Keine Passage des Scrum Guides stellt Scrum Master vor ein größeres Dilemma als die Kombination aus diesen beiden Aussagen:
„Die Developer können Struktur und Techniken beliebig wählen, solange ihr Daily Scrum sich auf den Fortschritt in Richtung des Sprint-Ziels fokussiert und einen umsetzbaren Plan für den nächsten Arbeitstag erstellt.“
Und:
„Der Scrum Master dient dem Scrum Team auf unterschiedliche Weise, unter anderem dadurch, sicherzustellen, dass alle Events von Scrum stattfinden, positiv und produktiv sind und innerhalb der Timebox bleiben.“
Wie kannst du sicherstellen, dass das Daily Scrum produktiv ist, und gleichzeitig den Entwicklern die Struktur des Daily Scrums überlassen?
Indem du den Entwicklern eine Reihe unterschiedlicher Formate anbietest und die Entwickler entscheiden können, welches sie am besten unterstützt, das Ziel des Daily Scrums zu erreichen:
„Der Zweck des Daily Scrums besteht darin, den Fortschritt in Richtung des Sprint-Ziels zu überprüfen und das Sprint Backlog bei Bedarf anzupassen, um die bevorstehende geplante Arbeit zu justieren.“
Damit dir das gelingt, zeige ich dir meine bewährten Formate. Ich habe über die Jahre viele Formate ausprobiert und diese fünf haben sich wirklich bewährt.
Los geht’s:
Format 1: Die 3 Daily-Scrum-Fragen
Die 3 Daily-Scrum-Fragen sind zwar seit dem Jahr 2020 nicht mehr Bestandteil des Scrum Guides, können aber trotzdem den Teams dabei helfen, den Zweck des Daily Scrums zu erfüllen.
Es gilt aber, ein wichtiges Detail zu beachten:
Die 3 Fragen haben ihren Weg über das eXtreme Programming in Scrum gefunden. Dort wird ein „Daily Stand Up Meeting“ vorgeschlagen, um die Kommunikation im Team effizient zu gestalten.
„Die Kommunikation zwischen dem gesamten Team ist der Zweck des Stand-up-Meetings. Ein morgendliches Stand-up-Meeting dient dazu, Probleme und Lösungen zu kommunizieren und den Fokus des Teams zu fördern. Alle stehen im Kreis, um lange Diskussionen zu vermeiden. Es ist effizienter, eine kurze Besprechung abzuhalten, an der alle teilnehmen müssen, als viele Besprechungen mit jeweils nur wenigen Entwicklern.“
Diese Praktik hat später in Scrum Einzug gehalten als „die 3 Fragen“:
- Was habe ich gestern getan, das dem Development-Team geholfen hat, das Sprint-Ziel zu erreichen?
- Was werde ich heute erledigen, um dem Development-Team beim Erreichen des Sprint-Ziels zu helfen?
- Sehe ich irgendein Hindernis, das mich oder das Development-Team daran hindert, das Sprint-Ziel zu erreichen?
Was dabei von Scrum-Anwendern häufig übersehen wurde und letztlich auch zur Eliminierung der „3 Fragen“ aus dem Scrum Guide führte, ist der Fokus auf das Ziel des Sprints!
Die Frage lautet nicht: „Was habe ich gestern getan?“, sondern: „Was habe ich gestern getan, das dem Development-Team geholfen hat, das Sprint-Ziel zu erreichen?“
Wenn du dieses Detail beachtest, spricht nichts dagegen, den Entwicklern dieses Format für ihr Daily Scrum zu empfehlen.
Format 2: Team- oder Skalierungsfragen
Die Verwendung der „3 Fragen“ wirkt häufig sehr mechanisch:
Ein Entwickler nach dem anderen beantwortet die Fragen, bis alle an der Reihe waren. Wollen die Entwickler das Daily Scrum auflockern, dann helfen Team- und Skalierungsfragen, das Daily Scrum in ein lockeres Gespräch zu verwandeln.
Zwei Fragen haben sich hier für mich bewährt:
- „Mit wem willst du heute an welchem Eintrag arbeiten, damit wir dem Sprint-Ziel näher kommen?“
- „Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 wenig zuversichtlich und 10 sehr zuversichtlich bedeutet: Wie zuversichtlich bist du, dass wir das Sprint-Ziel bis zum Ende des Sprints erreichen?“
Diese beiden Fragen dienen als Einladung für ein Gespräch unter den Entwicklern im Daily Scrum und sorgen dafür, dass die Entwickler im Gespräch den Zweck des Daily Scrums nicht aus den Augen verlieren.
Format 3: „Walk-the-board“-Methode
Jedes Scrum Team verwendet eine Visualisierung des Sprint Backlogs. Es kann sich hierbei um ein Scrum-Board an der Wand im Teambüro, eine Übersicht in Jira oder Notizen in Miro handeln.
Diese Visualisierung können die Entwickler verwenden, um ihre Diskussion im Daily Scrum zu lenken. Ein bewährter Ansatz ist die „Walk-the-board“-Methode. Der Grund, warum sich dieses Format so gut bewährt, ist, dass nicht mehr die Entwickler im Zentrum stehen, sondern die Arbeit.
