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Wie beginnt deine Sprint-Retrospektive? Nutze diese 3 unkonventionelle Methoden, damit dich niemand ignorieren kann

April 25, 2024

Stell dir vor: Es ist Donnerstagnachmittag, 15:00 Uhr, und du betrittst das Teambüro für die Retrospektive.

Andreas faltet ein Stück Papier. Es muss sich wohl um seinen neuen Papierflieger handeln, mit dem er in den nächsten Wochen an der offiziellen Meisterschaft im „Doppel-Looping-Büroflug“ teilnehmen will. Thomas hat seinen Laptop aufgeklappt und murmelt etwas Unverständliches in seinen Bart, während er Steffis Commit merged. Und am Ende des Tisches sitzt noch Petra. Du siehst nur ihren Rücken. Sie schaut aus dem Fenster. Träumt sie vielleicht? Ach nein, sie sieht auf ihr Handy.

Wäre es nicht schöner, wenn gleich zu Beginn der Retrospektive Andreas mit Petra und Thomas mit Steffi über die Ereignisse dieses Sprints diskutieren würden?

Wie das funktionieren kann, verrate ich dir jetzt:

Weg 1: Nutze Impromptu Networking, um spontanen Austausch zu ermöglichen

Falls dir Impromptu Networking nichts sagt, hier nochmal die Schritte im Detail:

  1. Bitte die Mitglieder des Teams, sich paarweise zusammenzutun und sich zu einer Frage auszutauschen. Gib ihnen etwa 5 Minuten Zeit. Das ist Runde eins.
  2. In jeder neuen Runde sollen die Teammitglieder dieselbe Frage mit einem anderen Mitglied des Teams diskutieren.
  3. Führe insgesamt drei Runden durch.

Mit drei Runden spontanen Austauschs startet jede Retrospektive sofort interaktiv.

Hier noch zwei Tipps:

Tipp 1: Nutze als Einladung zum Austausch eine Frage, die zur Reflexion dieses Sprints einlädt. Hier einige Beispiele:

  • „Wenn du den Sprint mit einem Filmtitel beschreiben müsstest, welcher Film wäre das und warum hast du diesen gewählt?“
  • „Mit wem aus dem Team hast du diesen Sprint zusammengearbeitet und was hat es dir ermöglicht?“
  • „Welche drei Dinge hast du diesen Sprint gelernt?“

Tipp 2: Formuliere die Einladung auf einem Flipchart mit einer zusätzlichen Bitte: „Schön, dass du da bist! Suche ein anderes Teammitglied und diskutiere diese Frage, bis wir mit der Retrospektive beginnen ...“

Ich nutze den zweiten Tipp in vielen Meetings und Schulungen, um zu verhindern, dass die Menschen – aus Mangel an Alternativen – ihren Computer aufklappen oder auf das Handy schauen, nachdem sie den Raum betreten haben. Nach einiger Zeit hat sich dein Team daran gewöhnt, die Retrospektive mit spontanem Austausch und Netzwerken zu beginnen.

Dann ist es Zeit für etwas Neues.

Ich will nicht verschweigen, dass es mich anfangs sehr viel Mut und Überwindung gekostet hat, diese Liberating Structure auch im Unternehmenskontext und nicht nur in Meet-ups oder Schulungen zu nutzen.

Weg 2: Veranstalte eine „Mad Tea“-Party, um mehr Gespräche zu ermöglichen

Zuerst die einzelnen Schritte dieser Moderationstechnik im Detail:

  1. Bitte alle im Team, zwei konzentrische Kreise zu bilden, sodass jede Person jemandem direkt gegenübersteht.
  2. Erkläre kurz die Regeln: Innerhalb von 30 Sekunden vervollständigt eine Person den Satz auf dem Bildschirm/Flipchart, während die andere zuhört.
  3. Bitte eine Person in jedem Paar, den ersten Satz zu beenden. Nach 30 Sekunden läutet eine Glocke einmal, und dann forderst du die andere Person auf, dasselbe zu tun.
  4. Lasse die Glocke nach einer Minute zweimal läuten und erinnere die Teammitglieder im äußeren Kreis daran, nach rechts zum nächsten Partner zu rotieren. (Nach der ersten Runde musst du das nicht mehr wiederholen).
  5. Wiederhole die Schritte 2 – 4 für jeden weiteren Satz.

