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3 Tipps für ein agiles Mindset: So förderst du es wissenschaftlich fundiert und verbesserst damit die Produktivität im Team

September 16, 2024

Seit dem Jahr 2019 untersucht die Wirtschaftspsychologin Dr. Karen Eilers die Entwicklungen von agilen Arbeitsweisen in Unternehmen. Dabei entdeckte sie, dass die Erklärung für das Scheitern der Agilität in Unternehmen meist lautete:

„Den anderen im Unternehmen fehlt es am agilen Mindset.“

Wenn du diesen Satz noch mal liest, wird dir auffallen: Die Befragten gingen davon aus, dass ein agiles Mindset tatsächlich existiert. Sie glaubten auch, dass es für den Erfolg verantwortlich ist. Und es scheint immer den anderen zu fehlen. Was die grundsätzliche Frage aufwirft:

Existiert ein agiles Mindset überhaupt?

Karen hat sich diese Frage auch zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere gestellt. Seither forscht sie im Bereich Agiles Mindset. Ihre Forschung führt sie an den Universitäten St. Gallen und Kassel durch. Anfang 2024 hat sie ihre Ergebnisse veröffentlicht.

Vor Kurzem konnte ich sie zu ihrer Arbeit interviewen. Dabei stellte ich ihr die Frage, die uns Scrum Master am meisten interessiert: Wie können wir ihre Erkenntnisse für unsere Arbeit praktisch nutzen? Ihre Antwort habe ich für dich in drei Tipps zusammengefasst.

Bevor wir zu den Tipps kommen, klären wir zunächst die noch offene Frage:

Existiert ein agiles Mindset oder nicht?

Karen stand der Existenz eines agilen Mindsets zunächst skeptisch gegenüber:

„Werden für das Scheitern primär andere Personen verantwortlich gemacht, dann ist Vorsicht geboten.“

Dies könnte nämlich ein Hinweis darauf sein, dass die Befragten die Realität nur verzerrt wahrnehmen. Studien zeigten, dass Menschen bei negativen Ereignissen den Einfluss von Personen überschätzen. Gleichzeitig neigen sie dazu, den Einfluss der Situation auf das Ergebnis zu unterschätzen. Diese Verzerrung wird als kognitiver Fehler bezeichnet. Er könnte dazu geführt haben, dass die Befragten das Fehlen eines agilen Mindsets als Hauptgrund für das Scheitern annahmen. Und eben nicht die Situation als möglichen Grund. Karen wollte dies genauer wissen: Sie wollte verstehen, ob das agile Mindset nur als verschleiernder Begriff im Rahmen eines kognitiven Fehlers auftritt. Oder gibt es tatsächlich ein gemeinsames Verständnis hinter einem agilen Mindset? Und wie ließe sich das fördern?

Deshalb befragte Karen die Teilnehmer ihrer Studie abermals. Dabei machte sie dann eine Entdeckung: Auf die Frage, was ein agiles Mindset ausmache, lieferten alle Befragten eine ähnliche Antwort. Diese Übereinstimmung in der Beschreibung kann als ein Anzeichen für die Existenz eines agilen Mindsets gesehen werden. Wissenschaftler lassen sich ungern zu absoluten Aussagen hinreißen. Laut Karen können wir aber festhalten:

„Nach aktuellem Stand der Wissenschaft können wir davon ausgehen, dass ein agiles Mindset existiert.“

Damit wäre diese Frage also geklärt. Bleibt noch die Frage, wie wir ein agiles Mindset gezielt fördern können. Ich habe dir praktische Tipps versprochen.

Hier kommt der erste von Karen:

Tipp 1: Vermeide Belehrungen zum agilen Mindset

Im Gespräch verriet sie mir:

„Wenn wir das agile Mindset fördern wollen, sollten wir Menschen nicht sagen, dass ihr Mindset nicht stimmt.“

Klingt plausibel. Niemand wird gerne belehrt.

Karen hat mir allerdings auch verraten, warum das Widerstand erzeugt. Werden wir mit Informationen konfrontiert, die im Widerspruch zu unseren eigenen Überzeugungen stehen, erzeugt dies kognitive Dissonanz. Wir fühlen uns unbehaglich und sind angespannt. Dabei nimmt der Grad der kognitiven Dissonanz zu, wenn es um Persönliches wie Einstellung, Denkweise oder unsere Identität geht. Da kognitive Dissonanz unangenehm ist, versuchen wir, diesem Zustand schnellstmöglich zu entfliehen. Die einfachste Möglichkeit ist, dass wir die (neue) Information ablehnen. Hierbei ist niemandem ein Vorwurf zu machen. Es handelt sich um einen natürlichen Schutzmechanismus unseres Gehirns.

Noch mal in meinen Worten:

Wenn wir darauf hinweisen, dass jemandes Verhalten nicht zur agilen Arbeitsweise passt, erhoffen wir uns in der Regel eine Verhaltensänderung. Stattdessen wird jedoch oft das Gegenteil bewirkt. Unser Gegenüber wird die agile Arbeitsweise dadurch eher ablehnen.

