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Der abwesende Product Owner: Eine 5-Schritte-Anleitung, wie unerfahrene Scrum Master dieses heikle Gespräch meistern

July 11, 2024

Erschreckend oft höre ich:

  • Der Product Owner nimmt nicht an der Sprint-Retrospektive teil.
  • Er hat keine Zeit für die Besprechung der Einträge im Product Backlog.
  • Der Product Owner verlässt das Sprint-Planning vorzeitig, da er noch wichtige Termine hat.

Wenn dir diese Situationen bekannt vorkommen, dann wahrscheinlich auch ihre Auswirkungen:

  • Unklare Prioritäten sorgen dafür, dass die Umsetzung wichtiger Einträge im Product Backlog vergessen wird, was zu längeren Lieferzeiten des gesamten Features führt.
  • Missverstandene Anforderungen führen bei der Abnahme zu unzufriedenen Kunden.
  • Das Warten auf eine Rückmeldung vom Product Owner sorgt für lange Wartezeiten und treibt dadurch die Kosten der Entwicklung unnötig in die Höhe.

Scrum Master in einer solchen Situation stehen vor einem heiklen Gespräch:

Zum einen wissen sie, dass sie das Thema ansprechen müssen. Denn ihre Aufgabe ist es, Hindernisse zu beseitigen, die den Fortschritt des Scrum Teams behindern. Mehr noch: Sie wollen dem Scrum Team helfen, sich auf die Schaffung eines hochwertigen Inkrements zu konzentrieren.

Zum anderen ist ihnen bewusst, dass sie bei diesem Thema sensibel vorgehen müssen. Das Letzte, was sie wollen, ist, den Product Owner zu vergraulen. Sie wollen ihn auf keinen Fall als wichtigen Unterstützer auf dem Weg zu mehr Agilität im Unternehmen verlieren.

Solche Gespräche bezeichne ich als heikel. Es kann viel gewonnen, aber auch viel verloren werden. Einiges steht also auf dem Spiel.

 

Mein Tipp für diese Situation:

Bereite dich ausgiebig auf dieses heikle Gespräch vor.

Ich folge dabei immer diesen 5 Schritten:

  • Problem-Check
  • Wie du auf den Product Owner zugehen solltest
  • Einladung zum Gespräch formulieren
  • Das Gespräch meistern
  • Follow-up zum Gespräch nicht vergessen

Im Folgenden stelle ich dir die Schritte im Detail vor. Lass uns im ersten Schritt mit einer Frage beginnen:

Schritt 1: Problem-Check

Handelt es sich wirklich um ein Problem?

Was ich mit dieser Frage meine, lässt sich am besten mit einem Zitat erklären. Es stammt von Dr. Christopher Rauen, einem weltweit anerkannten Psychologen und Leadership-Coach. Er schrieb:

„Es gibt keine Wahrheit, nur Perspektiven. Wer seine Perspektive für die Wahrheit hält, fühlt sich sicherer. Daher ist diese Annahme so beliebt.“

Soll heißen: Nur weil wir glauben, dass die Abwesenheit des Product Owners in der Sprint-Retrospektive ein Problem ist, muss es kein Problem sein. Deshalb sollten wir im ersten Schritt bei den Entwicklern nachfragen, ob es für sie ein Problem darstellt. Wir können auch die Stakeholder fragen, was sie an der Zusammenarbeit mit dem Scrum Team stört.

Wenn du genügend Hinweise gefunden hast, die dich überzeugen, dass die Abwesenheit des Product Owners in der Sprint-Retrospektive tatsächlich ein Problem ist, solltest du zum nächsten Schritt übergehen.

Schritt 2: Wie du den Product Owner ansprechen solltest

Vermeide es, die Rolle der Scrum-Polizei einzunehmen.

Aus schmerzhafter Erfahrung weiß ich, dass das Argument „Es steht so im Scrum Guide ...“ nur in einem von zehn Fällen das gewünschte Resultat erzielt. Die meisten Menschen werden ungern belehrt.

Wie kannst du also den Product Owner ansprechen, um wirklich Gehör zu finden?

Hierfür verwende ich das DISG-Modell, wobei DISG für folgende Persönlichkeitstypen steht:

  • D = Dominant
  • I = Initiativ
  • S = Stetig
  • G = Gewissenhaft

Die Buchstaben beschreiben vier Persönlichkeitstypen:

  • Dominant: Sieht das große Ganze, kann unverblümt sein, akzeptiert Herausforderungen, kommt direkt auf den Punkt und hört gerne Lösungsoptionen.
  • Initiativ: Zeigt Enthusiasmus, ist optimistisch, schätzt Zusammenarbeit, mag Neues, bevorzugt eine aufregende Atmosphäre und ein ansprechendes Gesamtbild.
  • Stetig: Mag es nicht, gehetzt zu werden, ist eher ruhig und bedacht, sucht Unterstützung, ist bescheiden, fühlt sich in Sicherheit wohl und bevorzugt nur kleine Veränderungen.
  • Gewissenhaft: Ist methodisch, schätzt Unabhängigkeit, ist sachlich, fürchtet Fehler und bevorzugt solide, nachweislich klare, transparente und gut aufbereitete Fakten und Zahlen.

