In vielen meiner Trainings nutze ich Interviews.
Dabei dürfen die Teilnehmer einen anderen Teilnehmer oder mich interviewen. Im „Professional Scrum Master - Advanced“-Kurs sogar ihren Product Owner, der nicht am Training teilnimmt. Für viele Teilnehmer ist dies eine neue und ungewohnte Situation. Wenn sie sich auf das Wagnis einlassen, beobachte ich immer wieder, wie sie über sich hinauswachsen und Neues lernen. Einige Teilnehmer überfordern Interviews jedoch. Ihr Kopf wird rot oder ihre Atmung sehr flach. An Lernen ist jetzt nicht mehr zu denken.
Woran liegt das?
Die Antwort ist die erste Einsicht, die ich in meinen über 150 Trainings in den letzten vier Jahren gewonnen habe.
Lektion 1: Lernen beginnt außerhalb der Komfortzone, endet allerdings sofort in der Gefahrenzone
Was meine ich damit?
Den Unterschied zwischen Komfort- und Gefahrenzone beschreibt am besten das Lernzonenmodell des Sozialpädagogen Tom Senninger.
Es beschreibt, in welchem Bereich Lernen wirklich stattfindet:
- Komfortzone: Dort fühlen wir uns sicher. Wir tun die Dinge routiniert. Die Abläufe sind bekannt und alles funktioniert wie gehabt.
- Lernzone: Wenn wir uns regelmäßig außerhalb der Komfortzone bewegen, dann erweitern wir unsere Komfortzone. Wir lernen, bewusst oder unbewusst, uns dort zu orientieren und uns nach und nach dort sicher zu fühlen. Demzufolge haben wir etwas Neues erfahren. Wir haben etwas Neues gelernt.
- Gefahrenzone: Bewegen wir uns zu weit aus der Komfortzone heraus, dann schaltet unser Gehirn auf „Notfallbetrieb“: Kampf oder Flucht! Der Adrenalinspiegel steigt. Die Atmung wird schnell und flach. Im schlimmsten Fall drohen Kontrollverlust und Panik.
Nochmal zurück zum Beispiel des Interviews:
Nutzen wir das Lernzonenmodell, erkennen wir, dass ein Interview zu führen für die meisten Teilnehmer außerhalb der Komfortzone liegt. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass die Übungen im Training nicht in der Gefahrenzone liegen. Wie kann das gelingen?
Eine Möglichkeit, diesen Spagat zu schaffen, ist das „Right to pass“. Jeder Teilnehmer darf zu jedem Zeitpunkt im Training diese Karte ziehen. Er signalisiert damit, dass er bei dieser Übung aussetzt. Diese Regel ist so einfach und doch so hilfreich, dass ich sie jedem angehenden Trainer in meinen „Training from the Back of the Room“-Schulungen ans Herz lege.
Die „Right to pass“-Karte stellt eine einfache Möglichkeit dar, für mehr psychologische Sicherheit in Schulungen zu sorgen. Eine weitere folgt jetzt:
Lektion 2: Klare Erwartungen schaffen mehr Sicherheit
Wie sollte ein Training beginnen?
Es widerstrebt mir, ein Training damit zu beginnen, über Organisatorisches zu sprechen – etwa die Zeiten für die Mittagspause und Informationen zur Prüfung. Als Trainer empfinde ich das als Zeitverschwendung. Wir verschwenden damit kostbare Lernzeit.
Wenn ich es aber nicht tue, dann lautet in neun von zehn Fällen die erste Frage im Training: „Was müssen wir für die Prüfung machen?“ Ich verstehe den Grund hinter dieser Frage. Zu wissen, wann Pause ist und wie die Prüfung abläuft, gibt Sicherheit. Es ermöglicht, sich voll und ganz auf die Inhalte zu konzentrieren.
Wie sieht also ein guter Kompromiss aus?
Über die Jahre habe ich viel ausprobiert und letztlich bin ich bei folgendem Vorgehen geblieben: Ich teile den Teilnehmern bereits vor dem Training alle Informationen zur Prüfung mit. Zu Beginn des Trainings brauche ich dann nur zu erwähnen, wo die Teilnehmer die Informationen nochmals nachlesen können und dass ich am Ende des Trainings nochmal auf alle Fragen eingehen werde.
Die Einsicht: Stelle ich den Teilnehmern die Informationen zum Training vorab zur Verfügung, gibt es ihnen die nötige Sicherheit, damit wir im Training gleich mit den Inhalten beginnen können.
