Wie wird das Product-Backlog am besten priorisiert?
Es erstaunt mich immer wieder aufs Neue: Viele Product-Backlogs werden nur nach Bauchgefühl priorisiert. Meistens geschieht dies nach dem Bauchgefühl einer einzelnen Person. Aus meiner Sicht beantwortet das die Frage, wie das Product-Backlog am schlechtesten priorisiert wird.
Vielleicht liegt es einfach daran, dass viele keine Alternativen zu ihrem Bauchgefühl kennen. Sollte das der Fall sein, möchte ich das heute ändern. Ich stelle dir drei Methoden vor. Mit diesen Methoden kannst du die wichtigsten Features im Product-Backlog priorisieren. Dadurch können sie zuerst geliefert werden.
Starten wir mit der Methode, die eigentlich jeder kennen und nutzen sollte:
Methode #1: Aufwand-Nutzen-Matrix
Die Gegenüberstellung von Aufwand und Nutzen sollte die Grundlage im Management des Product-Backlogs darstellen. Sie hilft, die Diskussion mit Stakeholdern und Entwicklern zu führen und eine gemeinsame Richtung zu finden.
Wie gehen wir dabei vor?
Dazu werden die Einträge des Product-Backlogs einmal von den Stakeholdern nach dem Nutzen für sie geordnet. Die gleichen Einträge werden auch von den Entwicklern nach dem Aufwand geordnet. Das Ergebnis lässt sich grafisch in einer Matrix veranschaulichen.
Die Matrix besteht also aus zwei Achsen:
- Nutzen: Beschreibt den potenziellen Nutzen, den die Umsetzung eines Product-Backlog-Eintrags liefert.
- Aufwand: Beschreibt den möglichen Aufwand, den die Umsetzung eines Product-Backlog-Eintrags bedeutet.
Zur Priorisierung der Einträge werden diese in die Matrix einsortiert.
Hier findest du einige generelle Handlungsempfehlungen in der Übersicht:
- Hoher Nutzen, niedriger Aufwand: Diese Einträge sollten oben im Product-Backlog angeordnet werden.
- Hoher Nutzen, hoher Aufwand: Bevor diese Einträge umgesetzt werden, müssen sie weiter zerkleinert oder neu gedacht werden. Stelle dazu die Frage: „Wie können wir den gleichen Wert mit geringerem Aufwand liefern?“
- Niedriger Nutzen, niedriger Aufwand: Diese Product-Backlog-Einträge können umgesetzt werden, wenn sich nichts Wichtigeres im Product-Backlog befindet. Die Einträge sollten deshalb weiter unten im Backlog angeordnet werden.
- Niedriger Nutzen, hoher Aufwand: Diese Einträge sollten erstmal wieder verworfen werden.
Egal, ob du gerade erst mit Product-Backlog-Management begonnen hast oder bereits ein langjähriger Product-Owner bist. Die Aufwand-Nutzen-Matrix ist ein Grundwerkzeug zur Priorisierung der Einträge im Product-Backlog. Sie bietet eine gute Möglichkeit, Stakeholder und Entwickler gleichermaßen in die Diskussion einzubeziehen.
Wenn du den Nutzen differenzierter bewerten willst, dann hilft dir die nächste Methode:
Methode #2: Kano-Analyse
Werden im Product-Backlog die wichtigsten Features mit dem geringsten Aufwand priorisiert, ist das ein guter Anfang. Es schützt uns jedoch nicht davor, ein Produkt mit einer verwirrenden Anzahl unterschiedlicher Features zu erstellen. (Ja, Microsoft Word, ich denke gerade an dich.) Deshalb sollten wir überlegen, wie das Produkt eine ausbalancierte Anzahl an Merkmalen haben kann. Zum Glück hat sich Dr. Noriaki Kano bereits Gedanken dazu gemacht. Er ist Professor für Qualitätsmanagement an der Tokyo University of Science. Wir können auf seine Erkenntnisse zurückgreifen.
Er erkannte, dass die Kundenbindung von der emotionalen Reaktion auf einzelne Features abhängt.
Er fand dafür fünf emotionale Reaktionen von Nutzern:
- „Must-have“-Features
- Leistungs-Features
- Begeisterungs-Features
- Unerhebliche Features
- Zurückweisende Features
Wie hilft uns das beim Product-Backlog-Management? Verstehen wir die emotionalen Reaktionen von Nutzern auf bestimmte Features, können wir die Features eines Produkts so ausbalancieren, dass es langfristig Kunden bindet.
Hierzu gibt es das Kano-Analyse-Verfahren, das auf einem Fragebogen aus vier Fragen basiert:
Die Befragung kann in einem Interview oder als Umfrage durchgeführt werden. Die Analyse der Daten ermöglicht es dann, das Backlog zu priorisieren.
Das Ergebnis einer Kano-Analyse mit zehn Features könnte etwa so aussehen:
Die Priorisierung der Features im Product-Backlog sollte ausgewogen sein. Es sollte ein Verhältnis zwischen „Must-Have“-, Leistungs- und Begeisterungs-Features bestehen. So können Kunden langfristig an das Produkt gebunden werden. Unlogische, unerhebliche oder zurückweisende Features sollten vermieden und die Einträge aus dem Product-Backlog gelöscht werden.