Ich bin der Meinung, dass sich nicht jeder Mensch eindeutig einem dieser Typen zuordnen lässt.

Dennoch ist eine grobe Einordnung für die Vorbereitung auf das Gespräch hilfreich. Nach vielen heiklen Gesprächen bin ich überzeugt, dass manche Menschen eher Fakten und Daten hören wollen, während andere sich von einer Geschichte überzeugen lassen. Und es gibt Menschen, die vom großen Ganzen begeistert werden.

Wenn du dich beispielsweise auf ein Gespräch mit einer dominanten Person vorbereitest, dann solltest du direkt zum Punkt kommen und Lösungen anbieten.

Dieses Wissen hilft dir auch, eine passende Einladung zum Gespräch zu formulieren, womit wir zum dritten Schritt gelangen.

Schritt 3: Einladung zum Gespräch formulieren

So könnte eine Einladung aussehen:

Hallo Tom!

Ich habe bemerkt, dass du an den letzten drei Sprint-Retrospektiven nicht teilgenommen hast. Ich glaube, dass deine Teilnahme dem Team helfen kann, bessere Lösungen zu finden, damit wir termingerecht liefern können.

Ich würde gerne mit dir nach einer Lösung suchen, damit du auch an den Retrospektiven teilnehmen kannst. Dazu schlage ich ein persönliches Treffen vor.

Hier sind einige mögliche Termine für unser Treffen:

  • [Datum und Uhrzeit Option 1]
  • [Datum und Uhrzeit Option 2]
  • [Datum und Uhrzeit Option 3]

Bitte lass mich wissen, welche Zeit dir am besten passt.

Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit!

Viele Grüße

Beim Formulieren der Einladung bin ich davon ausgegangen, dass Tom eine eher dominante Persönlichkeit ist, und habe deshalb Wert darauf gelegt, direkt zum Punkt zu kommen.

Schritt 4: Das Gespräch meistern

Zwei Tipps für dieses Gespräch:

  • Erstens: Das DISG-Modell hilft dir, die passende Ansprache und die Argumente zu wählen, die es wahrscheinlicher machen, dass du Gehör findest.
  • Zweitens: Folge einer klaren Agenda im Gespräch. Dadurch verlierst du das Ziel des Gesprächs nicht aus den Augen.

Ich nutze hierzu diese Agenda, die aus 6 Schritten besteht:

  1. Baue eine Beziehung auf: „Schön, dass du dir Zeit genommen hast. Ich freue mich, dass der Termin geklappt hat. Für mich beginnt der Tag dadurch mit einem Erfolg. Welches kleine Erfolgserlebnis hattest du heute schon?“
  2. Teile deine Beobachtungen und die Auswirkungen: „Ich habe beobachtet, dass du an den letzten drei Sprint-Retrospektiven nicht teilnehmen konntest. Ich fürchte, dies wirkt sich negativ auf die vereinbarten Liefertermine mit unserem Kunden aus, da wir noch keine Verbesserung finden konnten, wie wir den Abnahmeprozess beschleunigen können. Das Problem mit dem Abnahmeprozess ist nur eines von mehreren, welche unsere regelmäßige Aufmerksamkeit und Verbesserung erfordern.“
  3. Erkunde Gemeinsamkeiten. Hier willst du verstehen, wie dein Gegenüber die Situation wahrnimmt. „Wie nimmst du die Situation wahr?“
  4. Suche gemeinsam nach Lösungsoptionen. Im Fall einer dominanten Persönlichkeit ist es hilfreich, hier einige Vorschläge zu machen. „Wie wäre es, wenn wir den Termin für die Retrospektive verschieben, damit du keine Terminüberschneidung hast? Wie wäre es, wenn du nur an jeder zweiten Retrospektive teilnimmst? Wie wäre es, wenn du uns einen Ansprechpartner nennst, der dich in allen Produktentscheidungen vertreten kann, den wir zur Retrospektive einladen können? Welche dieser Möglichkeiten könntest du dir vorstellen?“
  5. Verbindlichkeit herstellen. Versuche nicht auf der 100-%-Lösung zu beharren, sondern komme deinem Gegenüber entgegen. Suche die 80-%-Lösung, die ihr für einen gewissen Zeitraum ausprobieren wollt. „Okay. Habe ich es richtig verstanden, dass du jede zweite Retrospektive kommen wirst, wenn wir diesen Termin um eine Stunde vorverlegen können? Wollen wir dies für 2 Monate versuchen und dann besprechen wir, ob wir es beibehalten wollen oder was wir noch verbessern können?“
  6. Abschluss: „Vielen Dank für das offene Gespräch. Ich weiß sehr zu schätzen, wie sehr dir der Erfolg unseres Teams am Herzen liegt.“

Schritt 5: Follow-up zum Gespräch nicht vergessen

Das Follow-up kann eine E-Mail sein, in der die Entscheidung noch einmal festgehalten ist, oder eine Terminanfrage für ein weiteres Gespräch.

Wenn du noch mehr lernen willst, wie du heikle Gespräche meistern kannst, dann findest du hier einen weiteren Artikel zum Thema:

Wie du als Scrum Master souverän schwierige Gespräche führst


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