Eine der größten Fehleinschätzungen lautet: Scrum Master sind Facilitatoren.
Viele angehende Scrum Master schrecken davor zurück, ihre Facilitator-Position im Team zu verlassen.
Sie glauben:
- Übernimmt ein Scrum Master die Facilitation, darf er nicht selbst an der Diskussion teilnehmen.
- Nur der Scrum Master ist verantwortlich für die Facilitation der Scrum Events.
Das ist falsch!
Bei diesen Aussagen handelt es sich nicht nur um Mythen, sondern sie halten Teams davon ab, ihre Ziele zu erreichen. Es ist doch so: Als erfahrener Scrum Master hast du bereits viele Teams in unterschiedlichen Situationen unterstützt. Du hast Ideen, wie das Sprint-Ziel knackig in einem Satz zusammengefasst werden kann. Du hast am eigenen Leib erfahren, welche Fragen den Entwicklern im Daily Scrum dabei helfen, ihre Zusammenarbeit zu verbessern. Du weißt, dass Peer Reviews und Pair Programming gute Lösungsvorschläge sind, wenn das Team in der Sprint Retrospektive eine schlechte Code-Qualität als Problem erkannt hat.
Wenn du deine Erkenntnisse nutzt und die oben genannten Vorstellungen überwindest, kannst du deinem Scrum Team auch bei schwierigen Fragen als Mentor zur Seite stehen.
Ich helfe dir dabei, indem wir gemeinsam diese Mythen entschlüsseln.
Übernimmt ein Scrum Master die Facilitation, darf er nicht selbst an der Diskussion teilnehmen
Hast du dich jemals gefragt, warum der Scrum Master im Scrum Schaubild blau dargestellt ist?
Die Farbe Blau repräsentiert die Neutralität.
Neutralität ist ein wichtiger Aspekt für Facilitatoren. Manche gehen sogar so weit und behaupten, Neutralität könne nur erreicht werden, wenn Facilitatoren nicht an der Diskussion teilnehmen.
Aber ist das realistisch? Wenn der Scrum Master die Sprint Retrospektive facilitiert, darf er dann nicht daran teilnehmen?
Sehen wir uns an, was der Scrum Guide dazu zu sagen hat. Im Abschnitt über die Sprint Retrospektive steht:
„Das Scrum Team überprüft, wie der letzte Sprint in Bezug auf Individuen, Interaktionen, Prozesse, Werkzeuge und seine Definition of Done verlief.“
Du hast richtig gelesen, in der Sprint Retrospektive überprüft das ganze Scrum Team, wie der letzte Sprint lief. Das bedeutet: Der Scrum Master nimmt an der Diskussion in der Sprint Retrospektive teil!
Halten wir also fest: Wenn du als Scrum Master die Sprint Retrospektive facilitierst, kannst du auch an der Diskussion teilnehmen. Mit dem Interessenkonflikt zwischen Teilnehmer und Facilitator solltest du ganz offen umgehen. So wird es auch im zweiten Abschnitt des „Statement of Values and Code of Ethics“ vorgeschlagen:
„Wir räumen jeden potenziellen Interessenkonflikt offen ein.“
Dieser Kodex wird von der „International Association of Facilitators“ vertreten. Im Bereich Facilitation stellt sie den Branchenstandard dar.
Ganz konkret mache ich diesen Interessenkonflikt folgendermaßen transparent:
Zu Beginn jeder Sprint Retrospektive erkläre ich kurz meine Rolle: „Als Scrum Master sehe ich es als meine Aufgabe, unser Team durch diese Retrospektive zu begleiten. Da ich Teil des Teams bin und mich auch gerne einbringen will, wähle ich Facilitation-Techniken, die mir dies erlauben. Bitte unterstützt mich dabei, diese Gratwanderung zwischen Facilitator und Teilnehmer gut zu meistern.“
Nur der Scrum Master ist verantwortlich für die Facilitation der Scrum Events
Viele unerfahrene Scrum Master denken, dass sie für die Durchführung der Events in Scrum verantwortlich sind.
