Was bedeutet, als Moderator erfolgreich zu sein?
Wenn du bereits an einem Meeting teilgenommen hast, welches ein versierter Facilitator leitete, dann weißt du, wie Erfolg aussieht. Es ist das Gefühl, mit dem du den Workshop verlässt: Du hast etwas erreicht, konzentriert gearbeitet und warst gleichzeitig im ständigen Austausch mit anderen. Sie haben dich auf neue Ideen gebracht und du hast sie mit deinen Fragen inspiriert.
Diesen Erfolg für die Teilnehmer unserer Workshops zu ermöglichen, danach streben wir Facilitatoren. Es ist unser Ziel. Allerdings gleicht der Weg zum Ziel einem Mysterium. Cindy Huggett – eine weltweit führende Expertin mit sieben Büchern zur Workshopmoderation – bezeichnet es als die „Magie des Facilitators“:
„Als Facilitator ist es meine Aufgabe, die gesamte Energie im Raum zu kanalisieren und die Menschen zu führen. Das ist für mich der mystische Teil. Deshalb bezeichne ich es als die Magie des Facilitators. Bei dieser Arbeit geht es um Körpersprache und darum zu erkennen, wie die Stimmung im Raum ist und wo Menschen ängstlich oder wütend sind.“ (frei übersetzt)
Die Magie liegt also darin, die Körpersprache, Stimmungen und Gefühle der Personen im Raum zu lesen und sie so zu kanalisieren, dass das Ziel des Workshops erreicht wird. Diesen Ansatz kennst du als „Reading the room“.
Jedoch gibt es hierbei ein Problem:
In den vergangenen drei Jahren hast du, wie ich, die Teilnehmer deiner Workshops nur durch einen Bildschirm gesehen. Bestenfalls konntest du ihr Gesicht erkennen. Oft war der Raum, in dem das Meeting stattfand, das Schlafzimmer der Teilnehmer. Dann fragst du dich zu Recht: Wie soll „Reading the room“ online funktionieren?
Lies weiter und ich teile 7 Tipps mit dir, wie ich „Reading the room“ online umsetze.
Tipp 1: Beziehe die Teilnehmer ab der ersten Minute ein
Wann beginnt der Workshop?
Selbst erfahrene Moderatoren beantworten diese Frage oft mit: Zur Uhrzeit, die in der Einladung steht. Bis dahin sind die Kameras aus und eine unangenehme Stille herrscht im virtuellen Raum, oder die Teilnehmer warten allein vor dem schwarzen Bildschirm im Warteraum.
Ich sehe es anders:
Ein Online-Workshop beginnt, wenn der erste Teilnehmer den virtuellen Raum betritt. Deshalb begrüße ich jeden Ankömmling im Online-Training mit seinem Namen und frage, wie es ihm geht. Wenn sich dann einige Personen im Raum eingefunden haben, bitte ich sie, ihre Namen in Zoom zu ändern. Die Kombination aus Vornamen, aktuellem Aufenthaltsort und erstem Nebenjob ist eine gute Möglichkeit, mehr über die Person zu erfahren und unter den Teilnehmern eine Diskussion anzuregen.
Diese Kombination ist eine einfache Methode, um „zu lesen“, wer im Raum ist.
Tipp 2: Starte mit der EEUG-Methode
Sind die Teilnehmer freiwillig da?
In den meisten meiner öffentlichen Online-Trainings sind die Teilnehmer freiwillig da. Bei Online-Workshops, die ich für Unternehmen gebe, ist das leider nicht immer der Fall. Um diese Situation im Raum „zu lesen“, verwende ich die EEUG-Methode. Ich habe sie vor einigen Jahren von Roland Flemming gelernt und ich denke, sie geht auf Paulo Caroli und Tainã Caetano Coimbra den Autoren von „FunRetrospective“ zurück. Es handelt sich um eine kurze Aktivität, mit der das Engagement der Teilnehmer für das jeweilige Training gemessen wird.
Sie funktioniert ganz einfach:
Bitte die Teilnehmer, anonym zu wählen, ob sie als Entdecker, Einkäufer, Urlauber oder Gefangener an diesem Training teilnehmen:
- Entdecker: Du bist begierig darauf, neue Ideen und Erkenntnisse zu entdecken.
- Einkäufer: Du möchtest dir zunächst alle verfügbaren Informationen ansehen und bist froh, wenn du mit einer nützlichen neuen Idee nach Hause gehst.
- Urlauber: Das Thema interessiert dich nicht besonders, aber du freust dich über eine Abwechslung vom Alltag.
