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Strategische Produkt-Ziele: Eine Anleitung, wie du mit einem Produkt messbare Ergebnisse für das Unternehmen erzielst

October 7, 2024

Wie wird ein gutes Produkt-Ziel definiert?

Stellst du dir auch diese Frage? In diesem Artikel zeige ich dir, wie ich die Business-Modell-Gleichung nutze. Ich erkläre, wie man damit ein Ziel definiert, das auch dem Unternehmen hilft.

Aber bevor wir zur Anleitung kommen, räumen wir erst einmal mit einer gängigen Fehlvorstellung auf.

Was ist ein Produkt-Ziel in Scrum wirklich?

Der Scrum Guide definiert das Produkt-Ziel so:

„Das Produkt-Ziel beschreibt einen zukünftigen Zustand des Produkts, welcher dem Scrum Team als Planungsziel dienen kann.“

Woran denkst du beim Wort „zukünftiger Zustand“? Die meisten denken an Funktionen, Merkmale und Features, also an Dinge, die das Produkt in Zukunft besitzen soll. Es geht um das „Was“ des Produkts, oder?

Ich sehe das anders.

Lass uns deshalb im Scrum Guide weiterlesen. Der nächste Satz liefert dir bereits einen Hinweis:

„Der Rest des Product-Backlogs entsteht, um zu definieren, ‚was‘ das Produkt-Ziel erfüllt.“

Jetzt fragst du dich bestimmt: Wenn das Product-Backlog das „Was“ beschreibt, was beschreibt dann das Produkt-Ziel? Auch das „Was“?

Das macht keinen Sinn.

Genau. Aus meiner Sicht beschreibt das Produkt-Ziel das Ergebnis, das wir für unsere Kunden oder Nutzer erreichen wollen.

Joshua Seiden, der Autor des Buches „Outcomes Over Output: Why Customer Behavior Is The Key Metric For Business Success“, beschreibt Ergebnisse so:

„Ein Ergebnis ist eine Veränderung im menschlichen Verhalten, die zu Geschäftsergebnissen führt.“

Ein Produkt-Ziel sollte ein solches Ergebnis beschreiben. Es sollte Verhaltensweisen der Nutzer beschreiben, die die Geschäftsergebnisse vorantreiben. Ergebnisse passieren also, wenn wir die richtigen Funktionen ins Produkt einbauen. Nicht die Funktionen des Produkts sind am Ende für den Erfolg verantwortlich, sondern die Ergebnisse, die die Nutzer damit erreichen, – und diese wirken sich positiv auf unser Unternehmen aus.

Halten wir fest:

Das Produkt-Ziel sollte beschreiben, „wozu“ wir das Produkt verbessern wollen. Das Product-Backlog ist dann eine Liste von Hypothesen und Experimenten, die alle darauf abzielen, dieses Ergebnis zu erzielen.

Nachdem wir dieses Missverständnis aus der Welt geschafft haben, bleibt die Frage: Wenn Produkt-Ziele keine Features sind, wie definiere ich sie dann?

Das will ich dir an einem Beispiel zeigen:

Analyse des Geschäftsmodells

Produkt-Ziele leiten sich aus dem Geschäftsmodell ab.

In anderen Worten: Um ein Produkt-Ziel zu definieren, das ein Ergebnis beschreibt, müssen wir einige Schritte zurücktreten. Dadurch können wir das gesamte Geschäftsmodell betrachten.

Lass uns diese Schritte zusammen gehen. Dazu betrachten wir als Beispiel eine kleine, lokale Onlinezeitung.

Auf der Homepage sind lokale Nachrichten im Kurzformat für jeden Besucher frei zugänglich. Durch Anmeldung können täglich bis zu drei weiterführende Artikel wie Analysen und Kolumnen gelesen werden. Wer täglich beliebig viele Artikel und Nachrichten lesen will, kann ein monatliches Abonnement für 10 Euro abschließen.

Hier das Geschäftsmodell des Unternehmens in Zahlen:

  • Im letzten Monat (Dezember) wurde die Homepage 500 000 Mal aufgerufen.
  • Dabei meldeten sich 30 % der Besucher für einen freien Zugang an. Hierfür ist nur die E-Mail erforderlich. Die Subscription-Rate beträgt also 30 %.
  • 0,5 % der Nutzer mit einem freien Zugang wechselten auf einen Bezahlzugang. Die Conversion-Rate beträgt also 0,5 %.
  • Gleichzeitig haben im letzten Monat 7 % ihr Bezahl-Abo gekündigt. Die Churn-Rate beträgt also 7 %.
  • Die Anzahl der Abonnenten mit Bezahlzugang lag im letzten Monat bei 10 000.
  • Der durchschnittliche Preis pro Abo beträgt 10 Euro.

