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„Lass uns einfach reden. Wir benötigen keinen Facilitator!“ – Warum diese Aussage zu 4 Problemen führt, die vermieden werden könnten

April 27, 2023

Welche Probleme entstehen ohne einen Facilitator?

Als ich vor einigen Jahren die erste Retrospektive in meinem neuen Scrum Team durchführte, beschloss das Team, am nächsten Tag das Thema weiterzudiskutieren. Daher setzten die Teammitglieder ein weiteres Meeting an. Da ich diesen Termin nicht moderieren konnte, fragte ich, wer das für mich übernehmen würde. Als Antwort bekam ich zu hören:

„Können wir nicht einfach so ein Meeting machen und einfach reden, ohne ein besonderes Format? Es fühlt sich so natürlicher an.“

Ich kann dem Team hier keinen Vorwurf machen. Mein Team war neu und die Mitglieder waren es gewohnt, einfach draufloszudiskutieren.

Allerdings schockierte mich folgende Situation aus einem meiner letzten Trainings:

Nachdem die Teilnehmer eine Übung in Kleingruppen durchgeführt hatten, sollten die Gruppen ihre Ergebnisse präsentieren. Eine Gruppe kam in den 10 Minuten Arbeitszeit zu keinem Ergebnis. Als ich sie fragte, ob sie für diese Übung einen Facilitator bestimmt hatten, verneinten sie dies mit folgender Begründung:

„Wir waren nur zu viert, da braucht es keinen Facilitator.“

Warum schockierte mich diese Antwort? Die Übung war Teil des „Professional Scrum Facilitation Skills“-Trainings, einem Training für Scrum Master und Agile Coaches, die Facilitation erlernen möchten.

Es muss nicht zwangsläufig so sein, dass ein Team ohne Facilitator zu keinem Ergebnis kommt. Aber es steht außer Frage, dass im Gespräch etwas verloren geht. Hierzu gibt es mehrere Studien, beispielsweise zu dem Aspekt, dass in einer „natürlichen Diskussion“ Männer mehr Redeanteile als Frauen haben. Konkret:

Aus meiner Sicht führt eine „natürliche Diskussion“, also eine Diskussion, die nicht facilitiert wird, immer zu vier Problemen:

  • Weniger Teilnehmer sprechen.
  • Nicht jeder hat das gleiche Mitspracherecht.
  • Die Teilnehmer konzentrieren sich auf den Prozess und nicht auf den Inhalt.
  • Die Teilnehmer hören einander nicht zu.

Schauen wir uns nun die Probleme im Detail an und wie ein Facilitator hier hätte helfen können:

Professional Scrum Facilitation Training Simon Flossmann

Problem 1: Weniger Personen sprechen.

In Meetings, die nicht facilitiert werden, erlebe ich immer wieder, dass nur wenige Personen sich an der Diskussion beteiligen. Das führt zu einer geringeren Informationsvielfalt oder anders ausgedrückt: Wenn weniger Personen sprechen, liegen weniger Informationen auf dem Tisch.

Ein erfahrener Facilitator würde dieses Problem erst gar nicht entstehen lassen und jedem Teilnehmer konsequent eine Stimme geben. Techniken, die er dafür nutzen würde, wären:

  • Mit individuellem Schreiben erhält jeder eine Stimme: Diese Technik räumt jedem Teilnehmer, noch bevor die Diskussion beginnt, etwas Zeit ein, um seine Gedanken zu formulieren. So kann sichergestellt werden, dass alle Informationen auf dem Tisch liegen.
  • Durch die Verwendung eines Redetokens bekommt jeder das Wort: Nur wer den Token in der Hand hält, darf reden. In der Diskussion wird der Token reihum von einem zum anderen weitergereicht, dadurch kann jeder seine Meinung einbringen.

Problem 2: Nicht jede Person hat das gleiche Mitspracherecht.

Manchmal liegt das an Hierarchien innerhalb des Teams.

Etwa hat die Meinung eines Seniorentwicklers Vorrang vor der Meinung eines Juniorentwicklers. Manchmal neigen manche Teammitglieder einfach eher zum Schweigen als andere. Das Ergebnis ist das Gleiche: Die Meinungen des Juniorentwicklers und der stillen Personen werden weniger im Ergebnis der Diskussion vertreten sein.

