Wenn Informationen nur einen Klick entfernt sind, – welche Rolle spielt dann noch der Trainer?
Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftige ich mich mit Trainings. Ich besuche pro Jahr mindestens drei Seminare. Seit fünf Jahren bin ich Professional-Scrum-Trainer und habe bereits über 2000 Teilnehmer unterrichtet. Und in meinen „Training from the Back of the Room“-Workshops bilde ich selbst seit dem Jahr 2022 Trainer aus.
Je mehr Zeit ich damit verbringe, desto häufiger fällt mir auf, dass in unserer heutigen Welt, die voller Informationen steckt, neue Trainer oft einen großen Fehler machen.
Das größte No-Go: zu viel Theorie auf Kosten von Interaktion
Wenn ich von Interaktion spreche, meine ich:
- praktische Anwendung der Theorie im Training
- Diskussionsraum für die Seminarinhalte im Anschluss an die Erklärung
- Reflexionsphase zwischen den Inhaltsblöcken
Ich bin mir sicher, dass du die Auswirkungen von fehlender Interaktion schon in einem Seminar erlebt hast. Es sind die PowerPoint-Präsentationen, die sich anfühlen, als würde die Zeit stillstehen.
Die schmerzhaften Auswirkungen von Frontalbeschallung für Trainer
Diese Auswirkungen spüren nicht nur die Teilnehmer am eigenen Leib, sondern auch die Trainer.
In meinen 1:1-Coaching-Sessions berichten mir angehende Trainer regelmäßig von diesen Erlebnissen:
- „Die Teilnehmer im Seminar sind so passiv. Sie melden sich nicht zu Wort.“ Ein Trainer berichtete mir sogar, dass sich im Brillenglas eines Teilnehmers das geöffnete Outlook-Fenster spiegelte.
- Die Teilnehmer im Onlinetraining hätten häufig nicht ihre Kamera an. So wisse man als Trainer nicht, wer wirklich da ist und wer nicht.
- Es ist bereits schlimm genug, als Trainer nur einen schwarzen Bildschirm zu unterrichten. Nach dem Training hagelt es in Feedbackbögen und Bewertungen zusätzlich schlechte Kritiken. Oder noch schlimmer: keine Bewertungen. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass die Teilnehmer keine weitere Minute mehr mit dem Training verbringen wollten.
Dabei ist den Trainer-Neulingen kein Vorwurf zu machen.
Drei Gründe, warum Trainer die Lehrinhalte an erste Stelle setzen
Als angehende Trainer kennen wir es nicht anders.
- Ein Großteil meiner Schulstunden wurde als frontaler Vortrag an der Tafel unterrichtet. In Vorlesungen an der Universität waren Fragen und Diskussionen nicht erwünscht.
- Wir Trainer erhalten von Trainingsinstituten oft sehr umfangreiche Unterlagen. Selbst ohne praktische Übungen ist es kaum möglich, den ganzen Stoff zu vermitteln.
- Die meisten Trainer sind Fachexperten und keine ausgebildeten Didaktiker oder Neurowissenschaftler. Wir haben Erfahrung in der Anwendung der Theorie, aber nicht darin, wie sie unterrichtet wird.
Die Einsicht, die dir hilft, langfristig passive Teilnehmer zu vermeiden
Wie können wir diesen Fehler also vermeiden?
Du könntest jetzt eine Liste von Aktivitäten googeln. Diese kannst du in deinem Training verwenden. So wird dein Training interaktiver.
Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass dies keine langfristige Verbesserung deiner Seminare bewirkt. Aktive Teilnehmer und positive Bewertungen stellen sich erst dann ein, wenn du den folgenden Unterschied verstanden hast:
Es gibt Lehrziele und Lernziele.
Betrachten wir ein Beispiel, dann siehst du den Unterschied sofort:
- „Der Dozent wird Fallstudien verwenden, um die Anwendung der Scrum-Theorie zu demonstrieren.“
- „Die Teilnehmer können die drei Grundprinzipien von Scrum erklären.“
Was fällt dir auf? Lehrziele sind aus der Sicht der Lehrkraft geschrieben. Sie rücken den Dozenten ins Zentrum. Sie konzentrieren sich darauf, welche Inhalte vermittelt werden sollen. Außerdem konzentrieren sie sich darauf, welche Methoden dabei zum Einsatz kommen. Lernziele hingegen stellen den Lernenden in den Mittelpunkt. Sie sind konkret und messbar und dienen als Leitfaden dafür, welche Kompetenzen die Lernenden erwerben sollen. Sie konzentrieren sich also auf die Ergebnisse des Lernenden.