Das Geschäftsmodell der Zeitung ist ein typisches Abo-Modell aus dem B2C-Bereich. Dabei wird diese dreistufige Geschäftsstrategie verfolgt:

  1. Biete ein wertvolles Produkt an.
  2. Bringe die Menschen dazu, es auszuprobieren.
  3. Überzeuge sie, den Service zu abonnieren.

Die Monetarisierung geschieht nun über Werbung (z. B. Instagram oder Snapchat) oder Bezahl-Abos (z. B. Duolingo oder Spotify). Damit diese Modelle funktionieren, also profitabel sind, muss das strategische Ziel immer lauten: Nutzer-Engagement steigern. Je mehr die Nutzer mit dem Produkt interagieren, desto besser können wir monetarisieren.

Nach dem Ausflug über Abo-Modelle wieder zurück zu unserer Zeitung. Sie hat das Bezahl-Abo-Modell gewählt.

Der Geschäftsführer der Zeitung verrät uns, dass das Unternehmensziel bis Jahresende darin besteht, 1.350.000 Euro einzunehmen. Andernfalls können die Kosten nicht mehr gedeckt werden. Aktuell ist das Unternehmen nicht mehr wirklich profitabel und die Rücklagen sind bis Ende des Jahres aufgebraucht.

Betrachten wir die Zahlen noch einmal. Was fällt dir auf?

Für mich klingen die Zahlen alle branchenüblich. Nur eine Zahl sticht heraus: Die Abwanderungsrate beträgt 7 %. Klingt mehr als bei Netflix. Vielleicht ist das das Problem. Allerdings sollten wir uns hier nicht von unserem Bauchgefühl leiten lassen, sondern die Situation genauer analysieren.

Hierzu ist Mathematik notwendig.

Business-Modell-Gleichung aufstellen

Wenn wir uns nicht auf unser Bauchgefühl verlassen wollen, müssen wir das Geschäftsmodell als Gleichung formulieren. Dadurch wird es berechenbar.

Im Beispiel sieht das so aus:

Hier noch einmal die Formel:

  • Gewinn = Umsatz - Kosten
  • Umsatz = Anzahl der Abonnenten im aktuellen Monat × durchschnittlicher Preis pro Abo
  • Anzahl der Abonnenten im aktuellen Monat = Anzahl der Abonnenten im Vormonat + neue Abonnenten - Anzahl der Abonnenten im Vormonat × Churn-Rate
  • Neue Abonnenten = Besucher auf der Homepage × Subscription-Rate × Conversion-Rate

Mit diesen Gleichungen können wir eine Prognose für das Jahr erstellen:

Addieren wir die Umsatzprognose für die nächsten 12 Monate, erhalten wir 1.230.440 Euro. Was laut der Aussage des Geschäftsführers problematisch ist. Ein häufiger Impuls wäre in einer solchen Situation, die Kosten zu reduzieren. Die Frage, die wir uns hier allerdings stellen sollten:

Ist die Lösung des Problems Kostenreduzierung oder Wachstum?

Welchen der beiden Hebel in der Geschäftsmodell-Gleichung sollten wir also verbessern? Hierbei hilft ein Blick auf die Kostenstruktur. Die Zeitung hat 15 Mitarbeiter. Diese sind auf drei Teams aufgeteilt: Redaktion, Webseite, Vertrieb und Marketing sowie Verwaltung. Dazu gibt es noch einige freie Mitarbeiter. Das Gehalt der Mitarbeiter beträgt im Schnitt 45.000 Euro. Addieren wir alles zusammen, kommen wir auf etwa 60 – 70 % Personalkosten. Somit entfallen 30 – 40 % der Kosten auf Weiteres. Willst du meine Einschätzung, ob Kostenreduzierung oder Wachstum die bessere Lösung ist? Dann würde ich auf Wachstum setzen. Bei Kostenreduktion sehe ich wenig Spielraum, den Gewinn merklich zu steigern.

