Wäre es nicht toll, wenn
- alle zu gleichen Teilen bei der Generierung von Fragen, Ideen und Vorschlägen einbezogen werden?
- nicht jede Person gleich vor der ganzen Gruppe ihre Meinung sagen müsste, sondern sie erst mal nur einer weiteren Person anvertrauen könnte?
- das Gruppendenken gleich im Kern erstickt wird und sich somit das Spektrum an Meinungen und Ideen entfalten kann?
- der Austausch in einem sicheren Rahmen passieren kann, ganz frei von Machtgefällen?
- auf effiziente Art und Weise ein gemeinsames Verständnis erzeugt werden kann?
- Ideen zunächst geschärft werden, bevor sie in der ganzen Gruppe geteilt werden?
- alle bei der Suche nach Antworten integriert wären?
Genau das ermöglicht die Facilitation-Methode 1-2-4-All.
Dabei handelt es sich um eine Methode aus der Sammlung der 33 Liberating Structures. Alle Liberating Structures haben eines gemeinsam: Sie fokussieren sich darauf, die Interaktion zwischen den Menschen zu verändern, nicht aber die Menschen. Da Liberating Structures erst mal anders sind als die übliche Art und Weise, ein Meeting zu moderieren, schrecken noch viele Scrum Master davor zurück, sie in den Scrum Events zu verwenden. Damit du nicht dazugehörst, gebe ich dir in diesem Artikel einen Einstieg in die Anwendung von Liberating Structures in Scrum Events. Die einfachste Struktur, um mit Liberating Structures zu beginnen, stellt dabei 1-2-4-All dar. Wenn du weiterliest, erfährst du alles Nötige, um 1-2-4-All anzuwenden, und ich gebe dir Tipps, wie du die Methode bei Scrum Events einsetzen kannst.
Los geht’s:
Diese Vorbereitungen solltest du treffen, um 1-2-4-All erfolgreich zu facilitieren
Für Liberating Structures ist meist nicht viel Vorbereitung nötig. Hier zeige ich dir aber vier Dinge, an die du denken solltest, bevor du 1-2-4-All anwendest.
- Du benötigst eine Frage oder Einladung, die sich auf ein vorher vorgestelltes Thema, ein zu lösendes Problem oder einen Vorschlag bezieht. Zum Beispiel: „Was sollte nach diesem Sprint für die Nutzer unseres Produkts möglich sein?“
- Du benötigst genügend Platz, damit eine Zusammenarbeit in Paaren und Vierergruppen möglich ist. Falls du 1-2-4-All in einem Onlinemeeting einsetzen willst, dann benötigst du Break-out-Räume.
- Es ist hilfreich, wenn du einen Timer zur Verfügung hast, der für alle sichtbar ist.
- Es ist hilfreich, wenn die Teammitglieder Notizzettel und Stifte zur Hand haben. So können Erkenntnisse gleich festgehalten werden.
Mit dieser Vorbereitung kannst du die Struktur in vier Schritten anleiten:
Die vier Schritte von 1-2-4-All im Detail:
- Leite die Methode damit ein, dass du jeden bittest, eine Minute in stiller Selbstreflexion über eine gemeinsame Herausforderung nachzudenken, die als Frage formuliert wird. Ein Beispiel: „Welche Ideen fallen dir ein, um diese Herausforderung anzugehen?“
- Lade jeden dazu ein, sich zwei Minuten Zeit zu nehmen, um in Paaren Ideen zu entwickeln, die auf den Ideen der Selbstreflexion aufbauen.
- Nun lade die Paare ein, sich ein anderes Paar zu suchen und in diesen Vierergruppen die nächsten vier Minuten zu nutzen, um ihre Ideen, die sie als Paar diskutiert haben, auszutauschen und weiterzuentwickeln. Erinnere alle noch einmal daran, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu achten.
- Im Anschluss bittest du die Vierergruppen, ihre Einsichten, Ideen und Erkenntnisse mit allen anderen zu teilen, indem du die Frage stellst: „Welche Idee ist dir in dem Gespräch besonders in Erinnerung geblieben?“ Jede Gruppe soll dabei nur ihre wichtigsten Ideen mitteilen, sodass dieser Schritt nicht länger als 5 Minuten in Anspruch nimmt.
Dieses einfache Vorgehen lässt sich in den unterschiedlichsten Scrum Events anwenden.