Wir versuchen, die Features im Produkt in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Dadurch bewegen wir uns in Richtung einer strategischen Ausrichtung des Produkts.
Willst du mehr über die Kano-Analyse erfahren? Dann besuche das nächste „Product Backlog Management Skills“-Training. Dort erarbeiten Boris und ich nicht nur die Kano-Analyse mit dir, sondern zeigen dir auch, wie du Product-Backlog-Einträge gut formulieren kannst.
Wenn du diesen Weg weiter gehen willst, kann dir die dritte Methode weiterhelfen:
Methode #3: Strategische Kontur
Die „Strategische Kontur“ stammt von W. Chan Kim und Renée Mauborgne und wurde zur Analyse und Entwicklung einer Unternehmensstrategie entwickelt.
Sie lässt sich aber auch zur Priorisierung des Product-Backlogs einsetzen. Warum sie „Kontur“ heißt, verrate ich dir später. Erstmal betrachten wir, wie die Methode angewendet wird. Dazu müssen wir die Wettbewerbsfaktoren ermitteln und analysieren, wie sehr sie in unserem Produkt präsent sind.
Lass uns konkret werden und als Beispiel eine Onlineversicherung betrachten.
Hier könnten die Wettbewerbsfaktoren lauten:
- Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit
- Gebühren und Kosten
- Sicherheit und Datenschutz
- Angebote und Dienstleistungen (z. B. Überweisungen, Sparpläne, Kredite)
- Kundensupport
- Technologische Innovationen
- Personalisierung und Kundenerfahrung
Analysieren wir unser Produkt und die Produkte der Konkurrenz bezüglich dieser Faktoren, könnte sich dieses Bild ergeben:
Was fällt dir auf?
- Die Onlineversicherung ist kostengünstiger als die Konkurrenz.
- Die Konkurrenz hat ein größeres Angebot an Versicherungsprodukten.
- Die personalisierte Kundenerfahrung ist bei der Konkurrenz ausgeprägter.
Was hat diese Analyse mit der strategischen Ausrichtung des Produkts am Markt zu tun und am Ende mit dem Backlog-Management?
Dazu kommen wir jetzt. Durch die Auswertung sehen wir die Stärken und Schwächen des Angebots der Onlineversicherung gegenüber der Konkurrenz.
Daraus ergeben sich einige Fragen und Entscheidungen, die die Onlineversicherung treffen muss:
- In welchen Wettbewerbsfaktoren wollen wir mit der Konkurrenz aufschließen?
- In welchen Wettbewerbsfaktoren wollen wir die Konkurrenz übertreffen?
- In welche neuen Wettbewerbsfaktoren wollen wir investieren, die unsere Konkurrenz nicht bedient?
Die Antworten auf diese Fragen sollten sich dann im Product-Backlog widerspiegeln. Entschließt sich die Onlineversicherung, den Kundensupport zu verbessern und gleichzeitig kostengünstiger als die Konkurrenz zu bleiben, sollten vermehrt Features im Backlog hinzugefügt werden, die dies ermöglichen könnten. Es sollten sich hingegen keine Features im Backlog finden, die das Leistungsangebot der Online-Versicherung ausbauen.
Durch die strategische Ausrichtung des Produkts lässt sich das Product-Backlog also auch priorisieren.
Zum Abschluss schulde ich dir noch eine Antwort, warum es „Kontur“ heißt.
Kontur bedeutet Umriss. Es geht darum, einen Umriss des Produkts zu visualisieren – und im Idealfall einen Umriss zu finden, der sich von der Konkurrenz unterscheidet. Je einzigartiger der Umriss ist, desto größer der Wettbewerbsvorteil, bis das Produkt irgendwann konkurrenzlos ist. Das ist das Ziel jeder Strategie: Das Produkt sollte sich so einzigartig am Markt positionieren, dass es keine Konkurrenz mehr gibt. Und wie einzigartig ein Produkt ist, lässt sich mit der Strategischen Kontur gut visualisieren.
Hier ein Beispiel:
Willst du die Strategische Kontur auch für dein Produkt erstellen? Dann wirf gerne einen Blick auf das „Professional Product Discovery and Validation“-Training. „Product Discovery“ ist die Fähigkeit, die Faktoren zu erkennen, die Produkte von der Konkurrenz abheben.
Wie kannst du mit der Priorisierung des Backlogs beginnen?
Soll das Backlog nicht mehr nach dem Bauchgefühl einer einzelnen Person priorisiert werden?
- Dann bewerte den Wert und Aufwand mit den Stakeholdern und Entwicklern. Um die Diskussion konkreter zu gestalten, nutze die Aufwand-Nutzen-Matrix, um die Resultate visuell festzuhalten.
- Wenn du die Nutzen-Achse in der Aufwand-Nutzen-Matrix weiter differenzieren möchtest, um ein ausbalanciertes Produkt zu entwickeln, das die Anwender langfristig bindet, kannst du die Kano-Analyse nutzen, um mehr Informationen für die Priorisierung zu erhalten.
- Möchtest du die strategische Ausrichtung des Produkts langfristig im Backlog abbilden, nutze dafür die „Strategische Kontur“.