Eine „Mad Tea“-Party besteht aus zwei konzentrischen Kreisen von Menschen, die gegenseitig eine Reihe von Sätzen vervollständigen und nach jeder Minute den Partner wechseln.

Im ersten Moment mag es nach Chaos klingen. Wenn du es einmal erlebt hast, wirst du erkennen, dass es viel Gelächter, Austausch und positive Energie erzeugt.

Wie kannst du das einmal selbst erleben, bevor du die Methode mit deinem Team anwendest?

Hier drei Vorschläge:

  • Schließe dich einer lokalen Liberating-Structures-Meet-up-Gruppe an.
  • Besuche den „Liberating Structures Emergent“-Workshop von Peter und Christian. Christian nutzt diese Struktur in jedem seiner Workshops.
  • Besuche ein fortgeschrittenes „Professional Scrum Master“-Training mit Marc und mir. Wir nutzen diese Technik auch am Ende des Tages, um mit den Teilnehmern des Workshops darüber zu sprechen, wie sie Sprint-Ziele in ihrem Scrum Team nutzen können.

Wenn du die „Mad Tea“-Party selbst erlebt hast, findest du hier eine Liste von Sätzen, die du nutzen kannst:

  • Was mich bei dieser Arbeit zuerst inspiriert hat, ist ...
  • Etwas, mit dem wir lernen müssen zu leben, ist …
  • Eine Unsicherheit, an die wir uns kreativ anpassen müssen, ist ...
  • Was ich in unserer derzeitigen Situation als Herausforderung empfinde, ist ...
  • Bevor wir unseren nächsten Schritt machen, dürfen wir nicht vergessen, ...
  • Etwas, das wir nicht mehr tun (oder veräußern) sollten, ist ...
  • Was ich mir von dieser Arbeit für uns erhoffe, ist ...
  • Eine große Chance, die ich für uns sehe, ist ...
  • Wenn wir nichts tun, ist das Schlimmste, was uns passieren kann, ...
  • Ein mutiges Gespräch, das wir nicht führen, ist ...
  • Eine Maßnahme oder Praxis, die uns weiterbringt, ist ...
  • Ein Projekt, das mir die Zuversicht gibt, dass wir uns verändern, ist ...
  • Etwas, das wir erforschen müssen, ist ...
  • Eine kühne Idee, die ich empfehle, ist ...
  • Eine Frage, die sich für mich stellt, ist ...
  • Wenn alles gesagt und getan ist, möchte ich ...
  • Etwas, das ich zu tun gedenke, ist ...

Weitere Inspiration findest du hier.

Wenn du die „Mad Tea“-Party für die „Check-in“-Phase deiner Retrospektive nutzt, kannst du in die „Themen sammeln“-Phase gleich mit einem 1-2-4-All überleiten. Mehr zu 1-2-4-All findest du im Artikel „Liberating Structures kennenlernen: Wie du mit 1-2-4-All den idealen Einstieg findest und künftig jeden in deine Scrum Events miteinbeziehst“.

Eine Retrospektive mit einer „Mad Tea“-Party zu beginnen, ist schon sehr unkonventionell. Noch unkonventioneller ist mein dritter Weg:

Weg 3: Gib „Hausaufgaben“ für die Sprint-Retrospektive auf, um jedem Teammitglied die Vorbereitung zu ermöglichen

Dieser Ansatz mag unkonventionell erscheinen.

Jedoch nicht, weil er interaktiver als „Impromptu Networking“ ist oder mehr Mut erfordert als eine „Mad Tea“-Party, sondern weil ich selten höre, dass andere Scrum Master diese Methode nutzen. Falls ich mit dieser Aussage falsch liege und du bereits Hausaufgaben für die Retrospektive vergibst, teile mir doch in den Kommentaren mit, was du dafür verwendest.

