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4 Hindernisse bei Team-Entscheidungen und wie du sie überwindest

May 16, 2024

Wer kennt diese Situation nicht?

Gegen Ende der Retrospektive hat das Team zwei Maßnahmen zur Verbesserung des nächsten Sprints erarbeitet. Ein kurzes Dot-Voting liefert keine Entscheidung darüber, welche Maßnahme umgesetzt werden soll. Nun versucht das Team, die beiden Optionen noch einmal genauer zu bewerten. Aber die anschließende Erstellung einer Pro-Kontra-Liste liefert ebenfalls keine Entscheidung.

Was nun?

In eine solche Situation geraten wir schnell, wenn die Anzahl der Lösungsoption zu früh oder schnell stark eingeschränkt wird. Dies stellt das erste Hindernis bei der Entscheidungsfindung dar.

Hindernis 1: Ein zu enger Entscheidungsrahmen

Welche Auswirkungen hat dieses Hindernis auf die Entscheidung?

Der Prozess der Entscheidungsfindung steckt in einer Sackgasse. Du erkennst diese Situation, wenn Methoden wie Dot-Voting, Pro-Kontra-Listen oder Roman-Voting keinen klaren Gewinner liefern.

Wie kannst du dem Team in der Sackgasse helfen?

Hilf deinem Team, einen Schritt zurückzutreten und die Vorschläge oder Optionen noch einmal zu hinterfragen. Es geht darum, den Entscheidungsrahmen zu erweitern. Mir gelingt das mit Fragen. Hier meine drei Lieblingsfragen:

  • Frage nach einem Kompromiss: Welche Möglichkeiten gibt es, Option A und B zu verwirklichen?
  • Frage nach neuen Optionen: Wenn die aktuellen Optionen nicht mehr verfügbar wären, was wäre dann möglich?
  • Frage nach tatkräftiger Unterstützung: Was würde Superman in dieser Situation tun?

Natürlich ist Superman hier nur ein Platzhalter.

Du kannst auch Harry Potter verwenden. Ich meine es ernst. Die Nutzung eines fiktiven Charakters hilft, die Entscheidung mit weniger Einschränkungen zu betrachten. Bekanntlich kann Superman fliegen und Harry Potter zaubern, was den Entscheidungsrahmen beträchtlich erweitern sollte.

Genug von Helden und Zauberern, widmen wir uns der Herde:

Hindernis 2: Der Herde folgen, ohne die Entscheidung selbst zu überprüfen

Je mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind, desto besser ist die Entscheidung.

Klingt plausibel? Mehr Menschen bedeutet mehr Sichtweisen und mehr Sichtweisen bedeuten, dass weniger Unbekanntes im Verborgenen bleibt. Eigentlich eine stimmige Rechnung. Leider wird dieser potenzielle Vorteil durch die Dynamik in Gruppen schnell zunichtegemacht, da Teams von Natur aus zum Herdendenken neigen.

Die Auswirkungen? Die Mitglieder bestätigen sich gegenseitig in ihren Überzeugungen, anstatt nach neuen Optionen zu suchen. Dieser Effekt verstärkt sich zunehmend, je mehr sich das Team einem Konsens nähert. Denn sobald wir das Gefühl haben, dass das Team bereits einen Konsens gefunden hat, fällt es uns schwerer, einen Einwand zu äußern. Warum ist das so? Ganz einfach: Wir wollen nicht als „Neinsager“ oder „Querulant“ in der Gruppe wahrgenommen werden, sondern als „Teamspieler“.

Wie lässt sich Herdendenken vorbeugen?

Dazu habe ich schon viel probiert. Allerdings komme ich in meiner täglichen Arbeit immer wieder auf diese zwei Grundprinzipien zurück:

  • Ermögliche den Teammitgliedern, unabhängig voneinander Ideen und Lösungsvorschläge für Probleme zu brainstormen. Hier bietet sich die Methode 1-2-4-All an. Wie du sie nutzt, kannst du hier ausführlich nachlesen.
  • Sorge bei einer Abstimmung unter allen Umständen dafür, dass jeder im Team seine Wahl verdeckt trifft und das Ergebnis gleichzeitig für alle sichtbar gemacht wird. Dies geht besonders einfach in Online-Meetings. Das digitale Whiteboard Mural hat beispielsweise die Funktion „verdecktes Abstimmen“.

Herdendenken ist ein Hindernis in jedem Meeting – und ebenso sind es Emotionen.

Hindernis 3: Sich von kurzfristigen Emotionen leiten lassen

Emotionale Impulse können gefährliche Berater sein.

Wenn es dir wie mir geht, hast du bestimmt schon Entscheidungen bereut, die du in einem emotionalen Moment getroffen hast. Was für Einzelpersonen gilt, verstärkt sich durch den Herdeneffekt oft noch mehr. Der gängige Ratschlag in emotionsgeladenen Situationen – „Vertage die Entscheidung auf morgen“ – ist häufig nicht praktikabel. Bedenken wir nur die Kosten, die dem Unternehmen entstehen, wenn wir morgen ein neues Meeting ansetzen müssen. Die Frage, die sich stellt:

Wie können wir die Emotionen aus dem Spiel nehmen, um jetzt eine gute Entscheidung zu treffen?

