Du möchtest Scrum Master werden?
Das kann ich verstehen. Ich kann mir keinen besseren Beruf vorstellen. Die Kombination aus Technologie, Wirtschaft, Teamarbeit, Prozessen, Menschen und kontinuierlichem Lernen macht die Arbeit so spannend.
Aber wo solltest du beginnen?
Mit einem Buch? Praktische Erfahrung sammeln? Oder doch zuerst eine Schulung besuchen? Da ich mehr oder weniger vom ersten Tag an in die Rolle des Scrum Masters hineingestolpert bin und über die Jahre viele Scrum Master kennengelernt habe, möchte ich dir drei Tipps geben, die sich bewährt haben.
Los geht’s:
Tipp #1: Lerne die Regeln von Scrum
Am Anfang ist Scrum wie Autofahren.
Um am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen, musst du die Regeln kennen – und zwar in- und auswendig. Als Autofahrer kannst du es dir nicht leisten, bei einer roten Ampel erst in der Straßenverkehrsordnung nachzusehen, was ein kleines schwarzes Schild mit einem weiß umrandeten grünen Pfeil unter dem Ampelsignal bedeutet. Die gute Nachricht: Die Scrum Regeln sind weit weniger kompliziert als die Straßenverkehrsordnung. Zum Vergleich: Die Straßenverkehrsordnung hat 53 Paragrafen und umfasst etwa 50 Seiten. Der Scrum Guide hat 7 Abschnitte auf 13 Seiten.
Natürlich will ich dir eine Sache nicht verschweigen:
Der Scrum Guide ist sehr allgemein geschrieben.
Er abstrahiert eine Reihe von Mustern, die bei erfolgreichen Teams weltweit über Jahre hinweg beobachtet wurden. Diese Muster sind als Regeln formuliert, die alle nur einem Ziel dienen: Teams zu helfen, selbstorganisiert und empirisch zu arbeiten.
Für Neulinge kann das sehr abschreckend wirken.
Wenn du beim Lesen des Guides Hilfe suchst, empfehle ich dir Folgendes:
- Lies Bücher, die den Guide erklären. Meine Empfehlung ist das „Scrum Taschenbuch“ von Gunther Verheyen. Gunther aktualisiert das Buch regelmäßig, damit du immer auf dem neuesten Stand in Sachen Scrum bist.
- Besuche eine Schulung. In meiner „Professional Scrum Master“-Schulung besprechen wir den ganzen Guide. Ich gebe dir viele Beispiele und du kannst dich in Übungen mit den Inhalten vertraut machen.
- Falls du den Scrum Guide lieber im Selbststudium erarbeiten möchtest, lies meine Artikelreihe „Scrum im Selbststudium: Der Scrum Guide in 19 Artikeln erklärt“. Dort gehe ich in jedem Artikel ein Konzept aus dem Scrum Guide mit dir durch.
Noch ein Hinweis:
Scrum bleibt nicht wie Autofahren. Wenn ein Team bereits viele Jahre mit Scrum gearbeitet hat und damit Erfolge erzielt, kannst du Regeln sukzessive ändern – solange es dem Ziel dient, „Teams zu helfen, selbstorganisiert und empirisch zu arbeiten“.
Allerdings gilt das nicht fürs Autofahren.
Die Straßenverkehrsordnung solltest du nicht nach einigen Jahren Praxiserfahrung neu interpretieren. Nur damit wir uns verstehen.
Die Scrum Regeln zu kennen, bildet die Grundlage für jeden Scrum Master. Aber wie kannst du dich noch auf die Arbeit vorbereiten?
Tipp #2: Beschränke deine Neugierde nicht
Was meine ich damit?
Das Ziel von Scrum ist es, Teams zu helfen, selbstorganisiert und empirisch zu arbeiten. Für Teams in der Softwareentwicklung bedeutet das:
jeden Sprint wertvolle Software zu liefern.
Der Scrum Master trägt dazu bei, indem er die Entwickler dabei unterstützt, eine neue Version des Produkts auszuliefern, und dem Product-Owner hilft, den Wert des Produkts zu maximieren. Dafür braucht es mehr Wissen, als nur den Scrum Guide auswendig zu kennen.
Aus meiner Erfahrung braucht es Wissen in diesen drei Bereichen:
- Technologie
- Wirtschaft
- Gruppendynamik
Natürlich musst du als angehender Scrum Master keinen Abschluss in Informatik, Wirtschaft oder Psychologie haben. Da du dich jedoch in der Überlappung dieser drei Bereiche bewegst, genügt es, grundlegende Konzepte anwenden zu können.
