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3 unkonventionelle Liberating Structures: So verbesserst du nachhaltig Ideenfindung, Austausch und Zusammenarbeit in den Scrum Events

August 26, 2024

In diesem Artikel habe ich dir erzählt, wie ich dazu gekommen bin, Liberating Structures zu nutzen.

Hier die Kurzfassung davon:

  • Im Jahr 2016 las ich in einem Buch darüber.
  • Dann besuchte ich ein Training in Amsterdam dazu.
  • Ich fing an, erste Strukturen in Scrum Teams zu nutzen.

Wenn ich darüber nachdenke, erkenne ich darin ein Muster. Neue Liberating Structures bringen mich dazu, meine Komfortzone zu verlassen und mich in die Lernzone zu begeben.

Wenn ich über eine Struktur zum ersten Mal lese, befinde ich mich in meiner Komfortzone. Ich bin fasziniert von ihrem möglichen Potenzial. Gleichzeitig kann ich mir nicht vorstellen, wie sich das Potenzial entfalten soll. Ich habe erst ein Bild vor Augen, wie die Struktur wirklich funktioniert, wenn ich sie bei erfahrenen Facilitatoren in Aktion sehe. Nachdem ich weiß, wie sie sein sollte, kann ich damit beginnen, selbst zu experimentieren. Durch das Gefühl der Unsicherheit beim ersten Anwenden weiß ich, dass ich in der Lernzone angekommen bin.

Besonders stark war dieses Gefühl bei eher weniger bekannten oder etwas unkonventionellen Strukturen. Davon stelle ich dir heute drei vor. In der Hoffnung, dass dich das Lesen auch inspiriert, sie einmal erleben zu wollen oder vielleicht selbst auszuprobieren.

Los geht’s:

Liberating Structure 1: 25/10 Crowdsourcing

Hinter dem Begriff Brainstorming verbirgt sich so viel.

Schlecht angeleitet kann es zu diesen Problemen führen:

  • Ungewohnte Vorschläge und Ideen werden vorzeitig kleingeredet.
  • Die vermeintlich besten Ideen kommen von den „Mächtigeren“ im Team.
  • Greifbare Ideen werden endlos auf ihre Machbarkeit hin diskutiert.
  • Kurzum: Das „Gruppendenken“ verhindert, dass wirklich innovative Ideen ans Licht kommen.

Diese Probleme lassen sich häufig einfach lösen. Als Scrum Master müssen wir es nur schaffen, dass das Team die Ideen unabhängig vom Ideengeber betrachten kann. Wie kann dies gelingen?

Die Antwort ist 25/10 Crowdsourcing. Dadurch können die Teammitglieder ihre Ideen anonym ausarbeiten.

Hier die Schritte von 25/10 Crowdsourcing im Detail:

  1. Sammeln: Jeder in der Gruppe schreibt seine Idee auf eine Karteikarte.
  2. Tauschen von Karten: Anschließend wandern die Teilnehmer der Gruppe umher, tauschen dabei untereinander ihre Karten aus und lesen diese kurz durch.
  3. Bewerten der Ideen: Wenn die Glocke läutet, hören die Teilnehmer auf, die Karten weiterzureichen. Jeder bewertet nun für sich die Idee auf der Karteikarte in seiner Hand auf einer Punkteskala von 1 bis 5 (1 für schlecht umsetzbar, 5 für gut umsetzbar) und schreibt die Zahl auf die Rückseite der Karte.
  4. Abermaliges Tauschen der Karten: Wenn die Glocke das nächste Mal ertönt, werden die Karten ein zweites Mal weitergereicht, bis sie wieder läutet und der Bewertungszyklus sich wiederholt. Insgesamt werden so fünf Runden absolviert.
  5. Auswertung der Ideen: Nach der fünften Runde zählen die Teilnehmer der Gruppe die fünf Punktzahlen der Karte in ihrer Hand zusammen und notieren den Wert. Anschließend werden die Ideen mit den höchsten Punktzahlen identifiziert und mit der gesamten Gruppe geteilt.

In welchen Scrum Events kannst du 25/10 Crowdsourcing nutzen?

  • Sprint Retrospektive: 25/10 Crowdsourcing lässt sich gut in der Sprint Retrospektive nutzen. Nachdem die Probleme im Sprint identifiziert wurden, lassen sich mit 25/10 Crowdsourcing unterschiedliche Maßnahmen zur Verbesserung erkunden. Anschließend können diese Maßnahmen auch gleich auf ihr Potenzial hin bewertet werden.
  • Product Backlog Refinement: Im Refinement des Product Backlog lässt sich 25/10 nutzen, um viele Ideen zu generieren. Etwa auf der Suche nach unterschiedlichen Lösungsansätzen für ein Feature. Hierzu schreibt jeder Entwickler einen möglichen Lösungsvorschlag auf eine Karte. Im Anschluss sollen die Lösungen auf die Machbarkeit hin bewertet werden.