Hier zwei Beispiele, welche Haus- oder Vorbereitungsaufgaben ich für die Sprint-Retrospektive bereits genutzt habe:

Stimmungsbild: Durch eine Umfrage, die jedes Teammitglied vor dem Termin der Retrospektive ausfüllen muss, entsteht ein umfassendes Stimmungsbild für diesen Sprint.

In der Umfrage habe ich verschiedene Kategorien abgefragt. Die Antworten wurden dabei auf einer Skala von 1 bis 5 gegeben:

  • Wie viele technische Schulden haben wir in diesem Sprint angehäuft?
  • Wie gut haben wir das Sprint-Ziel erreicht?
  • Wie häufig hast du dich mit anderen im Team ausgetauscht und zusammengearbeitet?
  • Wie sehr möchtest du im nächsten Sprint noch Teil dieses Teams sein?
  • Wie zufrieden bist du mit dem Wert, den wir für unsere Kunden und unser Unternehmen in diesem Sprint geliefert haben?

Die Antworten auf diese Fragen habe ich dann in einem Spinnendiagramm über die Sprints hinweg visualisiert.

Feedback-Box: Ich habe im Teamraum eine Box neben der Tür aufgestellt mit der Aufschrift „Anonymes Feedback fürs Team“. Hier konnten die Teammitglieder, aber auch die Stakeholder, beispielsweise nach dem Sprint Review, dem gesamten Team anonym Rückmeldung geben.

Inwiefern unterstützen diese Haus- oder Vorbereitungsaufgaben das Team bei der Sprint-Retrospektive?

  • Indem sich das Team bereits vor dem eigentlichen Termin der Retrospektive mit dieser beschäftigt, fungiert die Hausaufgabe als Priming für das, was noch kommen wird. Es hilft den Teammitgliedern, sich mental darauf einzustellen.
  • Die Hausaufgaben sorgen auch dafür, dass die Teammitglieder sich häufiger mit der Retrospektive des Sprints beschäftigen. Die Beobachtung dessen, was im Sprint passiert, und die Reflexion dazu werden somit schneller zu einer Gewohnheit.
  • Meiner Erfahrung nach lieben Entwickler die Auswertung und Interpretation von Daten. Somit liefert die Auswertung der Daten in der Retrospektive ein einfaches, aber effektives Format für die Retrospektive.
  • Die Auswertung in der Retrospektive liefert objektive Daten über den gesamten Verlauf des Sprints und nicht nur eine Momentaufnahme zu diesem Termin. Diese Daten kannst du als Scrum Master in der Retrospektive nutzen, um Herdenverhalten zu verhindern oder andere schädliche Gruppendynamiken abzuwenden. (Mehr zu schädlichen Gruppendynamiken und wie du sie vermeidest, kannst du hier lesen.)

Bleibt noch eine Frage zu klären:

Warum habe ich in der Überschrift geschrieben, dass dir diese unkonventionellen Wege helfen, als Scrum Master nicht ignoriert zu werden?

Hierzu müssen wir einen Blick auf die Wissenschaft werfen.

Eric Jensen schreibt in seinem Buch „Brain-Based Learning“:

„Jeder Reiz, der in unsere unmittelbare Umgebung eingeführt wird und der entweder neu (neuartig) oder von ausreichend starker emotionaler Intensität (kontrastreich) ist, erregt sofort unsere Aufmerksamkeit.“

Im Arbeiten mit Teams erweist sich diese Eigenschaft unseres Gehirns als Nachteil: Denn es bedeutet leider auch, dass das Gehirn schließlich alles ignoriert, was routinemäßig, wiederholend, vorhersehbar oder langweilig ist. Sprich, wenn die Sprint-Retrospektive immer gleich abläuft, dann wird sie irgendwann von den Gehirnen der Teammitglieder ignoriert.

Willst du dafür sorgen, dass die Retrospektive und deine Arbeit als Scrum Master nicht ignoriert werden, dann musst du für Abwechslung sorgen.


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