Kürzlich habe ich eine Umfrage zu Produktzielen durchgeführt:
Nur 34 % der Befragten nutzen Produktziele. Da ich mir nicht sicher war, wie sehr ich diesen Zahlen trauen sollte, habe ich auch die Verwendung von Sprintzielen in Scrum Teams abgefragt. Dort zeigt sich ein anderes Bild: 60 % der Befragten setzen regelmäßig für ihren Sprint ein Ziel.
Dies deckt sich mit meiner Erfahrung.
Gute Produktziele zu finden, zu definieren und zu verfolgen ist schwierig. Und hierbei nehme ich mich nicht aus. Ich habe viele Schritte ausprobiert, um Ziele zu setzen, und viele davon haben sich als Irrwege herausgestellt. Allerdings haben sich auch einige Wege bewährt, und davon möchte ich dir heute berichten. Mehr noch:
Du bekommst von mir eine 5-Anleitung, wie du Produktziele definieren kannst, die messbare Ergebnisse liefern.
Beginnen wir bei den Grundlagen:
Was ist bei Produktzielen zu beachten?
Das Konzept von langfristigen Zielen hat schon lange Einzug in das Produktmanagement und die Agile Gemeinschaft gehalten. Deshalb wurde dieses Konzept auch im Jahr 2020 in den Scrum Guide aufgenommen.
„Das Produktziel beschreibt einen zukünftigen Zustand des Produkts, welcher dem Scrum Team als Planungsziel dienen kann. Das Produktziel befindet sich im Product-Backlog. Der Rest des Product-Backlogs entsteht, um zu definieren, ‚was‘ das Produktziel erfüllt.“
Was fällt dir auf, wenn du diese Definition liest? Vielen springen die Worte ‚zukünftiger Zustand des Produkts‘ ins Auge. Allerdings werden diese Worte auch genauso häufig falsch verstanden. Man denkt nur daran, was das Produkt in der Zukunft können soll, welche Möglichkeiten es bietet, welche Features es aufweisen wird.
Deshalb eine Warnung:
Mehr Features bedeuten nicht zufriedenere Kunden.
Allerdings war dies lange die vorherrschende Meinung.
Unternehmen handelten nach der Prämisse: Mehr Features bedeuten mehr zufriedene Kunden. Erst Ende der 1980er Jahre stellte Professor Dr. Noriaki Kano von der Tokyo University of Science das infrage. In seiner Forschung fand er heraus, dass die Kundenbindung von der emotionalen Reaktion auf das Feature abhängt.
Dabei fand er drei Arten von Feature-Qualitäten:
- „Must-have“-Features: Diese Features erwarten Kunden. Fehlen sie, sind sie unzufrieden.
- Leistungsfeatures: Hier trifft die Prämisse zu, dass mehr Features auch zufriedenere Kunden bedeuten.
- Begeisterungsfeatures: Diese Features erwarten Kunden nicht. Existieren sie, können sie Kunden begeistern.
Was bedeutet die Erkenntnis von Dr. Noriaki Kano für Produktziele?
Zielt ein Produktziel nur auf die Features ab, rückt es das Falsche in den Fokus. Denn der Erfolg hängt nicht nur von der Qualität und Quantität der Features ab, sondern von der emotionalen Reaktion darauf. Und deshalb sollten wir mit einem Produktziel auch darauf abzielen.
Lass uns das genauer betrachten und gleich als ersten Schritt festhalten:
Schritt #1: Ein Produktziel sollte eine Wirkung haben
Die logische Auswirkung von Features:
- Ein Feature am Produkt existiert.
- Das Feature wird vom Nutzer genutzt.
- Damit löst der Nutzer ein Problem in seinem Leben.
- Die Lösung macht ihn zufriedener.
- Mehr noch: Die Lösung ist so wertvoll für ihn, dass er bereit ist, dafür Geld zu zahlen.
- Schließlich wird aus einem Nutzer ein zufriedener Kunde.