Was können wir als Scrum Master stattdessen tun?

Angenommen, ein Mitglied des Teams, nennen wir es „Tom“, erscheint zu spät zum Daily Scrum. Dann ist Vorsicht geboten. Schnell können wir selbst Opfer der kognitiven Verzerrung werden. Und dann wäre unsere Reaktion vielleicht, daraus zu schließen, dass es an seinem schlechten Zeitmanagement gelegen haben könnte. Oder wir könnten mutmaßen, dass ihm das Team nicht wichtig sei. Karen rät uns stattdessen, zu erfragen, in welcher Situation sich die Person befunden hat. Dadurch können wir das Zusammenspiel der Beteiligten und der Situation besser ergründen.

Zum Beispiel könnten wir Tom fragen:

„Was hat dazu geführt, dass du heute verspätet bist?“

Anstatt das Mindset, welches hinter dem Verhalten steckt, zu bewerten, erkundigen wir uns mit dieser Frage nach den Umständen. Damit erzeugen wir weniger Unbehagen bei Tom. Fasst Tom unsere Frage wohlwollend auf, erleichtern wir es ihm damit, über eine Veränderung nachzudenken. Wir bringen ihn somit nicht in die Lage, sich für sein Mindset verteidigen zu müssen. Karen betonte hier, dass wir Einstellungen – wie das agile Mindset – im Laufe unseres Lebens erlernt haben. Es gab in der Vergangenheit Ereignisse, die dazu geführt haben, dass jeder Mensch eine bestimmte Einstellung entwickelt hat. Deshalb ist es wichtig, diese Einstellung nicht vorschnell zu bewerten. Es ist besser, zu verstehen, durch welche Ereignisse diese Einstellung entstanden ist. Und auch wertzuschätzen, wozu sie in der Vergangenheit nützlich war.

Karen erklärte mir dies an diesem Beispiel:

Habe ich in der Vergangenheit einen Fehler am Arbeitsplatz eingestanden und dafür eine Abmahnung erhalten, dann werde ich in Zukunft womöglich keine Fehler zugeben. Ich habe gelernt, dass sich Offenheit und Ehrlichkeit negativ auf meine Karriere auswirken. Werde ich damit konfrontiert, unehrlich zu sein, dann will ich diese Einstellung ungern aufgeben, sie soll mich beschützen und deshalb werde ich mich verteidigen.

Dies bringt uns zur Frage: Wie können wir dann das Mindset bei anderen verändern? Die Antwort führt uns zum zweiten Tipp von Karen:

Tipp 2: Lebe das agile Mindset vor

Wie lässt sich ein agiles Mindset vorleben?

Im Jahr 2019 war ich Scrum Master in einem Team, das ein Produkt in der Versicherungsbranche entwickelte. Mein Teamleiter fragte mich damals, ob ich auch ein weiteres Team übernehmen könnte. Ich lehnte ab. Aus meiner vorherigen Zeit bei der Bundesagentur für Arbeit war mir noch schmerzlich bewusst, dass ich dann keinem Team wirklich gerecht werden könnte. Dort unterstützte ich zeitweise als einziger Scrum Master drei Teams gleichzeitig. Und täglich nagte die Frage an mir: Wie kann ich dem Entwickler glaubhaft vorleben, dass Commitment und Fokus wichtig sind, wenn ich selbst mehrere Ziele mit mehreren Teams verfolge?

Jetzt fragst du dich bestimmt, was diese Geschichte mit einem agilen Mindset zu tun hat? Laut Karen sind zwei Faktoren besonders hilfreich, damit sich ein agiles Mindset bei Menschen entwickeln kann:

  • Es braucht dafür ein Vorbild.
  • Das Vorbild muss seine Entwicklung sichtbar machen.

Widmen wir uns dem ersten Faktor:

Nachdem ich Karen diese Erfahrung erzählt hatte, meinte sie:

„Damit dich dein Team als Vorbild wahrnehmen konnte, musstest du einen positiven Impact haben.“

Weiter erklärte sie mir: Wenn unsere Arbeit an unserem eigenen agilen Mindset positive Auswirkungen hat, entstehen Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit. Beides braucht es, damit wir im Team als Vorbild wahrgenommen werden. Ich denke, dass ich es damals geschafft habe. Ich entschied mich, nicht für mehrere Teams gleichzeitig Scrum Master zu sein. Dadurch konnte ich den Problemen meines Teams meine volle Aufmerksamkeit schenken. Damit wollte ich ein Vorbild für Fokus und Commitment auf eine Sache sein. Ich glaube und hoffe natürlich, das hat auch jeder im Team gespürt.

Jetzt noch zum zweiten Faktor, wie wir ein agiles Mindset entwickeln können. Dies ist Karens letzter Tipp und er birgt eine unangenehme Erkenntnis für mich.