Wollen wir das Problem durch Wachstum lösen, müssen wir den linken Teil der Gleichung analysieren.

Hierzu schauen wir uns einige Szenarien an und rechnen etwas:

  • Auf welchen Wert muss die Besucherzahl steigen, damit wir das Umsatzziel erreichen? Die Besucherzahl müsste auf 548 550 Besucher pro Monat erhöht werden.
  • Welchen Wert müsste die Subscription-Rate erreichen? Die Subscription-Rate müsste 32,913 % gesteigert werden.
  • Auf welchen Wert müsste die Conversion-Rate steigen? Die Conversion-Rate müsste auf 0,5486 % erhöht werden.
  • Welchen Wert müsste die Churn-Rate erreichen? Die Churn-Rate müsste auf 6,38 % reduziert werden.
  • Um wie viel müsste der Abo-Preis steigen? Der durchschnittliche Preis pro Abo müsste auf 10,97 € erhöht werden.

Bei der Berechnung der Szenarien habe ich immer alle Parameter konstant gelassen und nur einen verändert. Somit ist es etwas einfacher. Betrachten wir die Szenarien, fällt auf, dass immer eine etwa 10-%-ige Verbesserung eines Parameters nötig ist. Für mein Bauchgefühl, dass wir die Churn-Rate verringern müssen, gibt es keinen stichhaltigen Nachweis.

Wir haben also mehrere Möglichkeiten für Verbesserungen gefunden.

Und langsam schließt sich endlich der Bogen zum Produkt-Ziel – halte noch durch.

Ein gutes Produkt-Ziel finden

Das Produkt-Ziel beantwortet die Frage, auf welche dieser Ergebnisse wir uns konzentrieren sollten.

Denn die Conversion-Rate, Subscription-Rate und Churn-Rate beschreiben allesamt Veränderungen im Verhalten der Nutzer, die zu besseren Geschäftsergebnissen führen. Diese Zahlen ändern sich, wenn die Nutzer ihr Verhalten ändern. Besucher entschließen sich, dem Unternehmen ihre E-Mail-Adresse zu geben. Im Gegenzug können sie weitere Artikel lesen. Dadurch steigt die Conversion-Rate. Diese Verhaltensänderung hat somit positive Auswirkungen auf die Onlinezeitung. Die Conversion-Rate sinkt, wenn sie sich dagegen entscheiden und zu einer anderen Nachrichtenseite wechseln. Diese Verhaltensänderung ist negativ für die Zeitung.

Zurück zum Beispiel:

Angenommen, wir entscheiden uns, dass wir die Conversion-Rate verbessern wollen. Wie lässt sich daraus ein gutes Produkt-Ziel formulieren?

Im „Professional Scrum Product Owner – Advanced“-Training nutzen wir hierfür diese Vorlage:

Wie können wir [das Produkt/die Dienstleistung] so verbessern, dass unsere Kunden erfolgreicher sind, wenn es darum geht, [ihr Problem zu lösen], welches durch [diese messbaren Veränderungen im Kundenverhalten] bestimmt ist?

Damit lautet das Produkt-Ziel:

Wie können wir unsere Webseite so verbessern, dass sich mehr Leser entscheiden, sich für den freien Zugang zu registrieren? Wir sind erfolgreich, wenn wir die Registrierungen von derzeit 30 % auf 33 % steigern können.

Mit diesem Produkt-Ziel kann das Team beginnen, zu sprinten. Es kann Hypothesen und Experimente aufstellen, testen und validieren. Diese sind dann die Einträge des Product-Backlogs und zielen darauf ab, dieses Ergebnis zu erzielen. Nochmal zurück zum Ziel:

Ist das Produkt-Ziel gut?

Das Ziel erfüllt nicht die SMART-Kriterien. Es ist spezifisch, messbar und relevant für das Unternehmen. Allerdings wissen wir nicht, ob es erreichbar ist. Zudem ist es nicht zeitlich gebunden.

Warum ich bei der Definition von Produkt-Zielen auf diese Kriterien verzichte, erfährst du, wenn du das Sprint-Review besuchst ...

Die Überraschung im Sprint-Review

Viele Sprint-Reviews bleiben weit hinter ihren Erwartungen zurück. Das Resultat: Die Stakeholder sind schnell frustriert und erscheinen nicht mehr.

Warum ist das so?

