Können Konflikte vermieden werden?
Das bezweifle ich. Aber über die Jahre habe ich gelernt, besser damit umzugehen und nicht sofort einzuknicken. Die Lektion habe ich für dich in 3 Tipps verpackt.
Los geht’s:
Tipp #1: Unterscheide zwischen Problem und Person
Beginnen wir mit einer persönlichen Geschichte:
Vor einigen Jahren platzte ein Vertriebsmitarbeiter plötzlich in unsere Sprint-Planung. Nennen wir ihn „Tom“. Mit rotem Kopf schrie er fast:
„Wer ist dafür verantwortlich, dass meine Anforderung aus dem Backlog gelöscht wurde?“
Mir war sofort klar: Würde ich jetzt den „Schuldigen“ nennen, dann würde der etwas zu hören bekommen. Deshalb versuchte ich, so cool wie möglich zu bleiben, und fragte nur:
„Tom, warum hast du ein so großes Interesse an diesem Feature?“
Daraufhin erklärte Tom, dass er das Feature einem Kunden bereits versprochen hatte. Und wenn der Kunde es nicht im Produkt finden würde, wie sollte er dann jemals wieder gute Geschäftsbeziehungen mit ihm aufbauen können?
Warum erzähle ich dir von dieser Situation?
Sie ist ein Beispiel dafür, wie ich den Tipp „Unterscheide zwischen Problem und Person“ praktisch umsetzte. Und das kannst du auch. Verhärten sich die Positionen in der Diskussion, dann frage nach dem „Wozu“ dahinter. Diese Frage hilft dir, das aktuelle Problem von den Menschen zu lösen. Dass eine Anforderung aus dem Backlog gelöscht wurde, ist hier das Problem. Die Menschen sind Tom und die Mitglieder des Teams. Die Frage nach dem „Wozu“ führt dich weg vom Problem hin zu Tom – zu seinen Wünschen und Ängsten.
Nutze diese Frage, um mehr über die Position des anderen zu erfahren.
Was uns zum nächsten Tipp führt:
Tipp #2: Nutze objektive Kriterien zur Einigung
Fragen nach dem „Wozu“ oder die Bitte: „Kannst du mir das bitte erklären?“, helfen dir die Position des anderen zu verstehen.
Aber wie findest du eine Lösung?
Du brauchst objektive Kriterien – solche, denen beide Konfliktparteien zustimmen können. Beispiele hierfür könnten gesetzliche Vorgaben, ein gemeinsames Verständnis von Wert, Qualitätskriterien oder die Unternehmensstrategie sein.
Betrachten wir dieses Beispiel aus meinem Refinement:
Der Product-Backlog-Eintrag wurde bereits so aufgeteilt, dass die einzelnen Schritte aus Nutzersicht erkennbar sind. Nun geht es darum, Lösungen zu finden, damit der Nutzer diese Schritte durchführen kann. Jahrelang führte dieser Schritt zu endlosen Diskussionen über unterschiedliche Lösungsansätze und Prioritäten. Das Ergebnis war immer dasselbe: Alle Beteiligten waren am Ende genervt und frustriert.
Irgendwann habe ich dann erkannt, dass es auch anders geht.
Anstatt alle Lösungsansätze zu diskutieren und am Ende auf verhärteten Positionen zu verharren, bin ich diesen drei Schritten gefolgt:
- Ideensammlung: Jeder Entwickler schreibt so viele Lösungsansätze auf, wie ihm einfallen.
- Qualitätskriterium festlegen: Der Product-Owner nennt ein Qualitätskriterium, das ihm am wichtigsten ist, etwa: „Wir wollen schnell und kostengünstig lernen, ob die Funktion das Nutzerproblem löst – technische Schulden sind willkommen.“ Oder: „Die Lösung muss skalieren, keinerlei technische Schulden enthalten und voll automatisiert sein.“
- Bewertung der Ideen: Dann bewerten die Entwickler, welcher Lösungsvorschlag dieses Qualitätskriterium am besten erfüllt.