- Gefangener: Du fühlst dich zur Teilnahme gezwungen und würdest eigentlich lieber etwas anderes tun.
(Lade das Bild gerne herunter und verwende es direkt in deinem nächsten Online-Meeting! Vergiss dann nicht im Anschluss zu kommentieren, ob es funktioniert hat.)
Die EEUG-Methode eignet sich für Trainings, Workshops und Retrospektiven, um „zu lesen“, warum die Teilnehmer da sind. Bei Retrospektiven kann es sinnvoll sein, noch einen Schritt weiterzugehen:
Tipp 3: Starte mit einem Safety-Check
Wie sicher fühlen sich die Teammitglieder, wenn sie Informationen über sich preisgeben?
Wenn du eine Online-Retrospektive moderierst, dann hat das Sicherheitsgefühl der Teammitglieder erheblichen Einfluss auf den Erfolg. Möchtest du den Sicherheitslevel der Personen im Raum „lesen“, dann musst du sie danach fragen. Hierzu hat sich folgende Frage bewährt:
„Auf einer Skala von 1 bis 5, wobei 1 sehr unsicher und 5 sehr sicher bedeutet, wie sicher fühlst du dich, nicht verurteilt zu werden, wenn du Persönliches von dir preisgibst?“
Damit die Umfrage wahrheitsgemäß ausgefüllt wird, solltest du sie anonym durchführen.
Tipp 4: Erstelle Working-Agreements gemeinsam
Jeder sollte Einfluss darauf nehmen können, wie der virtuelle Raum gestaltet ist.
Wann sind die Pausen, wann sollte die Kamera an sein, wann kann ich sie ausschalten, was passiert, wenn ich zur Tür muss, weil die DHL da ist? Die Antworten auf diese Fragen beschreiben den virtuellen Raum in Meetings. Wenn du „lesen“ willst, was den Teilnehmern wichtig ist, dann erstelle diesen Raum mit ihnen gemeinsam. Als Methode dafür haben sich Working-Agreements bewährt.
In meinem Artikel „Working Agreements: Wie du das Geheimnis hochperformanter Teams nutzt“ findest du eine ausführliche Anleitung dazu.
Möchtest du „lesen“, was in den Teilnehmern deiner Workshops vorgeht, betone explizit, dass es nicht schlimm ist, sich über die Working -Agreements hinwegzusetzen. Aber du würdest dich über eine kurze Nachricht im Chat freuen. Damit kannst du „lesen“, was in ihnen vorgeht.
Tipp 5: Verwende regelmäßige Prozess-Check-ins
Die Pausen sollten Pausen sein.
Als Facilitator nutze ich die Pausen von Präsenz-Workshops, um mit den Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Ich versuche zu erfahren, wie es ihnen geht und was sie im Workshop vermissen. In Online-Workshops verzichte ich allerdings darauf, da die Teilnehmer die Pause nutzen sollten. Sie sollten vom Rechner aufstehen, da Bewegung die Konzentration fördert. Stattdessen nutze ich regelmäßig Prozess-Check-ins.
Dazu gehören:
- Gemeinsame Erarbeitung einer Agenda.
- Erstellung eines Themen-Parkplatzes, damit Themen auch geparkt werden können.
- Gemeinsame Aktualisierung der Agenda, nachdem ein Punkt bearbeitet wurde.
- Regelmäßiges Fragen, was den Teilnehmern durch den Kopf geht oder ob sie Fragen haben.
- Kurzes Signal, wie es jedem Teilnehmer geht. Dafür eignen sich in Zoom die Reaktionen und in Miro die unzähligen Emojis.
- Austeilen von Collaboration-Superpowers-Supercards, damit sich die Teilnehmer auch analog mitteilen können.
Diese kurzen Prozess-Check-ins helfen den Teilnehmern, ihre Gefühle auszudrücken. Wenn etwa die Diskussion eines Themas sehr in die Tiefe geht und es für einige nicht mehr hilfreich ist, können sich die Teilnehmer höflich zu Wort melden und vorschlagen, es als ein Thema für den Themen-Parkplatz zu betrachten.
Als Facilitator helfen regelmäßige Prozess-Check-ins, den virtuellen Raum „zu lesen“.
Tipp 6: Wechsle zwischen Plenumsdiskussionen und Kleingruppen ab
Wohin bewegen sich die Teilnehmer im virtuellen Raum?
Jedem Facilitator ist bewusst, dass er in Online-Workshops die Gruppenzusammensetzung häufig ändern sollte. Diese Abwechslung fördert auch die Konzentration.
