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3 Methoden für mehr empirisches Arbeiten: Nutze sie und löse komplexe Probleme auf jeder Ebene eines Unternehmens

June 20, 2024

Unternehmen stehen vor zwei Arten von Problemen.

Die erste Art ist vollständig lösbar. Dort werden Entscheidungsmatrizen, Gantt-Charts oder die „5 Why“-Methode zur Lösung genutzt. Doch wie sieht es mit Konflikten im Team, Kulturveränderungen im Unternehmen oder unerklärlichem Nutzungsverhalten in der App aus?

Hier helfen uns diese Methoden nicht.

Diese Probleme sind von Natur aus unberechenbar. Sie zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen in verschiedenen Größenordnungen. Ändert sich ein Element, ändern sich auch andere. Dies bedeutet, dass unser Handeln in einem Netz von Beziehungen eingebettet ist, die miteinander verstrickt sind. Selbst kleine Veränderungen können große Auswirkungen haben – oder auch gar keine. Bei dieser Art von Problemen bleibt nichts lange gleich. Deshalb studieren wir dort meist Situationen, durchforsten Daten, weisen Ressourcen zu und planen Handlungen auf der Grundlage von Vergangenem.

Zur Abgrenzung von vollständig lösbaren Problemen wird diese Art von Problemen als komplex bezeichnet.

Wie können wir diese Probleme lösen? Wir müssen verstehen, was sie auszeichnet, ihre Beziehungen ergründen und lernen, wie wir unsere Situation verbessern können. Und wahrscheinlich werden wir diese Probleme nie vollständig lösen.

Allerdings werden wir lernen, uns auf unbekanntem Terrain zu bewegen.

Die Lösung komplexer Probleme ist eine neue Herausforderung.

Sie erfordert andere Fähigkeiten, Führungspraktiken und Arbeitsweisen.

Die Praktiken, die sich bereits bewährt haben, geben Marc und ich in unserer „Professional Scrum Master – Advanced“-Schulung im Detail weiter. Aber lass mich dir nach über 10 Jahren Arbeit mit Scrum Teams und Unternehmen ein Geheimnis verraten: 

Reduzieren wir alle Methoden auf das Wesentliche, so erfordern sie immer diese Schritte:

  • Wir erleben.
  • Wir nehmen die Spannung zwischen dem, was ist, und dem „Besseren“ wahr.
  • Wir denken über unsere Erfahrungen nach und darüber, was sie für unsere Zielsetzung bedeuten.
  • Wir ergreifen kleine Maßnahmen, um uns in Richtung „besser“ zu bewegen.
  • Wir handeln und wiederholen.

Ich bezeichne diese Schritte als „empirisches Arbeiten in eine Richtung“.

Warum der Zusatz „in eine Richtung“? Nur weil sich komplexe Probleme nicht vollständig lösen lassen, bedeutet das nicht, dass wir keinen Fortschritt erreichen können. Fortschritt in eine Richtung, die für uns, unser Team, unser Unternehmen und deren Kunden besser ist. Diese Richtung findest du in persönlichen Zielen, Sprintzielen, Produktzielen oder der Firmenstrategie.

Und ohne diese Richtung ist kein Fortschritt möglich.

So, nun genug der Theorie. Wie können wir empirisch arbeiten? Wie können wir diese Schritte auf unterschiedlichen Ebenen – persönlich, im Team und im Unternehmen – anwenden?

Wir beginnen mit unseren eigenen Handlungen:

Wie sieht empirisches Arbeiten auf der persönlichen Ebene aus?

Der wichtigste Pionier auf dem Gebiet komplexer Probleme, über den niemand spricht?

Aus meiner Sicht ist es Terry Borton. Terry Borton war ein amerikanischer Schullehrer und hat 1970 das Buch „Reach, Touch, and Teach“ veröffentlicht. Dort stellt er einen strukturierten Ansatz zur Reflexion vor, der auf diesen drei Fragen beruht: „What?“, „So what?“ und „Now what?“. Bist du ein Fan von Liberating Structures? Dann solltest du jetzt erkannt haben, welches Vermächtnis Terry Borton hinterlassen hat.

Wie kannst du diese drei Fragen nutzen, um empirisch zu handeln?