Wenn du dich jetzt fragst, wie du 25/10 Crowdsourcing auch online umsetzen kannst, dann wirf einen Blick auf diesen Artikel: In „Kollektive Intelligenz online nutzen: 25/10 Crowdsourcing in Remote-Teams implementieren“ erklärt Marc Kaufmann alle Details und weist dich auf mögliche Stolperstricke in der Anwendung hin.

Liberating Structure 2: Shift & Share

Präsentationen von Ergebnissen haben ein Problem:

Sie erlauben nur wenig Diskussion.

Eine Person stellt vor und bestenfalls stellen die Anwesenden Fragen. Gleiches gilt für die Erarbeitung von Inhalten in größeren Gruppen. Wenige Personen erstellen aktiv die Inhalte, viele Personen können nur passiv zuhören.

Die Lösung dieses Problems: Parallelisierung.

Aber dieser Ansatz birgt ein weiteres Problem. Jetzt können sich zwar alle gleichzeitig einbringen, allerdings erhält nicht mehr jeder auch alle Informationen.

Wenn du auch dieses Problem lösen willst, dann hilft dir Shift & Share.

Hier die Schritte von Shift & Share im Detail:

  1. Beschreibung des Vorgehens: Kleingruppen werden von Station zu Station wandern. An jeder Station finden eine kurze Präsentation und anschließend eine Feedback- und Fragerunde statt.
  2. Benennung der Präsentatoren: Pro Station wird ein Präsentator gewählt. Dann werden so viele Gruppen gebildet, wie es Stationen und Präsentatoren gibt.
  3. Vorstellung der Stationen: Jede der kleinen Gruppen geht nun jeweils zu einer unterschiedlichen Station. Dort stellt der Präsentator den Inhalt vor und die Mitglieder der Gruppe können Fragen stellen und Feedback geben (10 Minuten).
  4. Wechsel der Stationen: Nach der Präsentation wechselt die Gruppe die Station. Dies wird so lange wiederholt, bis jede Gruppe alle Stationen besucht hat.

In welchen Scrum Events kannst du Shift & Share nutzen?

  • Sprint Review: Im Sprint Review lässt sich Shift & Share nutzen, um die unterschiedlichen Ergebnisse des Sprints vorzustellen. Das Scrum Team erstellt dabei Stationen zu den einzelnen Features, die im Sprint entwickelt wurden. Die Stakeholder teilen sich auf die Stationen auf, können die Funktionen ausprobieren, Fragen stellen und Feedback geben. Nach einigen Minuten wechseln sie zum nächsten Feature.
  • Product Backlog Refinement: Shift & Share lässt sich gut zum Refinement des Product Backlogs nutzen. Die Einträge, welche verfeinert werden sollten, bilden die Stationen. Themen- oder Fachexperten nehmen die Rolle der Präsentatoren an den Stationen ein. Die Entwickler teilen sich auf die Stationen auf und erarbeiten Lösungen oder diskutieren mit den Fachexperten offene Fragen. Nach einigen Minuten wechseln sie zur nächsten Station.

Liberating Structure 3: Ecocycle Planning

In der Entwicklung von Software sind wir lineare Prozesse gewohnt.

Ein linearer Prozess zeichnet sich durch einen Start- und einen Endzustand aus und durch Aktivitäten, die vom Start zum Ende führen.

Zum Beispiel kann der Prozess der Behebung eines Fehlers so beschrieben werden:

  • Der Nutzer berichtet von einem Fehlverhalten der Software.
  • Es wird ein Fehlerreport erstellt.
  • Der Fehlerreport wird einem Entwickler zugeordnet.
  • Dieser analysiert das Fehlverhalten und behebt es.
  • Ein Update der Software wird durchgeführt.
  • Der Fehlerreport wird geschlossen.

Für Teamentwicklung, Organisationsveränderung oder Produktentwicklung im Allgemeinen bietet ein lineares Modell häufig ein zu vereinfachtes Abbild der Realität.

Statt eines linearen Modells eignet sich der Lebenszyklus einer Pflanze besser als Modell.

Dieser sieht grob so aus: Fällt ein Samenkorn in fruchtbaren Boden, so keimt es (Erneuerung). Die Keimlinge benötigen wiederum ausreichend Sonne, Wasser, Schutz und Mineralien, um zu wachsen (Wachstum). Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, wachsen die Keimlinge zu Pflanzen heran, die Früchte tragen und neue Samen verbreiten (Reifung). Doch irgendwann sterben die alten Pflanzen ab und werden kompostiert, um Energie für neue Pflanzen zu gewinnen. Dadurch wird Platz geschaffen, damit neue Pflanzen aus den Samen im Boden wachsen können (kreative Zerstörung). Dieser Prozess ist in diesem Bild dargestellt.