Gängige Formate dazu sind:
- Plenumsdiskussionen
- Kleingruppendiskussionen in Breakout-Sessions
- 1-2-4-All in Breakout-Sessions
- Einzelarbeit mit ausgeschalteter Kamera
- Gallery Walks über virtuelle Whiteboards
Möchten wir dabei aber den Raum „lesen“, um zu erfahren, wie es den Teilnehmern geht, dann sollten wir die Gruppenwahl nicht selbst vornehmen, sondern den Teilnehmern überlassen. Zum Beispiel, wenn ich möchte, dass die Teilnehmer Paare bilden, um etwas zu diskutieren, dann lasse ich ihnen die Wahl, mit wem sie eine Breakout-Session betreten. In Zoom geht das ganz einfach mit der Option „participants choose breakout room“. Wenn du dies konsequent während des gesamten Workshops machst, kannst du „lesen“, wie sich die Teilnehmer im Raum bewegen. Du siehst, wer mit wem häufig spricht oder eben nicht und daraus Rückschlüsse ziehen.
Tipp 7: Bitte die Teilnehmer um Rückmeldung
Neben Prozess-Check-ins und der Bewegung im virtuellen Raum kannst du den Raum „lesen“, wenn du um Rückmeldungen bittest.
Hier drei einfache Beispiele:
- Bitte die Teilnehmer mit ihren Fingern abzustimmen, etwa: „Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 zu wenig und 10 zu viel ist, wie war die Zeit in der letzten Übung bemessen?“
- Bitte die Teilnehmer, einen Gegenstand aus der Küche zu holen, der am besten beschreibt, wie es ihnen gerade geht, und ihn dann in die Kamera zu halten. Wenn die Mehrheit der Teilnehmer mit einer Kaffeetasse aus der Küche zurückkommt, dann ist es ein Zeichen dafür, dass eine Pause längst überfällig ist.
- Bitte die Teilnehmer, mit Stift und Zettel ein Bildchen zu malen, das beschreibt, wie es ihnen geht, und es dann in die Kamera zu halten.
Bonus-Tipp: Bitte um Feedback von den Teilnehmern
Wie häufig solltest du um Feedback für deine Moderation bitten?
In Präsenz-Workshops bittet der Moderator im besten Fall einmal am Ende des Workshops um Feedback. Im schlimmsten Fall bekommen die Teilnehmer Tage nach dem Workshop nur ein Formular zugeschickt, welches sie ausfüllen sollen. Möchtest du aber den Raum „lesen“, dann solltest du häufiger um Rückmeldung bitten. Mindestens am Ende des Tages. Besser noch alle 3 Stunden.
Hierfür kannst du einen ROTI-Feedback-Strahl mit der folgenden Frage verwenden:
„Hat sich deine investierte Zeit bis jetzt für dieses Meeting gelohnt – in Relation zu dem erzielten Nutzen für deine tägliche Arbeit?“
Mit folgenden Auswahlmöglichkeiten:
- Wertlos. Die bis jetzt investierte Zeit ist verloren.
- Geringer Nutzen. Bis jetzt wurde zu viel Zeit für zu wenig Nutzen investiert.
- Bis jetzt ist das Verhältnis zwischen Nutzen und investierter Zeit ausgewogen.
- Der Nutzen überwiegt die investierte Zeit bis jetzt.
- Wertvoll. Bis jetzt ist der Nutzen groß im Verhältnis zur investierten Zeit.
Im Anschluss bitte die Teilnehmer darum, dir spezifische Verbesserungsvorschläge zu geben.
(Lade das Bild gerne herunter und verwende es direkt in deinem nächsten Online-Meeting! Vergiss dann nicht im Anschluss zu kommentieren, ob es funktioniert hat.)
Erhältst du mehrmals am Tag Rückmeldung, dann ergibt sich ein gutes Gesamtbild des Workshops. Und du kannst die Stimmung der Teilnehmer über den Tag hinweg einschätzen.
Die wahre Magie der Online-Facilitation
Seit 2013 sind Online-Meetings ein regelmäßiger Bestandteil meiner Arbeit.
Die obigen Tipps haben mir über die Jahre geholfen, den virtuellen Raum besser „zu lesen“.
Zusammenfassend würde ich sagen:
Wenn wir an der Körpersprache der Teilnehmer nicht ihre Stimmung lesen können, dann müssen wir die Interaktionen in der Gruppe so gestalten, dass sie uns Rückmeldung gibt.
Das geschieht nicht automatisch. Es erfordert viel Arbeit und Einsatz. Und darin besteht die Magie der Online-Facilitation.
Worin siehst du die Magie der Online-Facilitation? Schreibe es in die Kommentare.