Ein Beispiel. Habe ich den Eindruck, dass es im Daily Scrum nicht rund läuft, ergründe ich die Situation so:

  1. Ich frage mich: „Was?“, und schreibe auf, was passiert ist, welche Beobachtungen ich gemacht habe und was mir dabei aufgefallen ist.
  2. Dann frage ich mich: „Warum war das wichtig?“, und analysiere, warum dies geschehen sein könnte und welche Annahmen oder Schlussfolgerungen ich daraus ziehen kann.
  3. Zum Schluss frage ich mich: „Was nun?“, um aus meinen bisherigen Erkenntnissen einen konkreten nächsten Schritt abzuleiten.

Diese drei Fragen helfen mir, über vergangene Erfahrungen oder Ereignisse nachzudenken. Dann treffe ich eine Entscheidung darüber, wie ich weitermache.

Die Fragen bieten eine einfache Methode, um die fünf Schritte des „empirischen Arbeitens in eine Richtung“ umzusetzen. Mehr noch: Du kannst sie nicht nur für deine eigene Entscheidungsfindung nutzen, sondern auch, um das empirische Arbeiten im Team zu verbessern. Etwa indem du das Sprint-Planning, Daily Scrum, den Sprint-Review und natürlich die Sprint-Retrospektive damit facilitierst.

Was uns zur nächsten Ebene empirischen Arbeitens bringt:

Wie sieht empirisches Arbeiten auf der Teamebene aus?

Wenn du diesen Artikel liest, muss ich dich wahrscheinlich nicht mehr von den Vorzügen von Scrum überzeugen.

Allerdings ist mir ein Aspekt besonders wichtig, der häufig untergeht. Viele Diskussionen drehen sich darum, wie wir die Entwickler für ein Daily Scrum motivieren können, das Product Backlog besser sortieren oder welche Rolle ein Projektleiter in einem Scrum Projekt hat.

Aber worum es wirklich bei Scrum geht, verdeutlicht dieser Ausschnitt aus dem Scrum Guide mehr als alles andere:

„Kurz gesagt fordert Scrum, dass ein Scrum Master ein Umfeld fördert, in dem

  1. ein Product Owner die Arbeit für ein komplexes Problem in ein Product Backlog einsortiert;
  2. das Scrum Team aus einer Auswahl dieser Arbeit innerhalb eines Sprints ein wertvolles Inkrement erzeugt;
  3. das Scrum Team und dessen Stakeholder die Ergebnisse überprüfen und für den nächsten Sprint anpassen;
  4. diese Schritte wiederholt werden.“

Erkennst du die Schritte wieder? Genau. Es handelt sich um die empirische Arbeit in eine Richtung. Aber da ist noch mehr. Vergleichen wir den empirischen Prozess von „What?“, „So what?“ und „Now what?“ mit dem empirischen Prozess in Scrum, fällt uns noch etwas auf:

Der empirische Prozess in Scrum liefert noch mehr Struktur.

Was meine ich damit?

Die fünf Schritte, die ich als „empirisches Arbeiten in eine Richtung“ formuliert habe, stellen eine Feedbackschleife dar. Dies drückt der letzte Schritt aus: „Wir handeln und wiederholen.“ Der empirische Prozess in Scrum etabliert nicht nur eine Feedbackschleife, sondern gleich zwei. Der Vater der Organisationspsychologie, Chris Argyris, bezeichnet dies als „Double Loop Learning“. Die erste Feedbackschleife bezieht sich auf die Verbesserung am Produkt, die durch das Sprint-Review initiiert wird. Die zweite bezieht sich auf die Zusammenarbeit im Team. Sie wird durch die Sprint-Retrospektive initiiert. Indem das Scrum Rahmenwerk zwischen Sprint-Review und Sprint-Retrospektive unterscheidet, bietet es eine zusätzliche Struktur für empirisches Arbeiten. Nach der Ansicht von Chris Argyris ermöglicht diese Struktur tiefere Einsichten und führt zu nachhaltigeren Veränderungen innerhalb einer Organisation.

Es geht nicht nur darum, was getan wird, sondern auch darum, warum es auf eine bestimmte Weise getan wird.

Die Beantwortung der Fragen nach dem „Warum“ führt uns unweigerlich zur Unternehmensebene.

Wie sieht empirisches Arbeiten auf Unternehmensebene aus?

Lass es mich dir anhand einer kurzen Geschichte erläutern:

Anfang des 20. Jahrhunderts, während der britischen Kolonialherrschaft in Indien, gab es eine Schlangenplage.