Und jetzt das Paradoxe:
Lektion 3: Verpflichtende Vorbereitungen scheitern oft
Dies gilt nicht für inhaltliche Vorbereitung.
Die meisten Teilnehmer in meinen Schulungen lesen die Informationen zur Prüfung vorab. Allerdings ignorieren sie den Hinweis, wie sie sich inhaltlich vorbereiten sollen. Ich biete etwa im „Professional Scrum Product Owner – Advanced“-Training die Teilnehmer zu Beginn, die unterschiedlichen Haltungen eines Product Owners vorzustellen. Die Antwort, die ich mit Abstand am häufigsten höre, lautet: „Ich hatte keine Zeit, mich vorzubereiten.“
Die Lehre aus meinen Erfahrungen: Nicht voraussetzen, dass sich die Teilnehmer inhaltlich auf das Training vorbereiten.
Lektion 4: Die Vorteile eines Ko-Trainers nutzen
Einige meiner größten Fehler im Training:
- Vergessen Instruktionen für die Übung zu erklären
- Die Reihenfolge der Übungen durcheinanderbringen
- Break-out-Session zu früh öffnen, ohne alle Fragen zu beantworten
Wahrscheinlich könnte ich die Liste noch ewig weiterführen. Aber worauf will ich hinaus?
Im Training ist die kognitive Belastung für den Trainer sehr hoch.
Oder vereinfacht gesagt: Wir müssen an sehr viele Dinge gleichzeitig denken, damit die Teilnehmer eine gute Erfahrung im Training haben. Die kognitive Belastung beschreibt das Ausmaß der mentalen Ressourcen, die aufgewendet werden müssen, um die Aufgabe erfolgreich abzuschließen. Allerdings ist die menschliche Kapazität, Informationen aufzunehmen sowie zu verarbeiten, begrenzt. Das Arbeitsgedächtnis kann etwa sieben Konzepte bzw. Wissensinhalte kurzzeitig speichern und verarbeiten. Du kannst es selbst überprüfen: Versuche dir eine siebenstellige Telefonnummer zu merken. Kurzfristig sollte es dir noch gut gelingen. Versuche es nun mit zehn Stellen. Hierfür brauchen die meisten Menschen bereits einen Notizzettel.
Zu hohe kognitive Belastung im Training führt dazu, dass wir vergessen Dinge zu erwähnen, Fehler machen und am Ende des Trainings sehr erschöpft sind. Deshalb ist es hilfreich, diese Last auf vier Schultern zu verteilen. Arbeitest du mit einem Ko-Trainer zusammen, dann kann sich etwa ein Trainer um die Vermittlung des Inhalts und der andere um die Durchführung kümmern. Das Ergebnis ist eine bessere Erfahrung für die Teilnehmer.
Mehr noch: Über die Jahre habe ich mit unzähligen Ko-Trainern zusammengearbeitet. Welche weiteren Vorteile das für deine Entwicklung als Trainer hat, kannst du hier nachlesen: „Warum solltest du Schulungen gemeinsam mit einem Ko-Trainer durchführen? 2 Vorteile der Zusammenarbeit und wie du dich dadurch aktiv weiterentwickelst.“
Zum Abschluss noch ein Thema, über das in der Trainer-Gemeinde sehr kontrovers diskutiert wird:
Lektion 5: Die Grenzen der Gruppengröße erkennen – vertraue auf die Wissenschaft
Nach einer aktuellen Studie sollten an Onlinetrainings nur maximal 12 bis 15 Lernende teilnehmen.
Weitere Ergebnisse der Studie zeigen, dass große Klassen (mehr als 40 Studierende) effektiv für den Erwerb von Grundlagen- und Faktenwissen sind, die weniger individuelle Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden erfordern. Kleine Klassen (weniger als 15 Studierende) sind für Kurse geeignet, die das Denken in höheren Kategorien, die Beherrschung komplexer Kenntnisse und die Entwicklung von Fähigkeiten der Studierenden fördern sollen.
Die Autoren Taft, Kesten und El-Banna schließen daraus, dass die Klassengröße von der pädagogischen Absicht bestimmt werden sollte. Soll heißen: Wenn es im Training darum geht, die Fähigkeiten der Teilnehmer zu verbessern, dann sollte die Gruppengröße 15 Personen nicht überschreiten.
Was soll ich sagen? Nach einigen Onlinetrainings mit über 20 Teilnehmern bin ich zum gleichen Ergebnis gekommen. Und Trainer, die davon abweichen, haben wohl mehr ihren Umsatz als das Wohl der Lernenden im Blick.