Nachdem du diesen Unterschied kennst, lass mich dir einen Tipp geben. So kannst du diese Einsicht sofort nutzen, um deine Seminare zu verbessern.
Mein Tipp: Nutze Lernziele statt Lehrzielen
Keine Sorge, es klingt komplizierter, als es ist.
Ich verwende dazu die Taxonomie von Bloom. Damit lassen sich schnell und einfach Lernziele formulieren. Die Taxonomie von Bloom ist ein anerkanntes Klassifikationssystem für Lernziele. Sie wurde im Jahr 1956 von Benjamin Bloom entwickelt und seither stetig von anderen Psychologen und Erziehungswissenschaftlern weiterentwickelt.
Hier die Taxonomie in der Übersicht:
Wie können wir die Stufen nutzen, um Lernziele zu formulieren?
Betrachten wir noch einmal das Beispiel:
„Der Dozent wird Fallstudien verwenden, um die Anwendung der Scrum-Theorie zu demonstrieren.“
Wenn du die Kompetenzen, die die Lernenden erwerben sollen, in den Vordergrund stellen möchtest, stelle dir zum Beispiel folgende Fragen:
- Kann der Lernende die Theorie hinter Scrum wiedergeben?
- Kann der Lernende die Theorie hinter Scrum in eigenen Worten erklären?
- Kann der Lernende die Theorie hinter Scrum mit anderen diskutieren?
- Kann der Lernende die Theorie hinter Scrum mit der Theorie hinter klassischem Projektmanagement vergleichen?
- Kann der Lernende die Theorie hinter Scrum selbst formulieren?
Wie du siehst, folgen die Fragen immer dem gleichen Schema. Am Ende steht eine Kompetenz aus der Taxonomie-Stufe.
Wie du auch sehen kannst, beschreibt jede der Kompetenzen in der Taxonomie das Gegenteil von „passiven Teilnehmern“. Wenn Teilnehmer etwas wiedergeben, erklären, diskutieren, vergleichen oder selbst formulieren, sind sie aktiv.
Somit steckt der Schlüssel zu aktiver Beteiligung in der Zielsetzung des Seminars. Also in der Frage:
Willst du etwas lehren, oder willst du, dass die Teilnehmer lernen?
Wenn du dich für „lernen“ entscheidest, dann besteht der erste Schritt in der Formulierung von Lernzielen. So verlierst du diese Ziele nie aus den Augen.
Wie die Konzentration auf Lernziele zu besseren Bewertungen führt
Betrachten wir, was Daniel Lutz nach dem Besuch eines „Training from the Back of the Room“-Workshops von mir schreibt:
„[…] Das Material ist ebenfalls super praktisch und ich habe bei keinem Training zuvor so viel geschrieben, gesprochen, präsentiert und geteilt. […]“
Wie du lesen kannst, finden sich in der Rezension die Kompetenzen der Bloom-Taxonomie wieder. Warum ist das so? Meiner Ansicht nach bringt Jay Cross in seinem Buch „Informal Learning“ diesen Zusammenhang am besten auf den Punkt:
„Lernen ist sozial. Wir lernen von, durch und mit anderen Menschen.“
Das hat eine Bedeutung für uns Trainer. Wenn wir die Teilnehmer in der Schulung motivieren, über die Inhalte zu diskutieren, hat das einen dauerhaften Effekt. Sie werden damit nicht einfach aufhören, wenn das Seminar zu Ende ist. Sie diskutieren darüber mit ihren Kollegen oder sogar öffentlich in Form eines Reviews. Mehr noch: Je stärker ich die Interaktion über die Theorievermittlung stelle, desto positivere Rückmeldungen erhalte ich. Das sollte uns nicht weiter verwundern. Informationen sind nur einen Klick entfernt. Die Diskussion und der Austausch mit anderen sind jedoch nicht so einfach zu erreichen.
Somit ist Interaktion im Training der Schlüssel zu aktiven Teilnehmern und positiven Reviews.