Dir fällt bestimmt sofort auf, dass dieses Vorgehen den ersten Tipp beherzigt. Wir trennen Personen von Ideen und damit vom Problem. Es geht nicht mehr darum, wer die beste Lösung hat, sondern welche Lösung das Qualitätskriterium am besten erfüllt.
Der Tipp zur Lösung des Konflikts:
Nutze objektive Kriterien zur Entscheidung und nicht Meinungen. Meinungen führen zur Verhärtung von Positionen.
Manchmal funktioniert das auch nicht. Dann hilft dir vielleicht dieser Tipp:
Tipp #3: Suche neue Optionen
Manche Konflikte lassen sich nicht einfach lösen.
Weder erzielst du Fortschritt, indem du dich erst auf dein Gegenüber zubewegst, um Menschen von Problemen zu trennen. Noch helfen objektive Kriterien, denen alle im Raum zustimmen können, um einen Kompromiss zu finden.
Was kannst du dann noch probieren?
Letzte Woche war ich in einem Workshop. In der Pause am Nachmittag sagte Lena zu uns: „Kann ich das Fenster öffnen? Die Luft hier ist sehr schlecht.“ Eine andere Person verneinte dies sofort. Sie wollte nicht, dass es so kalt wird oder der Wind ihre Notizen vom Tisch weht.
Die Stimmung war bisher eigentlich sehr gut. Änderte sich das jetzt? Ich nahm einen Schluck aus meiner Kaffeetasse und lehnte mich gespannt zurück, damit ich die beiden gut im Blick hatte. Mir war klar, Lena gibt klein bei. Aber dann sagte sie:
„Okay. Wie wäre es, wenn ich stattdessen nur die Tür zum Gang auflasse?“
Was will ich dir mit dieser Geschichte sagen?
Konflikte lauern wirklich überall. Es ist schwer, in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Aber darum geht es mir nicht, sondern:
Differenzen bringen Möglichkeiten.
Ich weiß, du kannst diesen Kalenderspruch bestimmt auch nicht mehr hören. Aber was dahintersteckt, ist sehr faszinierend. Die Situation war kurzzeitig ein Dilemma.
Was meine ich damit? Beide Möglichkeiten haben negative Konsequenzen. Wird das Fenster geöffnet, wird es kalt. Bleibt es zu, bleibt es stickig. Eine gute Entscheidung ist nicht möglich. Vielleicht wäre ein Kompromiss möglich gewesen, etwa das Fenster nur zu kippen. Allerdings wäre weder viel frische Luft in den Raum gekommen, noch wäre es so warm geblieben. Was stattdessen passierte, ist faszinierend:
Keine der Möglichkeiten wurde gewählt, sondern eine neue gefunden.
Um einen Ausweg aus einem Dilemma zu finden, kannst du ein strukturiertes Vorgehen nutzen, wie die Tetralemma-Methode, oder du machst es wie Lena und nutzt viel Kreativität. Diese Kreativität wird aber erst nötig, wenn ein Konflikt entsteht. Und daran will uns der Kalenderspruch „Differenzen bringen Möglichkeiten“ erinnern.
Deshalb mein Tipp:
Als Product-Owner solltest du nicht vorschnell Kleinigkeiten nachgeben und deine Position aufgeben. Es geht nicht ums Gewinnen oder Verlieren, sondern darum, eine Lösung zu finden, die alle zufriedenstellt. Dafür muss vielleicht eine neue Idee gefunden werden.
Product-Owner sind keine Diktatoren, sondern Kollaboratoren.
Sind Konflikte mit Stakeholdern ständig auf deiner Tagesordnung? Hast du keine Lust mehr, wie ein Kellner alle Wünsche der Stakeholder zu erfüllen?
Dann besuche doch das „Professional Scrum Product Owner – Advanced“-Training. Dort geben Peter und ich dir zwei Tage lang viele Methoden an die Hand, die dir helfen, deine Stakeholder zu managen. Du erfährst, wie du Ziele setzt, die Vision kommunizierst, das Backlog priorisierst, Nein sagst und mit Compliance umgehst.