Beispiele für die Anwendung von 1-2-4-All in den Scrum Events
- Sprint Planning: Nutze 1-2-4-All, um Kandidaten für ein mögliches Sprint-Ziel zu finden. Formuliere dazu die Einladung an das Scrum Team: „Was sollte nach diesem Sprint für die Nutzer unseres Produkts möglich sein?“
- Daily Scrum: Nutze 1-2-4-All, um einen Plan für die nächsten 24 Stunden zu finden, um dem Sprint-Ziel einen Schritt näher zu kommen. Verwende dazu die Frage: „Was wäre das beste Resultat, was wir heute erreichen können, um dem Sprint-Ziel näher zu kommen?“ Die Einsichten, die aus den Vierergruppen generiert werden, bilden die To-do-Einträge für den heutigen Tag.
- Sprint Review: Nutze 1-2-4-All, um die Stakeholder einzuladen, das Product Backlog neu zu ordnen. Formuliere dazu die Einladung an die Stakeholder und das Scrum Team: „Was wäre der Eintrag aus dem Product Backlog, den das Team im nächsten Sprint unbedingt angehen sollte?“ Die unterschiedlichen Ideen der Teilnehmer helfen dem Scrum Team zu verstehen, welche Einträge wichtig sind und warum.
- Sprint Retrospektive: Nutze 1-2-4-All, um Ideen im Team zu generieren, was im nächsten Sprint unbedingt beibehalten werden sollte. Verwende dazu die Frage: „Worauf bist du in diesem Sprint besonders stolz, was wir unbedingt in Zukunft beibehalten sollten?“
Diese Beispiele sollten dir einige Ideen liefern, in welchen Scrum Events du 1-2-4-All einfach einsetzen kannst. Wenn du dabei noch Unterstützung benötigst, dann besuche eines meiner „Professional Scrum Facilitation Skills“-Trainings. Neben 1-2-4-All erkläre ich dir noch viele weitere Facilitation-Methoden und du hast die Möglichkeit, sie schon direkt im Training anzuwenden!
Damit der Einstieg wirklich klappt, beschreibe ich dir noch drei Probleme, auf die du wahrscheinlich treffen wirst, und gebe dir Tipps, wie du sie löst.
Drei typische Probleme bei der Verwendung von 1-2-4-All in Scrum Events
Was machst du, wenn du Schwierigkeiten hast, die Zeit exakt einzuhalten?
Es geht nicht so sehr darum, dass die Selbstreflexion exakt eine Minute dauert, zwei Minuten im Paar gesprochen wird und vier Minuten in der Vierergruppe. Worum es eigentlich geht, ist, jedem die Möglichkeit zu geben, selbst erst einen Gedanken zu fassen. Gleichzeitig der Person aber nicht so viel Zeit zu geben, dass sie sich in ihre Idee verliebt und bei der Diskussion mit anderen nicht mehr davon abweichen will. Erkläre der Gruppe, dass es nicht darum geht, die perfekte Idee auszubrüten, sondern nur darum, einen eigenen Gedanken zu fassen, und dass du deshalb die Zeiten in den einzelnen Schritten sehr kurz halten wirst.
Die Gruppengröße passt nicht zu 1-2-4-All
„Funktioniert 1-2-4-All auch mit neun Leuten?“ Dies ist eine der häufigsten Fragen, die mir im „Professional Scrum Facilitation Skills“-Training gestellt wird. Die Antwort lautet: Ja.
Als Facilitator musst du dich hier nur etwas von der starren Regel 1-2-4-All lösen und dich auf eines der Prinzipien hinter den Liberating Structures einlassen. Es geht darum, jeden einzubeziehen: „Include and unleash everyone.“ Sei kreativ, um das umzusetzen, und starte mit einer Minute Selbstreflexion, lass dann drei Dreiergruppen entstehen und ende damit, dass die Ideen mit allen geteilt werden.
In der Vierergruppe können sich die Personen nicht auf eine gemeinsame Idee einigen
Das passiert häufig. Es ist auch nicht das Ziel von 1-2-4-All, dass sich im letzten Schritt jede Vierergruppe auf eine Idee geeinigt hat. Wenn es passiert ist, gut, wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Als Facilitator hast du hier viele Möglichkeiten, wie du damit umgehen kannst. Du kannst entweder mit den unterschiedlichen Ideen weiterarbeiten, eine Priorisierung mit Dot-Voting einleiten oder 1-2-4-All einfach noch mal zur gleichen Frage durchführen.
Jetzt bist du dran! Verwende 1-2-4-All in den Scrum Events, beziehe damit jeden in deinem Scrum Team ein. Wenn du es bereits tust, dann berichte gerne in den Kommentaren davon!