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„Das ist eine Regel hier!“ – So gehst du als Scrum Master mit Bürokraten um

December 23, 2024

Mein Abteilungsleiter Stefan betrat mein Büro und sagte:

„Wenn du Regeln umgehst, darfst du dich dabei nicht erwischen lassen.“

Er reichte mir meinen Stundenzettel und ich warf einen Blick darauf. Seine Unterschrift zur Genehmigung fehlte.

„Was stimmt nicht?“, fragte ich.

„Auf deinem Stundenzettel steht, dass du jeden Tag bis 17 Uhr hier warst. Rudi war aber letzte Woche mehrmals nach 16:00 Uhr hier und konnte dich nie antreffen.“

Ich konnte Rudi nicht ausstehen. Eigentlich war Rudi dafür verantwortlich, dass jeder externe Mitarbeiter im Projekt einen Vertrag bekam und diesen auch erfüllte. Mir war er zum ersten Mal aufgefallen, als er unserem Team verboten hatte, die Teamregeln an die Wand zu hängen, da das der Brandschutzverordnung widersprach. Seither beantwortete er nie meine E-Mail-Anfragen und wenn ich ihn in seinem Büro antraf, dann siezte er mich als Externen weiterhin, obwohl wir uns im Projekt alle auf das „Du“ geeinigt hatten.

Ich schaute zur Tür, um sicherzugehen, dass Stefan allein gekommen war. Dann senkte ich meine Stimme etwas und sagte:

„Ich war bereits weg. Ich will einfach gute Arbeit leisten und bin morgens direkt nach dem Aufstehen einfach fitter als ...“

„Ich weiß“, unterbrach mich Stefan mit einem Schulterzucken. „Aber Regeln sind nun mal Regeln und die offizielle Arbeitszeit beginnt hier erst um 8:00 Uhr.“

Stefan legte den Stundenzettel auf meinen Tisch und tippte zweimal mit dem Zeigefinger auf die Spalte mit den Zeiten.

„Und wie gesagt, wenn du dich nicht daran halten kannst, dann lass dich wenigstens nicht dabei erwischen.“

Welche Lektion habe ich daraus gezogen?

In meiner Zeit bei der Behörde habe ich viele Lektionen über Regeln gelernt. Und versteh mich nicht falsch:

Ich bin nicht per se gegen Regeln.

Viele Regeln haben ihren Nutzen. Denke nur an die Verkehrsregeln. Wenn du tagsüber an eine viel befahrene Kreuzung kommst, dann hilft eine Ampelschaltung den Verkehr so zu regeln, dass jeder irgendwann auch fahren darf und niemand verletzt wird. Kommen wir jedoch um Mitternacht an dieselbe Kreuzung und weit und breit ist niemand zu sehen, dann ärgern wir uns, wenn wir zwei Minuten an der roten Ampel stehen.

Manchmal ergeben einst aufgestellte Regeln einfach keinen Sinn mehr. Und wenn diese Regeln das Scrum Team daran hindern, Wert für die Kunden zu liefern, dann ist es unsere Aufgabe als Scrum Master, diese Probleme anzugehen.

Und das ist nicht leicht.

Der Satz „Das ist hier eine Regel!“ lässt mich immer wieder aufs Neue zusammenzucken. Denn die Person, die ihn sagt, hat implizit die Macht eines ganzen Unternehmens hinter sich. Wer bin ich, um das infrage zu stellen? Und wenn wir den Mut aufbringen und die Regeln doch infrage stellen, wie können wir dann dabei erfolgreicher sein?

Dazu sollten wir uns diese Frage stellen:

Was steht für die Bürokraten auf dem Spiel?

Diese Frage ist entscheidend.

Jeder weiß: Das Rezept für erfolgreiche Veränderungsvorhaben sind eben nicht die Fragen: „Was wollen wir?“, „Was behindert unser Team?“ oder „Was sollte sich ändern?“, sondern immer:

„Was kann die andere Person gewinnen?“

Die meisten Personen motiviert eine Verbesserung, damit sie sich auf eine Veränderung einlassen.

Das gilt nicht für die Bürokraten.