Was bedeutet das konkret?
- Technologie: Verstehe, wie das Produkt entwickelt wird. Entwickelt dein Team ein Softwareprodukt, solltest du moderne Praktiken der Softwareentwicklung kennen. Nur so kannst du die Entwickler bei der Überwindung von Hindernissen unterstützen.
- Wirtschaft: Verstehe, was „Return on Investment“ bedeutet, und übertrage dieses Konzept auf dein Produkt und Unternehmen. Nur so kannst du den Product-Owner unterstützen.
- Gruppendynamik: Ein Scrum Team besteht aus Menschen. Logik und Rationalität stoßen hier manchmal an ihre Grenzen. Um Teams wirklich weiterzuentwickeln, musst du dich mit psychologischen Phänomenen und Kommunikation auseinandersetzen.
Diese Liste ist lang und wahrscheinlich endlos. Deshalb lautet mein zweiter Tipp: Beschränke deine Neugierde niemals. Fang heute an, zu recherchieren, zu lesen und Menschen mit deinen Fragen zu löchern.
Vergiss nicht:
Erfolgreiche Scrum Master lernen nie aus.
Tipp #3: Beginne mit Moderation
Zurück zu den drei Bereichen.
Du fragst dich wahrscheinlich, womit du beginnen solltest.
Mein Tipp nach 10 Jahren als Scrum Master: Beginne mit Facilitation. Du hast richtig gelesen – ich habe nicht Moderation gesagt, obwohl es in der Überschrift des Tipps steht. Das Erste, was du über Facilitation verstehen musst, ist, dass es mehr ist als nur Moderation.
Moderation beschreibt für mich eine Technik zur Gesprächsführung.
Mit Fragen und Zusammenfassungen lenkst du ein Gespräch. Es gibt sicherlich Situationen, in denen diese Fähigkeit nützlich ist. Aber der Wert, den du als Moderator einem Scrum Team bietest, ist zu gering. Deine Aufgabe als Scrum Master ist es, nicht nur Meetings zu moderieren, sondern den empirischen Prozess zu ermöglichen und alles zu erleichtern, was die Ziele des Teams unterstützt. Das wird als „Facilitation“ bezeichnet – vom französischen Wort „faciliter“, das „erleichtern“ bedeutet.
Als Facilitator bist du die Person, die den Teamerfolg erleichtert.
Betrachten wir dazu die Sprint-Retrospektive. Als Moderator wärst du erfolgreich, wenn du eine Agenda vorbereitest und das Team mit Fragen und Zusammenfassungen zum Ziel des Meetings führst. Danach wäre deine Aufgabe erledigt. Als Scrum Master beginnt deine Arbeit hier erst. Du hilfst dem Team nun, die Verbesserungen, auf die es sich geeinigt hat, umzusetzen. Dabei werden die Teammitglieder auf Schwierigkeiten stoßen:
- Sie finden keine Zeit für die Verbesserung, weil die Arbeit im Sprint so fordernd ist.
- Sie können die Verbesserung nicht umsetzen, weil sie auf Unterstützung von Personen außerhalb des Teams angewiesen sind.
- Sie stoßen auf neue Probleme, sodass die Verbesserung nicht mehr relevant ist.
All diese Probleme löst du mit ihnen zusammen. So erleichterst du den Erfolg des Teams. Durch kontinuierliche Verbesserung sorgst du dafür, dass das Team empirisch arbeitet, lernt und sich stetig weiterentwickelt.
Das ist Facilitation.
Und das kannst du heute schon üben. Möglichkeiten gibt es genug. Hier einige Ideen:
- Führe eine Retrospektive im aktuellen Projekt durch.
- Mache einen „Jahresrückblick und gute Vorsätze für das nächste Jahr“-Termin mit deiner Familie.
- Überlege, wie du in deinem Verein kontinuierliche Verbesserung ermöglichen kannst.
Wenn du mehr über Facilitation lernen möchtest, besuche unser nächstes „Professional Scrum mit Facilitation“-Training. Dort lernst du von Marc und mir viele Methoden und Techniken, um den Teamerfolg zu erleichtern und die Scrum Events produktiver zu gestalten.
Aber für deine angehende Karriere als Scrum Master wäre es wichtig, schon heute damit zu beginnen und nicht erst auf den Termin des Trainings zu warten.
Los geht’s!