Die Darstellung liefert euch eine klare Sicht auf das gemeinsame Portfolio eurer Aktivitäten, Initiativen und Probleme. Außerdem zeigt sie euch, in welchem Zustand sie sich jeweils befinden.

Mit der Anordnung der Aktivitäten auf dem Ecocycle erhaltet ihr tiefere Einsichten. Dies geschieht abseits eines linearen Vorgehens. Nun könnt ihr euch überlegen, welche Dinge ihr voranbringen wollt. Und welche Dinge wollt ihr stoppen?

Hier die Phasen des Ecocycles noch einmal in der Übersicht:

  • Erneuerung: Eine Sache liegt als Idee vor und die Gruppe hat noch keine Zeit dafür investiert.
  • Wachstum: Die Gruppe widmet sich dieser Sache und investiert ihre Ressourcen.
  • Reifung: Die Sache erzeugt wertvolle Ergebnisse, wie etwa eine erfolgreiche Veränderungsinitiative oder ein regelmäßiges Meeting, von dessen Nutzen alle Gruppenmitglieder überzeugt sind.
  • Kreative Zerstörung: Die Gruppe ist aktiv dabei, die Sache zu beenden, auf das Wesentliche einzudampfen oder neu zu denken.

Daneben gibt es noch zwei Fallen:

  • Armutsfalle: Im Beispiel der Pflanze: Wasser, Dünger und Werkzeuge wurden angeschafft, aber nicht genutzt. Ihr habt darüber gesprochen, euch der Sache zu widmen, tut es jedoch nicht.
  • Trägheitsfalle: Im Beispiel der Pflanze: Sie verbraucht Licht, Wasser, Platz, trägt aber keine Früchte. Ihr habt entschieden, mit dieser Sache aufzuhören, tut es jedoch nicht.

Aus meiner Erfahrung ist es sehr hilfreich, diese beiden Fallen zu kennen, um zu erkennen, warum sich manche Dinge einfach nicht verändern.

Nachdem ihr euer Portfolio von Aktivitäten, Initiativen und Problemen transparent gemacht habt, könnt ihr die nächsten Schritte initiieren.

In welchen Scrum Events kannst du Ecocycle Planning nutzen?

  • Sprint Retrospektive: In der Sprint Retrospektive lässt sich Ecocycle Planning nutzen, um alle Aktivitäten, die das Scrum Team erledigt, transparent zu machen und Verbesserungen zu identifizieren. Dazu erstellt das Team eine Liste aller Dinge, die es im Sprint macht. Hierzu gehören Meetings, Scrum Events, Support usw. Dann werden die Aktivitäten auf den Ecocycle des Teams verteilt. Mit der Übersicht über das Aktivitäten-Portfolio können Zeitfresser und Verbesserungen identifiziert werden.
  • Sprint Review: Nutze Ecocycle Planning im Sprint Review, um das Product Backlog aufzuräumen und euch auf das Wesentliche zu konzentrieren. Hierzu erstellen wir einen Ecocycle für das Produkt, in dem die Stakeholder und das Scrum Team alle Einträge des Product Backlogs den Phasen zuordnen. Im Anschluss widmen wir uns der Frage: „Was sagt die Verteilung der Einträge auf den Ecocycle über unser Produkt aus? Was ist jetzt wichtig und worauf sollten wir verzichten?“

Bereit, mehr darüber zu erfahren?

Ich nutze seit vielen Jahren in unterschiedlichen Teams und Situationen Liberating Structures.

Je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr bin ich davon überzeugt. Sie verbessern nachhaltig Ideenfindung, Austausch und Zusammenarbeit. Wenn du Lust hast, diese Liberating Structures selbst zu erleben und dich mit anderen Scrum Mastern über deren Einsatzzwecke auszutauschen, dann besuche das fortgeschrittene „Professional Scrum Master“-Training. Dort kannst du sie kennenlernen, bevor du sie in deinem Team anwendest. Marc Kaufmann und ich nutzen in diesem Training neun verschiedene Liberating Structures. Wir verraten dir zudem viele Tipps und Kniffe, wie du sie in Scrum Teams mühelos anwenden kannst.

Ach, und vergiss nicht, in die Kommentare zu schreiben, ob du bereits Liberating Structures in Scrum Events nutzt. Wenn ja, dann interessiert mich brennend, welche ...


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