Viele Bürokraten haben bequeme Positionen in etablierten Unternehmen oder Institutionen. Für sie ist es nicht von Vorteil, wenn sich Dinge ändern. Wahrscheinlich könnte eine Veränderung das Schlimmste sein, was ihnen passiert. Ein Bürokrat interessiert sich nicht für gute Ergebnisse, Investitionen in eine langfristige Lösung oder die Rentabilität des Produkts. Bürokraten geht es darum, ihre Position zu behalten und nicht in Schwierigkeiten zu geraten.

Deshalb ist die entscheidende Frage:

„Was steht für die Bürokraten auf dem Spiel?“

Je besser wir die Situation mit ihren Augen sehen, desto besser finden wir eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Wir tun das nicht, indem wir einen Vorteil für den Bürokraten schaffen. Sondern:

Schaffe eine Situation, in der der Status quo erhalten bleibt

Vergiss nicht:

Bürokraten lassen sich weniger durch Vorteile motivieren, sie wollen den Status quo erhalten. Deshalb müssen wir eine Gefahr für ihren Status erzeugen. Das ist der Schlüssel, um sie für eine Veränderung zu motivieren.

Ein Beispiel:

Angenommen, wir versuchen schon seit Wochen, einen Termin beim Vorstand zu bekommen, um über ein Problem unseres Teams mit ihm persönlich zu sprechen. Aber es ist einfach kein Durchkommen bei seinem Sekretär. „Ohne Termin kein Gespräch.“ Und dreimal darfst du raten, wer die Termine vergibt? Sein Sekretär. Er vertritt die Meinung, IT-Themen sollten in der IT geklärt werden, und wenn es wichtig ist, würde sich der Leiter der IT beim Vorstand melden. Die Vorteile von Scrum und agilem Arbeiten werden den Sekretär kalt lassen. Glaub mir. Ich habe es bereits versucht.

Was ihn aber nicht kalt lassen wird, ist der Satz:

„Ich habe den Vorstand gestern Abend bei der Präsentation des neuen Produkts getroffen. Wir hatten nicht viel Zeit zum Sprechen, deshalb hat er mich gebeten, einen Termin bei Ihnen zu vereinbaren, damit wir das Gespräch fortsetzen können.“

Ob wir wirklich bei der Präsentation des Produkts waren und wirklich mit dem Vorstand gesprochen haben, verrate ich dir ein anderes Mal. Worauf ich heute hinauswill, ist: Der Sekretär hat nun eine Entscheidung zu treffen:

  • Gibt er uns keinen Termin und wir haben mit dem Vorstand gesprochen, dann steht er vor dem Vorstand vielleicht nicht gut da.
  • Gibt er uns einen Termin und wir haben nicht mit dem Vorstand gesprochen, dann kann er sich rausreden, dass wir ihm versichert hätten, es wäre abgesprochen gewesen.

Will der Sekretär den Status quo erhalten, ist es besser für ihn, uns den Termin zu geben. Und zwar nicht, weil unser Thema wichtig ist oder weil er will, dass unser Team erfolgreich ist, sondern einfach nur, weil er so nicht um seine Position fürchten muss. Er beantwortet für sich die Frage: „Was sage ich meinem Chef, wenn es schiefgeht?“ Wenn du mir nicht glaubst, dann achte mal darauf, wie viele Menschen es vorziehen, ihre Vorgesetzten bei E-Mails in cc  zu setzen. Warum machen sie das wohl?

Die Frage „Was sage ich meinem Chef, wenn es schiefgeht?“ aus Sicht eines Bürokraten zu beantworten, wird dir helfen, auch bei Veränderungsvorhaben erfolgreicher zu sein, wenn es nur so vor Bürokraten wimmelt.

Zum Schluss noch ein Appell:

Verurteile niemals andere, weil sie risikoscheu sind

Ja, ich habe in den letzten Zeilen wahrscheinlich kein gutes Haar an Bürokraten gelassen. Aber was wir trotzdem niemals vergessen sollten:

Bürokrat zu sein, ist eine Wahl. Keine Job-Beschreibung.

Und die Wahrheit ist wohl: Es gibt viele Situationen in meinem Leben, da bin auch ich Bürokrat. Situationen, in denen ich das Risiko scheue, etwas Neues zu wagen, und lieber versuche, den Status quo zu erhalten. Bei mir ist es das Essengehen. Ich esse lieber zu Hause und Dinge, die ich kenne. Was ist es bei dir?


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