Tipp 3: Bitte um Feedback zu deinem agilen Mindset

Im Gespräch mit Karen hatte ich eine Einsicht:

So gut es mir im Jahr 2019 gelungen ist, ein Vorbild für ein agiles Mindset zu sein, so schlecht gelang es mir, meine Entwicklung zu zeigen. Laut Karen ist dies ein zweiter wichtiger Faktor in der Entwicklung eines agilen Mindsets. Es genügt eben nicht, nur ein Vorbild zu sein, sondern:

„[Du] musst deine persönliche Entwicklung beobachtbar machen.“

Wenn ich ehrlich mit dir sein darf: Das ist mir damals nicht gelungen. Diese Erkenntnis war unangenehm, da ich mir vor dem Gespräch mit Karen sicher war, dass es mir nicht am agilen Mindset fehle. Deshalb habe ich sie gefragt:

„Wie können wir unsere persönliche Entwicklung beobachtbar machen?“

Hierfür hat Karen ein Modell aus ihren Forschungsdaten entwickelt, das gleichzeitig die Beschreibung eines agilen Mindsets darstellt. Zunächst die Definition:

Das agile Mindset ist eine positive Einstellung einer Person hinsichtlich

  • Lernorientierung,
  • kollaborativem Austausch,
  • Kunden-Ko-Kreation und
  • Selbstführung.

Die vier Dimensionen des agilen Mindsets noch einmal etwas ausführlicher erklärt:

  • Lernorientierung bedeutet, dass wir nach Lernmöglichkeiten suchen und mit unerwarteten oder neuen Situationen umgehen können.
  • Kollaborativer Austausch beschreibt, dass wir uns transparent, ehrlich und offen über unsere Arbeit äußern und Herausforderungen dadurch gemeinsam lösen wollen.
  • Kunden-Ko-Kreation bedeutet, in einen direkten Austausch mit dem Kunden zu gehen. Dies bedeutet auch, den Wert für den Kunden zu reflektieren. Zudem wird der Kunde in Entscheidungen einbezogen.
  • Selbstführung beschreibt, Freiheitsgrade in der Arbeit zu nutzen, sich selbst zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen.

(Wenn du mehr zu diesen Dimensionen erfahren willst, dann wirf unbedingt einen Blick auf Karens Vortrag, welchen sie im Rahmen der „Agile World 2024“ gehalten hat. Danke an Improuv für die Aufzeichnung.)

Karen rät uns, diese Beschreibung zu nutzen, um unsere persönliche Entwicklung beobachtbar zu machen. Wir können die Beschreibung als Einladung für Feedback nutzen.

Wir könnten etwa unser Team fragen:

  • Wie gut ist es mir gelungen, damit umzugehen, dass sich Tom beim Daily Scrum verspätet hat?
  • Wie gut ist es mir gelungen, euch bei der Lösung kniffliger Software-Bugs zu unterstützen?
  • Wie gut ist es mir gelungen, das letzte Sprint-Review so zu moderieren, dass es Kunden-Ko-Kreation im Team ermöglicht?
  • In welchen Situationen nehmt ihr mich als sehr offen und transparent wahr und in welchen nicht?
  • Wie gut übernehme ich meine neuen Verantwortungen als disziplinarische Führungskraft?

Bitten wir das Team in regelmäßigen Abständen um Feedback zu bestimmten Dimensionen. Teilen wir dem Team im Gegenzug mit, welche Verbesserungen uns leichtgefallen sind und womit wir noch kämpfen. Dann machen wir unsere persönliche Entwicklung beobachtbar. Laut Karen kannst du mit dieser Reflektion deine persönliche Entwicklung beobachtbar machen.

Meine Erkenntnis aus dem Gespräch mit Karen lautet daher:

Wollen wir ein agiles Mindset bei anderen entwickeln, bedeutet das, dass wir unser eigenes agiles Mindset entwickeln müssen. Was im ersten Augenblick etwas paradox klingt.

Zum Abschluss eine Bitte von Karen:

„Leider gibt es noch eine große Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis im Bereich agilen Arbeitens.“

Sie möchte das ändern und sucht dafür Unterstützer. Wenn du Karen auf ihrer Mission unterstützen willst, dann kannst du das mit einem Klick tun. Folge ihr auf LinkedIn. Je vernetzter sie mit der Scrum Community ist, desto wahrscheinlicher erreichen die Ergebnisse ihrer Forschung auch dich. Gehörst du zu den Menschen, die täglich mit Scrum arbeiten? Dann wirst du von den Ergebnissen ihrer Forschung profitieren. Es lohnt sich, denn Karens Forschung hat gezeigt:

„Ein agiles Mindset hat Einfluss auf die Zufriedenheit der Kunden und die Produktivität im Scrum Team. Aber mehr noch auf die Motivation und das Commitment der Mitglieder im Team.“

Ach, und wenn du Fragen zum agilen Mindset hast, dann kommentiere gerne diesen Beitrag. Karen hat mir versprochen, dass sie jede Frage persönlich beantworten wird.


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