Das Format funktioniert so:
Die Entwickler beginnen damit, die Arbeiten zu besprechen, die sich in der „done“-Spalte des Scrum-Boards befinden. Sie starten also auf der rechten Seite. Im nächsten Schritt besprechen sie die Arbeiten, die noch nicht fertig sind. Auf einem Scrum-Board ist dies typischerweise die „doing“-Spalte. Und falls nötig, besprechen sie zum Schluss noch die Arbeiten, die sich noch in der „to do“-Spalte des Scrum-Boards befinden. Ziel dieses Gesprächs ist es, im Laufe des Tages möglichst viele Arbeiten aus der „doing“-Spalte in die „done“-Spalte zu verschieben und nicht ständig neue Arbeiten zu beginnen. Getreu dem Motto:
„Stop starting, start finishing“
Format 4: Fluss-orientiertes Daily Scrum
Der Fokus auf die Arbeit und weg von den einzelnen Entwicklern kann noch weiter verstärkt werden, wenn die Entwickler sich im Daily Scrum auf den Fluss der Arbeit konzentrieren.
Um den Fluss der Arbeit zu visualisieren, bedienen wir uns zweier Praktiken aus Kanban.
- Visualisierung des Workflows
- Begrenzung von Work in Progress
Dein Team muss jetzt den Workflow visualisieren, den die Product-Backlog-Einträge durchlaufen, und die Anzahl der gleichzeitig bearbeiteten Einträge begrenzen.
Ein einfaches Scrum-Board reicht hier nicht mehr aus. Wir brauchen ein Kanban-Board. Die Spalten dieses Boards beschreiben alle Aktivitäten, die das Team unternimmt, ab dem Zeitpunkt, an dem die Arbeit an einem Product-Backlog-Eintrag begonnen wird, bis zu dem Zeitpunkt, wenn der Eintrag als abgeschlossen gilt.
Hier findest du ein Beispiel eines solchen Boards:
Was an diesem Board noch fehlt, ist die Begrenzung des „Work in Progress“ als Limitierung der parallel stattfindenden Arbeiten, an denen das Scrum Team seine Tätigkeit begonnen, aber noch nicht abgeschlossen hat.
Mit diesen Vorarbeiten kann im Daily Scrum über den Fluss der Arbeit gesprochen werden. Ziel ist es, den Fluss zu verbessern, denn je besser die Product-Backlog-Einträge im Sprint fließen, desto früher sind die Einträge auch fertig und die Erreichung des Sprint-Ziels wird wahrscheinlicher.
Hier einige Fragen, die die Entwickler in einem „Fluss-orientierten Daily Scrum“ besprechen können:
- Welche Arbeiten sind blockiert und was kann getan werden, um die Blockaden aufzulösen?
- Welche Arbeit fließt langsamer als erwartet? Wie alt sind die laufenden Arbeiten? Was können wir tun, um diese Arbeiten abzuschließen?
- Gibt es Umstände, die nicht auf dem Kanban-Board sichtbar sind und die unsere Fähigkeit, die Arbeit heute abzuschließen, beeinträchtigen könnten?
- Haben wir etwas Neues gelernt, was den Plan, woran das Scrum Team als Nächstes arbeiten sollte, ändern könnte?
- Haben wir unser „Work in Progress“-Limit überschritten? Und was können wir tun, um sicherzustellen, dass wir die laufenden Arbeiten abschließen können?
Format 5: Liberating Structure im Daily Scrum
Zum Schluss möchte ich mit dir noch ein ganz besonderes Format für ein Daily Scrum teilen.
Es unterscheidet sich stark von den fragenbasierten und arbeitszentrierten Formaten. Es ist so besonders, da es den Entwicklern viel Freiraum gibt und allen ermöglicht, sich gleichzeitig zu beteiligen. Dieses Format kombiniert die beiden Liberating Structures „Impromptu Networking“ und „What, So What, Now What“.
Konkret besteht es aus fünf Schritten:
- Jeder Entwickler hat eine Minute Zeit, sich eine Übersicht über das Scrum-Board zu verschaffen. Dies geschieht in vollkommener Stille. Im Anschluss werden drei Runden „Impromptu Networking“ durchgeführt.
- Erste Runde: In Paaren diskutieren die Entwickler für zwei Minuten die Fragen: „Was ist euch bei der Betrachtung des Scrum-Boards aufgefallen? Welche Beobachtungen hast du gemacht?“
- Zweite Runde: In neuen Paaren diskutieren die Entwickler für zwei Minuten die Fragen: „Wozu sind diese Beobachtungen wichtig? Welche Muster siehst du? Welche Schlussfolgerungen kannst du daraus ableiten?“
- Dritte Runde: In neuen Paaren diskutieren die Entwickler wieder für zwei Minuten die Fragen: „Welche nächsten Schritte sind auf der Grundlage der Schlussfolgerungen sinnvoll? In welche Aufgaben sollten wir auf der Grundlage unserer jetzigen Erkenntnisse heute Zeit investieren?“
- Zum Schluss teilen die Paare ihre Einsichten mit dem restlichen Team und aktualisieren das Scrum-Board entsprechend. Hierfür sind noch etwa 8 Minuten Zeit.
Nun kennst du meine bewährten fünf Formate für ein Daily Scrum.
Viel Spaß beim Ausprobieren und Entdecken, welches Format für dein Team am produktivsten ist.
Schreibe in die Kommentare, welches Format neu für dich war und welches du ausprobieren willst!