Die perfekte Antwort kann ich dir auch nicht liefern. Aber ich kann dir zwei Methoden vorstellen, die ich in solchen Situationen nutze.

Beide folgen dem Grundsatz: Verlangsame das Denken im Team.

Hier die Methoden im Detail:

Zeitreise-Fragen: Angenommen, diese (emotionsgeladene) Entscheidung wird so getroffen:

  • Wie würdest du dich mit dieser Entscheidung in 10 Minuten fühlen?
  • Wie würdest du dich in 10 Tagen fühlen?
  • Wie in 10 Wochen?
  • Wie in 10 Monaten?
  • Wie in 10 Jahren?

 

Lade jeden im Team erst einmal ein diese Fragen für sich schriftlich zu beantworten. Die schriftliche Beantwortung verlangsamt das Denken noch weiter. Im Anschluss lade die Mitglieder des Teams ein ihre Antworte laut vorzulesen. 

Inferenzleiter: Bevor eine Entscheidung getroffen wird, versuchen wir, die Fakten von Emotionen zu trennen.

Dieses Vorgehen ist als Inferenzleiter bekannt und geht auf die Arbeiten des Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlers und Harvard-Professors Chris Argyris zurück.

Hier die Schritte im Detail:

  1. Was sind die beobachtbaren Daten und Fakten?
  2. Welche Daten sind für die Entscheidung relevant?
  3. Welche Bedeutung haben diese Daten für die Entscheidung?
  4. Welche Annahmen hast du bei der Interpretation der Daten getroffen?
  5. Welche Schlussfolgerungen ziehst du jetzt?
  6. Zu welchen Überzeugungen kommst du dadurch?
  7. Wie entscheidest du dich nun?

Aus meiner Erfahrung können Emotionen so schnell vergehen, wie sie gekommen sind.

Durch die Anwendung dieser Methoden können wir es schaffen, das Denken im Team kurzzeitig zu verlangsamen, bis sich die Emotionen wieder etwas verflüchtigt haben. Das ebnet uns letztendlich den Weg zu einer guten – weniger emotionsgeladenen – Entscheidung.

Neben einem zu engen Entscheidungsrahmen, Herdendenken und Emotionen stellt sich noch ein weiteres Hindernis in den Weg zu einer guten Entscheidung.

Hindernis 4: Zu viel Vertrauen in die erste Information

Wie würdest du diese beiden Fragen beantworten?

  • Ist Reykjavík mehr als 3000 Kilometer von München entfernt?
  • Wie groß schätzt du die Distanz zwischen Reykjavík und München?

Wenn es dir wie den meisten Menschen geht, hat die in der ersten Frage genannte Zahl von 3000 Kilometern (von mir willkürlich gewählt) deine Antwort auf die zweite Frage beeinflusst.

Ich stelle diese Fragen regelmäßig im „Professional Scrum Master“-Training, und es zeigt sich: Die Antworten auf die zweite Frage steigen um viele hundert Kilometer, wenn ich eine größere Zahl in der ersten Frage verwende. Dieser einfache Test veranschaulicht ein Phänomen: den Ankereffekt. Der Ankereffekt führt dazu, dass unser Gehirn der ersten Information, die wir erhalten, ein unverhältnismäßig hohes Gewicht beimisst.

Warum erzähle ich dir diese Geschichte?

Weil ich dich warnen will. Ankern kann unser Gehirn dazu verleiten, eine vermeintliche Abkürzung zu nehmen, indem es sich an der letzten Information orientiert, um sich anstrengendes Nachdenken zu ersparen. Noch mehr: Aus meiner Sicht lässt sich Ankern häufig nicht verhindern. Es passiert unbewusst. Wenn die erste Person anfängt, eine Abschätzung für den Aufwand der Arbeit zu teilen, kann diese Prognose sofort die anderen Schätzungen ankern.

Was kannst du gegen unbewusstes Ankern unternehmen?

Tiefer graben.

Hier drei einfache Methoden, die du nutzen kannst, um weitere Informationen zu erarbeiten und somit den Ankereffekt abzumildern:

  • „5 Warum“-Methode: Diese Methode hilft, die Ursachen eines Problems zu ergründen.
  • Fischgräten-Diagramm: Diese Methode zur Visualisierung zeigt tief verborgene Ursachen eines Problems.
  • Pre-Mortem: Damit werden Schwachstellen in Lösungen analysiert.

Mehr zu diesen Methoden und wie du sie in einer Sprint-Retrospektive nutzen kannst, kannst du in meinem Artikel „3 Archäologie-Methoden: Wie du tief vergrabene Probleme in Sprint-Retrospektiven freilegst“ nachlesen.

Jetzt kennst du vier Hindernisse, die einer guten Entscheidungsfindung im Weg stehen.

Übrigens – ich bin fest davon überzeugt, dass eine der ersten Fähigkeiten, die Scrum Master erlernen sollten, die Facilitation von guten Entscheidung im Teams ist.

- Damit unterstützt du Teams dabei, ihre Ziele zu erreichen, – ohne in endlose Diskussionen zu verfallen.

- Du sparst deinem Unternehmen Geld, indem Meetings wirklich mit einer Entscheidung enden und nicht mit einem weiteren Meeting.

- So geht's: Besuche die „Professional Scrum Facilitation“-Schulung.


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