Ein erfahrener Facilitator würde hier jedem eine Stimme geben, ohne die Bedürfnisse jedes Einzelnen aus den Augen zu verlieren. Nicht jeder Mensch fühlt sich gleich wohl, vor anderen zu sprechen. Zwei einfache Techniken, die jedem eine Stimme geben, ohne dass alle sprechen müssen, sind:

  • Mit Dot-Voting Themen priorisieren: Abstimmen durch das Setzen von Klebepunkten ist die einfachste Methode, um jedem bei der Auswahl von Themen eine Stimme zu geben.
  • Mit dem Roman Voting abstimmen: Nachdem die mögliche Entscheidung oder der Vorschlag diskutiert wurde, erhält jeder die Möglichkeit, mitzuentscheiden, unabhängig von seiner Position im Team. Er tut dies mit seinem Daumen. Ein Daumen nach oben bedeutet Zustimmung, ein Daumen nach unten Ablehnung.

Problem 3: Teilnehmer fokussieren sich auf den Prozess, nicht auf den Inhalt.

Leider ist es so:

Ein Team, das keinen vereinbarten Gesprächsprozess hat, überlässt die Gesprächsführung der Gruppe. Du kennst das auch: Achte bei der nächsten Diskussion auf das hörbare Einatmen. Es kündigt an, dass sich jemand zu Wort melden möchte oder mit dem Gesagten nicht einverstanden ist. Ohne Steuerung der Redebeiträge entfällt ein Großteil unserer Aufmerksamkeit im Gespräch auf den Gesprächsprozess und nicht auf den Inhalt.

Ein erfahrener Facilitator würde dafür sorgen, dass sich alle Teilnehmer auf den Inhalt konzentrieren können, ohne Angst haben zu müssen, dass sie bei der nächsten Diskussion nicht beachtet werden.

Zwei einfache Techniken, die Facilitatoren dafür nutzen:

  • Meeting-Agenda: Zu Beginn erstellt das Team gemeinsam eine Agenda für das Meeting. Das Ziel des Meetings wird formuliert. Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, seine Diskussionspunkte einzubringen. Es wird entschieden, wie lange jeder Diskussionspunkt besprochen werden soll.
  • Verwendung eines Timers: Die Verwendung des Timers hilft jedem im Team, die Zeit im Blick zu behalten, die bereits für dieses Thema investiert wurde.

Problem 4: Die Teilnehmer hören einander nicht zu.

Während der Gruppendiskussion neigen Menschen dazu,

  • das nächste Argument für ihren Standpunkt vorzubereiten,
  • sich zu überlegen, wie sie wieder das Wort erlangen können,
  • sich darüber zu ärgern, dass sie unterbrochen wurden.

Und das alles, während sie eigentlich dem Redefluss einer anderen Person zuhören sollten.

Die Auswirkungen kennt jeder: Im besten Fall muss der Redner seinen Standpunkt wiederholen. Im schlimmsten Fall dreht sich das Gespräch im Kreis und jeder wiederholt nur seine eigenen Argumente, ohne auf die Standpunkte der anderen einzugehen.

Ein erfahrener Facilitator würde den Teilnehmern des Meetings helfen, einander zuzuhören. Techniken, die er dafür nutzen würde, wären:

  • „Und“- statt „Aber“-Anfang: Eine wirkungsvolle und zugleich einfache Methode, um das Zuhören in einer Gruppe zu fördern, ist die Aufforderung: „Jeder, der etwas sagen möchte, beginnt seinen Satz mit ‚und‘ statt mit ‚aber‘.“ Diese Technik hilft, dass Teilnehmer einander zuhören, da sie das Gesagte in ihrer Antwort aufgreifen müssen.
  • Anwendung der Liberating Structure 1-2-4-All: Bei dieser Gesprächsmethode bekommt jeder erst einen Moment, um sich seine Antwort auf die aktuelle Frage zu überlegen. Dann tauscht er sich mit einer anderen Person darüber aus, mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten zu ermitteln. Danach tauschen sich zwei Paare untereinander aus, um erneut Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Im letzten Schritt stellen sie ihre Antworten der ganzen Gruppe vor.

Kennst du noch weitere Probleme in der Gesprächsmoderation? Wie gehst du als Facilitator damit um? Schreibe es in die Kommentare.

 


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