Um die Zahl der Kobras zu verringern, setzten die britischen Kolonialherren ein Kopfgeld auf jede getötete Kobra aus. Findige Inder begannen daraufhin, Kobras zu züchten und sie für das Kopfgeld zu töten. Als die Behörden dies bemerkten und das Kopfgeld aufhoben, ließen die Züchter die Schlangen frei, was die Plage verschlimmerte.

Worin besteht jetzt der Zusammenhang zwischen der britischen Kolonialherrschaft und dem empirischen Management eines Unternehmens?

In der Geschichte sind Ziele (die Schlangenplage eindämmen und Geld verdienen), Anreize (das Kopfgeld) und Verhaltensweisen (Kobras züchten oder töten) eng miteinander verknüpft. Mehr noch: Sie zeigt, dass bei der Änderung eines Elements die anderen Elemente ebenso betroffen sein können. Die Erkenntnis? Die Auswirkung zwischen Zielen, Metriken und Verhaltensweisen sind selbst ein komplexes Problem.

Und welche Aufgabe haben die Manager eines Unternehmens?

Die Frage lässt sich nicht pauschal für jedes Unternehmen beantworten. Aber im Kern umfasst Management immer: das Setzen von Zielen, das Messen von Ergebnissen und das Lenken von Verhalten.

Dies führt uns zurück zur ursprünglichen Frage:

Wie sieht nun empirisches Management eines Unternehmens aus?

Es beginnt mit dem Sammeln.

Das Sammeln von Daten mittels Metriken zeigt, was im Unternehmen tagtäglich geschieht. Das Formulieren von Zielen gibt eine Richtung vor und ermöglicht es dem Management, zu erkennen, wie es „besser“ sein könnte. Teams können Ideen für kleine Experimente entwickeln, um sich in die gewünschte Richtung zu bewegen.

Die Schritte SammelnFormulieren und Experimentieren in möglichst kurzen Abständen zu wiederholen, das macht empirisches Management auf Unternehmensebene aus. Ein konkretes Rahmenwerk, um die Schritte zu strukturieren, bietet das „Evidence-based Management“ (EBM).

Es beschreibt die Elemente ausführlich:

  • Ziele: Was das Unternehmen erreichen möchte.
  • Evidenz: Verschiedene Perspektiven, wie Wert gemessen werden kann.
  • Empirie: Formulierung von Hypothesen und Durchführung von Experimenten, um den Zielen näher zu kommen.

Wenn du mehr über empirisches Arbeiten auf Unternehmensebene erfahren willst, dann empfehle ich dir den EBM-Guide zu lesen. Wenn du nicht nur darüber lesen willst, sondern empirisches Management ausprobieren willst, dann besuche gerne ein „Professional Agile Leader – EBM“-Training. Dort beschäftigen wir uns einen Tag lang nur mit Zielen, Evidenz und Empirie.

Abschließend bleibt noch die Frage:

Wie kannst du die verschiedenen Ebenen des empirischen Arbeitens nutzen?

Unternehmen sind keine Maschinen.

Selbst der fähigste Mechaniker kann nicht einfach einen „defekten“ Teil, wie einen Teamprozess, austauschen und dann funktioniert wieder alles wie zuvor. Menschen, die ein Unternehmen so begreifen, werden mit ihren Bemühungen, etwas zu verändern, ins Leere laufen.

Ihnen wird es ergehen wie den britischen Kolonialherren.

Menschen, Teams und das Unternehmen sind untrennbar miteinander verbunden. Sie sind verzahnt. Wenn du ein Unternehmen, die Teams und die Menschen darin als ein komplexes Problem begreifst, dann kannst du die Verzahnung zwischen ihnen zu deinem Vorteil nutzen. Suche nach kleinen Änderungen, die unerwartet große Auswirkungen entfalten können. Wie kann das aussehen?

Ein Beispiel: Entscheidest du dich in der nächsten Sprint-Retrospektive dafür, die Methode „What?“, „So what?“ und „Now what?“ zu nutzen, könnte das Team sich entscheiden, ein Experiment zu wagen und die wöchentliche Zufriedenheit der Stakeholder zu messen. Dies könnte dazu führen, dass das Management seine Ziele überdenkt, wenn es sieht, wie unzufrieden die Kunden mit dem letzten Release waren.

Sollte dies nicht der Fall sein, suche nach der nächsten kleinen Änderung. Vielleicht entfaltet sie eine größere Wirkung.

Und so weiter ...

Das ist empirisches Handeln auf allen Ebenen des Unternehmens.


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