Aus meiner Sicht hängt es mit dem Produkt-Ziel zusammen. Beschreibt ein Produkt-Ziel nur Funktionen oder Features, können im Sprint-Review auch nur Teile dieser Features oder Funktionen demonstriert oder diskutiert werden. Die Neuerungen sind bestimmt für die Stakeholder aus dem Unternehmen interessant. Allerdings ist das Feedback dazu für das Scrum Team meist nutzlos. Warum? Die Stakeholder sind eben nicht die Nutzer. Sie nutzen diese Funktionen nicht intensiv und können somit wenig wertvolles Feedback geben. Eine Möglichkeit wäre es jetzt, echte Nutzer in das Sprint-Review einzuladen. Dort könnten sie die Funktionen ausprobieren. Diese Vorgehensweise ist jedoch häufig nicht praktikabel. Was könnten wir stattdessen machen?

Wäre es nicht besser, das Sprint-Review zu dem zu machen, was es eigentlich sein sollte? Der Scrum Guide schreibt:

„Das Scrum Team stellt die Ergebnisse seiner Arbeit den wichtigsten Stakeholdern vor, und die Fortschritte in Richtung des Produkt-Ziels werden diskutiert.“

Du hast es bestimmt bereits erkannt, aber ich will es nochmal unterstreichen. Es steht dort nicht, das Team stellt seine Arbeit vor, sondern das Team stellt die Ergebnisse seiner Arbeit vor. Soll heißen: Es geht darum, die Veränderung im Verhalten der Nutzer vorzustellen. Das bedeutet, dass die Nutzer bereits die neuen Funktionen nutzen. Im Sprint-Review werden die Auswirkungen dieser Funktionen auf die Geschäftsergebnisse vorgestellt und das interessiert alle Stakeholder bis zur Geschäftsleitung. Ein Sprint-Review ist somit keine reine Feature-Demonstration. Vielmehr ist es ein Workshop, um die Strategie des Produkts zu überprüfen und anzupassen, wenn sich die Marktsituation ändert.

Im vierten Sprint-Review dieses Jahres sehen die Zahlen der Onlinezeitung so aus:

Analysieren wir die Zahlen, dann sehen wir:

  • Die Subscription-Rate steigt auf unser Ziel von 33 %. Super. Ziel erreicht?
  • Dadurch ist die Abonnentenzahl von 10.000 auf 10.184 gestiegen.
  • Allerdings schwankt die Churn-Rate zwischen 6,80 % und 7,30 %.
  • Dadurch variiert der Umsatz zwischen 100.188 € und 102.960,00 €.
  • Und somit liegt der erforderliche Gesamtumsatz nach einem Drittel des Jahres erst bei 30,26 %. Was bedeutet das? Wir können einen Jahresumsatz von 1.225.377,60 € prognostizieren. Und das heißt, es würden etwa 15 % zum benötigten Umsatz von 1.350.000 € fehlen.

Wenn du dich jetzt nochmal an den Scrum Guide erinnerst:

„Das Scrum Team muss eine Zielvorgabe erfüllen (oder aufgeben), bevor es die nächste angeht.“

Dann stelle ich dir die Frage: Wie interpretierst du die Situation? Soll das Team das Ziel weiterverfolgen oder sollten wir nach vier Monaten ein neues Produkt-Ziel definieren?

Diese Fragen sollte ein Team nicht allein beantworten müssen. Deshalb gibt es das Sprint-Review. Dort kann die Frage mit den Stakeholdern beantwortet werden. Schließlich geht es um die Zukunft der Onlinezeitung.

Zum Abschluss schulde ich dir noch eine Antwort:

Warum sollten Produkt-Ziele nicht SMART sein? Wie du am Beispiel der Onlinezeitung siehst, ist die Zukunft ungewiss. Deshalb macht es aus meiner Sicht keinen Sinn, dass Produkt-Ziele erreichbar sein müssen oder zeitlich gebunden sind. Was wichtiger ist: Das Scrum Team und die Stakeholder sollten spätestens nach einem Monat zusammenkommen. Ziel ist es, die Ergebnisse der Arbeit des Scrum Teams zu überprüfen. Anschließend wird entschieden, wie es weitergehen soll.

Somit verbindet das Produkt-Ziel die Bedürfnisse der Nutzer mit der Geschäftsstrategie des Unternehmens. Und diese Verbindung sollte einmal im Monat überprüft werden. 


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