Wie interpretierst du diese Passage des Scrum Guides?
„Das Produkt-Ziel beschreibt einen zukünftigen Zustand des Produkts, welches dem Scrum Team als Planungsziel dienen kann.“
Selbst erfahrene Agile Coaches und Produktmanager verstehen unter „zukünftigem Zustand“, dass ein Produkt-Ziel folgende Form haben sollte:
- Eine Anwendung soll fertiggestellt werden.
- Ein Feature soll geliefert werden.
- Die Software soll eine neue Funktion besitzen.
Das Problem mit diesem Ansatz?
Denke nur an Windows 97 zurück:
Im Jahr 1996 brachte Microsoft seinen Office-Assistenten „Karl Klammer“ auf den Markt. Wenn du beispielsweise „Sehr geehrte Damen und Herren“ eingegeben hast, tauchte am unteren Bildschirmrand eine animierte Sprechblase auf. Sie hatte die Form einer Büroklammer mit Augen und bot dir ihre Hilfe an: „Es sieht so aus, als würdest du einen Brief schreiben. Wie kann ich dir dabei helfen?“ Karl Klammer war für neue Nutzer gedacht. Allerdings verärgerte sie die meisten Nutzer, da die Hilfe in den meisten Fällen nicht hilfreich war. Schlimmer: Sie lenkte von der eigentlichen Arbeit ab. Und es war lästig, sie jedes Mal zu deaktivieren.
Karl Klammer ist ein Beispiel dafür, dass ein Feature festgestellt, geliefert und sogar „perfekt funktionieren“ kann. Dennoch lieferte es keinen Wert.
Software, Features oder Funktionen betrachten wir als Output. Es beschreibt, was entwickelt wurde. Karl Klammer ist ein Output. Die Fehlannahme, die Microsoft hier traf, war der Glaube, dass Output gleich Wert ist.
Deshalb sollte der Ausdruck „zukünftiger Zustand“ nicht mit Output verwechselt werden. Ken Schwaber und Jeff Sutherland betonen dies explizit im Anhang des neuesten Scrum Guides, indem sie schreiben:
„Der Scrum Guide von 2020 führt das Konzept eines Produkt-Ziels ein, um das Scrum Team auf ein größeres, wertvolles Ziel auszurichten.“
Das Produkt-Ziel sollte also Wert beschreiben.
Wert für das Unternehmen?
Was bedeutet Wert für ein Unternehmen?
Dazu komme ich gleich. Lass uns zuerst diese Frage beantworten:
Für welche Ergebnisse interessieren sich Geschäftsführer?
Jared Spool ist ein führender Experte im Bereich User-Experience. Laut ihm interessieren sich Führungskräfte auf höchster Unternehmensebene nur für fünf Dinge:
- Erhöhung des Umsatzes
- Senkung der Kosten
- Steigerung des Neugeschäfts oder Marktanteils
- Steigerung des Umsatzes mit bestehenden Kunden
- Steigerung des Shareholder-Values
Möglicherweise bist du nicht mit jedem Punkt in Jareds Liste einverstanden. Aber wenn du ehrlich bist, wirst du eingestehen, dass seine Aussage einen wahren Kern hat. Wenn du dir die Gesamtleistung eines Unternehmens vor Augen führst, lassen sich die Key-Performance-Indicators (KPIs) oder Leistungskennzahlen auf diese Faktoren zurückführen. Dies beantwortet die zwei Fragen, für welche Ergebnisse sich Geschäftsführer interessieren und was Wert für ein Unternehmen bedeutet. Wert für das Unternehmen lässt sich also in Geschäftsergebnissen ausdrücken und in Leistungskennzahlen messen.
Du denkst jetzt bestimmt, dass ein Produkt-Ziel also auch ein Geschäftsergebnis beschreiben sollte.
Dabei gibt es nur ein Problem:
Wenn der Umsatz auf dem Bankkonto ausbleibt oder die Kündigung eines abgewanderten Kunden eintrifft, dann ist es zu spät, um noch etwas daran zu ändern. Denn Umsatz, Kosten, Marktanteil und Shareholder-Value sind allesamt Lagging-Indicators.
Geschäftsergebnisse beschreiben bereits Vergangenes
Deshalb solltest du dich fragen:
Was sind die Dinge, die Menschen tun, mit denen du Geschäftsergebnisse vorhersagen kannst?
Betrachten wir als Beispiel den Umsatz. Nehmen wir an, dass dein Unternehmen den Umsatz steigern will. Wenn du nun ein Produkt-Ziel formulierst, solltest du eine gute Theorie darüber haben, wie und warum der Umsatz steigt. Du solltest vorhersagen können, wie sich das Verhalten der Menschen ändern wird, sodass dies zu einer Umsatzsteigerung führt.
Einige mögliche Verhaltensänderungen könnten sein:
- Menschen kaufen früher als bisher, sodass wir schneller Umsatz generieren (in diesem Jahr statt im nächsten Jahr).
- Menschen kaufen mehr (mehr Produkte, mehr Lizenzen, mehr Monate).
- Menschen geben mehr Geld für dasselbe Produkt aus (sie zahlen mehr bei der Verlängerung oder wir können mit neuen Features den Wert steigern).
- Menschen aus anderen Ländern oder mit anderen Sprachen kaufen (wir verkaufen mehr Produkte in anderen Ländern).
Die Formulierung eines Produkt-Ziels gleicht somit einer Wette auf zukünftiges Verhalten. Mit einem Produkt-Ziel wettest du darauf, wie sich das Verhalten der Menschen ändern wird und wie dies zu einem höheren Umsatz führen wird.
Solche Produkt-Ziele bezeichnen wir als outcome-orientiert. Denn gemäß Josh Seiden, dem Autor von „Outcomes over Output“, wird ein Outcome folgendermaßen definiert:
Outcomes sind Verhaltensweisen der Kunden, die sich auf die Geschäftsergebnisse auswirken.
Wenn du die Outcomes spezifisch und messbar formulierst, sind sie gute Produkt-Ziele. Outcome-orientierte Produkt-Ziele beschreiben einen „zukünftigen Zustand“ des Produkts, der den Wert für das Unternehmen vorhersagt.
Fazit: Drei Dinge, die du bei Produkt-Zielen berücksichtigen solltest
- Produkt-Ziele sollten keine Outputs sein, da Features keinen Wert bedeuten.
- Produkt-Ziele sollten keine Geschäftsergebnisse beschreiben, da diese Vergangenes beschreiben.
- Produkt-Ziele sollten spezifische und messbare Outcomes sein, da sie Geschäftsergebnisse vorhersagen können.