Dieser Mythos resultiert häufig daraus, dass diese Zeilen des Scrum Guides fehlinterpretiert werden:
„Der Scrum Master dient dem Scrum Team auf unterschiedliche Weise, unter anderem dadurch, sicherzustellen, dass alle Events von Scrum stattfinden, positiv und produktiv sind und innerhalb der Timebox bleiben.“
Zu Missverständnissen führt das Wort „sicherstellen“. Du solltest „sicherstellen“ hier nicht so interpretieren, dass du einen Entwickler nach dem anderen abfragst, woran er gestern gearbeitet hat. Stattdessen solltest du es so interpretieren, dass du für die Produktivität der Scrum Events die Verantwortung übernimmst. Die Verantwortung zu übernehmen beinhaltet, dass du die Durchführung an andere delegieren kannst. Allerdings bleibst du als Scrum Master für das Resultat rechenschaftspflichtig. Ein schönes Beispiel hierfür bietet das Daily Scrum.
„Falls der Product Owner oder der Scrum Master aktiv an Einträgen des Sprint Backlogs arbeitet, nimmt er als Developer teil. Die Developer können Struktur und Techniken beliebig wählen, solange ihr Daily Scrum sich auf den Fortschritt in Richtung des Sprint-Ziels fokussiert und einen umsetzbaren Plan für den nächsten Arbeitstag erstellt.“
Solange es im Meeting darum geht, sich den Fortschritt in Richtung des Sprint-Ziels anzusehen und den heutigen Arbeitstag zu planen, sind die Entwickler frei darin, wie dieses Event facilitiert wird. Die Entwickler können den Scrum Master bitten, den Termin zu facilitieren. Sie können einen Entwickler für diese Aufgabe ernennen oder ganz darauf vertrauen, dass die Gruppe die Diskussion so gestaltet, dass sich jeder einbringen kann und das Ziel des Events erreicht wird. Als Scrum Master kommst du in allen drei Szenarien deiner Verantwortung für den Scrum Prozess nach.
Mehr noch:
Wenn du als Scrum Master die Facilitation der Scrum Events zur Diskussion stellst und Teammitglieder ermutigst, selbst aktiv zu facilitieren, ermöglichst du deinem Team das Selbstmanagement. Begreife Facilitation als eine Fähigkeit, die in einem Scrum Team wachsen kann und sollte. Je besser Teammitglieder diese Fähigkeit beherrschen, desto besser können sie ihre eigenen informellen Gespräche und Arbeitssitzungen so leiten, dass sie konzentrierter, kreativer und produktiver sind. Der Steigenden Faciliation-Reifegrad in deinem Team spiegelt sich in der effektiveren Zusammenarbeit wieder.
Und das meint der Scrum Guide wirklich mit dem Wort „sicherstellen“ in diesem Satz:
„Der Scrum Master dient dem Scrum Team auf unterschiedliche Weise, unter anderem dadurch, sicherzustellen, dass alle Events von Scrum stattfinden, positiv und produktiv sind und innerhalb der Timebox bleiben.“
Wenn du als Scrum Master eine facilitative Haltung einnimmst, dann erleichterst du die Zusammenarbeit im Team. Du gibst dem Team genügend Struktur, um den Mitgliedern eine positive Zusammenarbeit zu ermöglichen und in Meetings sowie Diskussionen produktive Fortschritte zu erzielen.
Diese Haltung einzunehmen, ist eine Wahl.
Manchmal kann es auch eine bessere Wahl sein, dem Team von deinen Erfahrungen in ähnlichen Situationen zu berichten oder die Facilitation einem anderen Teammitglied zu überlassen. Ob du die richtige Wahl getroffen hast, erkennst du daran, wie gut dein Team seine Ziele erreicht hat.
Wie triffst du deine Entscheidungen in deiner täglichen Arbeit? Schreib es in die Kommentare.