Natürlich habe ich die logische Abfolge sehr vereinfacht dargestellt. Aber ich hoffe, du erkennst, was ich mit Auswirkung meine. Allerdings ist die Vereinfachung nicht das einzige Problem dieser Abfolge. Ein weit gravierenderes Problem:
Diese Abfolge muss nicht immer zutreffen.
Nur weil ein Produkt ein neues Feature hat, muss es eben nicht dazu führen, dass der Nutzer es nutzt oder es überhaupt kennt. Welche Schritte der Abfolge sind für den Erfolg eines Unternehmens wichtig? Die letzten Schritte sind entscheidend. Denn Features zu entwickeln, kostet erstmal nur Geld. Erst wenn Nutzer zu Kunden werden, erwirtschaftet das Produkt auch Umsatz.
Der Erfolg lässt sich mit dieser Gleichung beschreiben:
Gewinn = Umsatz − Kosten
Diese Überlegung sollten wir beim Definieren von Produktzielen miteinbeziehen.
Allerdings ist die bloße Steigerung des Umsatzes ein sehr vages Produktziel und gibt dem Scrum Team wenig Richtung vor. Wie lässt sich das Ziel konkreter machen? Die Frage führt uns zum nächsten Schritt:
Schritt #2: Die Modellierung des Geschäftsmodells als Gleichung
Betrachten wir hierzu ein Beispiel.
Ich habe die Gleichung eines Geschäftsmodells einer Onlinezeitung in diesem Artikel bereits im Detail vorgestellt: „Strategische Produkt-Ziele: Eine Anleitung, wie du mit einem Produkt messbare Ergebnisse für das Unternehmen erzielst“. Hier nur das Wichtigste: Wir können die Gleichung so lange aufteilen, bis wir zu dem Faktor kommen, den wir frühzeitig beeinflussen können und der dem Scrum Team eine Richtung weist, auf die es sich konzentrieren kann.
Ich nenne diese Faktoren die Hebel zur Steigerung des Umsatzes:
In dieser Fallstudie habe ich die „Subscription“-Rate, „Conversion“-Rate und „Churn“-Rate als Hebel identifiziert.
Jetzt gilt es, eine strategische Entscheidung zu treffen.
Auf welchen Hebel wollen wir uns konzentrieren? Ist unser Ziel, dass sich mehr Leser bei der Onlinezeitung anmelden? Wollen wir aus Lesern auch Kunden machen? Oder wollen wir die Abwanderung der bestehenden Leserschaft aufhalten?
All diese sind strategische Überlegungen.
Entscheiden wir uns für das Letzte, dann könnten wir das Ziel wie folgt festhalten:
„Monatliche ‚Churn‘-Rate um X % bis zu Y verringern“
Lass uns kurz innehalten und nochmal zusammenfassen, welche Erkenntnisse wir bisher gewonnen haben.
- Produktziele sollen nicht „mehr Features“ beschreiben, da diese ein wenig verlässlicher Indikator für Erfolg sind.
- Die Erreichung des Produktziels sollte eine positive Auswirkung auf das Unternehmen haben.
Dabei haben wir noch eine Frage vergessen:
Wer hilft uns dabei, dieses Ziel zu erreichen?
Die Antwort:
Unsere Nutzer. Allerdings machen sie das nicht freiwillig, sondern wir müssen auch für sie Wert stiften. Was uns zum dritten Schritt bringt:
Schritt #3: Was ist wertvoll für die Nutzer des Produkts?
Das herauszufinden, ist die Kernaufgabe von Product-Ownern.
Der Scrum Guide beschreibt sie wie folgt:
„Der Product-Owner ist ergebnisverantwortlich für die Maximierung des Wertes des Produkts, der sich aus der Arbeit des Scrum Teams ergibt.“
Die wichtigen Worte hier lauten „Wert des Produkts“. Und dieser Wert setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: Wert für den Nutzer und Wert für das Unternehmen. Letzteren haben wir gerade analysiert und als Wirkung bezeichnet.
Deshalb lass uns betrachten, was Wert für den Nutzer bedeutet.
Meine Definition von Wert besteht aus drei Teilen:
- Problem: eine Einschränkung, die Unwohlsein oder Schmerzen verursacht, wenn sie nicht aufgelöst wird.
- Ziel: ein Wunsch oder Endzustand, der es ermöglicht, sich über das Problem hinaus zu entwickeln.
- Lösung: ein Prozess oder Weg, der die Kluft zwischen Problem und Ziel überbrückt.
Betrachten wir nochmal das Beispiel einer lokalen Onlinezeitung:
- Problem: Die Leser in der Kleinstadt fühlen sich oft isoliert und wünschen sich mehr Austausch und Anschluss.
- Ziel: Leser sind aktiv in den Austausch mit anderen Gemeindemitgliedern eingebunden und fühlen sich als Teil einer interaktiven Gemeinschaft.
- Lösung: Ein interaktives Onlineportal, das regelmäßige Live-Diskussionen, Kommentarfunktionen und Gemeinschaftsforen bietet, um einen dynamischen Austausch zwischen den Lesern und der Redaktion zu fördern.
Der Wert für den Leser besteht also darin, nicht allein zu sein. Dafür ist er auch bereit, Geld zu bezahlen. Dadurch entsteht eine positive Auswirkung für die Onlinezeitung.
Die nächste Frage lautet nun:
Schritt #4: Wie lässt sich Wert entdecken und beschreiben?
Die Entdeckung von Wert ist eine wichtige Tätigkeit von Product-Ownern.
Eine ausführliche Beschreibung von Techniken, die genutzt werden, um Wert zu entdecken, findest du in meinem Artikel: „Warum die Entdeckung und Validierung von Features im Refinement unverzichtbar ist – und wie du in 4 Schritten wertvolle Features identifizierst“.
Hier möchte ich dir nur die zwei wichtigsten Techniken vorstellen:
- Interviews: Mittels Interviews kannst du Bedürfnisse, Erfahrungen, Verhaltensweisen, Motivationen und Einstellungen der (potenziellen) Nutzer in Erfahrung bringen. Regelmäßiges Befragen der Nutzer und Kunden hilft, ein tieferes Verständnis für die Zielgruppe zu entwickeln, und ermöglicht es, Ideen, Probleme und Chancen in Einklang mit den Nutzerbedürfnissen zu identifizieren.
- Personas oder Empathie-Maps: Die Erkenntnisse, die du mit Interviews über deine Nutzer gewinnst, lassen sich als Personas zusammenfassen oder in einer Empathie-Map festhalten. Personas und Empathie-Maps helfen dir dabei, den Wert zu beschreiben.
Was uns zur nächsten Frage bringt:
Wie lassen sich Wert für den Nutzer und dessen Auswirkung auf das Unternehmen zusammenfassen?
Hierfür gibt es eine einfache Methode.
Sie geht auf Gojko Adzic zurück. Ich nenne sie Impact-Outcome-Mapping. Outcome bezeichnet den Wert für den Nutzer und Impact die Wirkung für das Unternehmen. Diese Werte lassen sich in einem Graphen darstellen.
Damit können wir ein Produktziel nun ausführlich beschreiben. Im letzten Schritt zeige ich dir dafür ein Template:
Schritt #5: So kannst du ein Produktziel formulieren
Hier das versprochene Template:
„Wir wollen [das Produkt] so verbessern, dass unsere [Nutzer/Personas] erfolgreicher sind, wenn es darum geht, [ihr Problem zu lösen], was durch [diese messbaren Veränderungen im Nutzerverhalten] bestimmt ist.“
In unserem Beispiel könnte es so lauten:
„Wir wollen die Onlinezeitung so verbessern, dass unsere regionalen Leser mehr Anschluss und Austausch finden, was durch eine Reduzierung der Abwanderungsrate um 5 % bestimmt ist.“
Willst du die Anleitung nochmal in Ruhe als Video ansehen? Dann wirf einen Blick auf meinen letzten Webcast, den ich vor einigen Tagen für Scrum.org aufgezeichnet habe: