Agile Projekte sind fast viermal so erfolgreich und scheitern dreimal seltener als Wasserfallprojekte.
So lautet das Ergebnis des Chaos-Reports. Die Umfrage untersuchte von 2011 bis 2015 etwa 10 000 Softwareprojekte hinsichtlich der Frage: Sind agile oder Wasserfallprojekte erfolgreicher? Da Scrum das am häufigsten genutzte agile Rahmenwerk ist, sollten wir die Frage, ob Scrum funktioniert, also bejahen können.
Wenn ich allerdings Scrum Master in meinen fortgeschrittenen Scrum Trainings frage, ob Scrum funktioniert, dann zeigt sich ein anderes Bild: Die meisten Antworten lauten: „so lala“, oder: „‚Scrum by the book‘ machen wir nicht!“
Die Frage lautet also nicht, ob Scrum funktioniert oder nicht, sondern:
Wie können wir den Nutzen von Scrum für unser Unternehmen messen?
Dieser Frage gehen wir jetzt nach, indem wir uns zunächst diesen Fragen widmen:
Wie lange dauert es, eine neue Version zu liefern?
Im Jahr 2018 leitete ich eine Agile Transformation.
Mein Auftrag war, bei 3 bis 5 Teams, die gemeinsam ein Produkt zur Steuerung von Stromnetzen entwickelten, Scrum einzuführen. Auf die Frage, warum Scrum eingeführt werden sollte, erhielt ich damals die Antwort, dass das Unternehmen schneller werden müsse. Herkömmlich ziehen sich Projekte oft über Jahre und erst ganz am Ende steht das Produkt den Kunden zur Verfügung. In Scrum ist das anders. Die Zeit vom Beginn der Arbeit bis zu einer neuen Version des Produkts darf einen Monat nicht überschreiten. Somit kann jeder Sprint als ein kurzes Projekt betrachtet werden.
Sprints helfen also, die Time-to-Market zu verbessern.
Hierbei bedeutet „zu sprinten“ in der Entwicklung von Produkten auch wirklich, die Ziellinie zu überschreiten und mit der Arbeit fertig zu werden.
Warum dies so wichtig ist, habe ich einige Jahre früher erfahren:
Als frisch gebackener Product Owner eines Produktes zur Verwaltung von Inhalten auf Haushaltsgeräten hatte ich zum Sprint Review eingeladen. Zwei Wochen zuvor hatten wir den Sprint geplant. Ich hatte mich mit den Entwicklern darauf verständigt, dass wir eine erste Oberfläche benötigen. Diese Oberfläche soll es uns ermöglichen, die Inhalte zu bearbeiten. Was mir im Review des Sprints vorgestellt wurde, schien auf den ersten Blick hilfreich. Erst als ich einen Entwickler fragte, wann ich darauf zugreifen kann, um es selbst auszuprobieren, lautete seine optimistische Prognose: „Ich denke, etwa in 4 bis 7 Wochen.“ Und da er selbst nur als Externer angestellt war, traute er sich nicht, eine verlässlichere Aussage zu treffen, da diese auch in den Bereich der internen IT-Abteilung fiel.
Wenn ich seither das Zitat von Ken Schwaber lese:
„Undone work undoes Scrum“,
erinnert es mich an dieses Sprint Review und an meine Einsicht von damals:
Durch die Arbeit in Sprints entsteht kein Vorteil, wenn am Ende des Sprints nicht auch wirklich eine nutzbare Version des Produkts an den Kunden geliefert werden kann. Diese Einsicht ist grundlegend für jedes Scrum Team und wird deshalb in der Definition of Done festgehalten.
Kommen wir zurück zur Leitfrage des Artikels: Wie können wir den Nutzen, den Scrum für das Unternehmen liefert, bestimmen? Indem wir die Frage ergründen: „Wie lange dauert es, bis eine neue Version des Produktes geliefert werden kann?“ Die Antwort auf diese Frage finden wir, wenn wir diese beiden Werte betrachten:
- Release-Häufigkeit,
- Lead- und Cycle-Time
(Neben diesen beiden Metriken findest du im „Evidence Based Management“-Rahmenwerk noch 28 weitere Metriken. Willst du Produktentwicklung nicht auf der Basis von Meinungen, sondern auf der Grundlage von Fakten steuern, dann empfehle ich dir ein Training in „Evidence Based Management“.)
Die Liefergeschwindigkeit als den Nutzen von Scrum zu sehen, hat allerdings einen Haken.
Eine persönliche Frage: Was liebst du an den Produkten von Google, Apple, Netflix, Spotify oder Amazon?
- Dass die Apps nutzbar sind?
- Dass sie jeden Monat eine neue Version der App herausbringen?
- Dass mindestens 12 neue Versionen der App im Jahr bereitgestellt werden?
Wenn es dir wie mir geht, dann lautet die Antwort auf jede dieser Fragen: „Nein.“ Was ich an diesen Produkten liebe, zeigt sich in Situationen wie dieser:
Letzte Woche stand ich am Bahnhof in Berlin – einer für mich fremden Stadt –, bepackt mit einem schweren Koffer, einem Flipchart-Köcher und einem Rucksack. Ein Blick auf die Uhr meines iPhones sagte mir, ich sollte mich beeilen: Der Workshop beginnt in einer Stunde! Ein weiterer Blick auf Google Maps auf meinem iPhone verriet mir, dass die schnellste Möglichkeit, mein Ziel zu erreichen, heute ein Taxi ist, da der Nahverkehr gerade bestreikt wird.
Ich liebe nicht, dass die App nutzbar ist, sondern dass sie nützlich ist!
Für Unternehmen, die langfristig am Markt erfolgreich sein wollen, sollte es nicht genug sein, zu messen, wie häufig sie liefern, sondern sie sollten auch messen, welchen Wert ihr Produkt stiftet.
Deshalb stelle dir nicht nur die Frage, wie lange es dauert, eine neue Version des Produkts zu liefern, sondern auch:
Welchen Wert bietet das Produkt?
Denn ein Unternehmen schafft nur dann Wert, wenn es die Erfahrungen seiner Kunden verbessert.
Dieser Wert kann sich in Form von
- höherer Nutzungsdauer und Nutzungshäufigkeit,
- gesteigerter Kundenzufriedenheit oder
- einem höheren Umsatz
bemerkbar machen. Allerdings ist die Quelle davon immer die Kundenerfahrung!
Oder noch mal in anderen Worten:
Unternehmen werden keinen Wert für die Kunden schaffen, indem sie die Kosten senken, häufiger oder schneller liefern. Natürlich sind diese Dinge wichtig, aber ich fürchte, ein Unternehmen, das sich nicht darauf konzentriert, die Erfahrung seiner Kunden zu verbessern, wird nicht lange genug überleben, um die Vorteile von Kostenreduzierung oder Verringerung der Lieferzeit auszukosten.
Deshalb kommen Scrum Teams mit den Stakeholdern des Produkts mindestens einmal pro Sprint – im Sprint Review – zusammen und beantworten gemeinsam die Frage:
„Welchen Wert bietet das Produkt?“
Dafür sehen sie sich unter anderem diese Metriken an:
- Feature-Nutzungs-Index und
- Kundenzufriedenheit
Erst mit der Beantwortung dieser Frage schließt sich auch die Feedback-Schleife, die Scrum zugrunde liegt. Scrum fußt auf empirischer Prozesskontrolle, der Theorie, dass alles Wissen aus der Erfahrung abgeleitet wird.
Ohne regelmäßiges Überprüfen, welchen Wert das Produkt den Kunden liefert, bleibt diese Theorie eben nur Theorie.
Scrum wird nicht funktionieren und dem Unternehmen nur wenig nutzen.
Appell: Welchen Nutzen hat Scrum für dein Unternehmen?
Wenn du wissen willst, welchen Nutzen Scrum für dein Unternehmen im Moment hat, dann stelle diese Fragen:
- Wie lange dauert es, eine neue Version des Produkts zu liefern?
- Welchen Wert bietet das Produkt?
Und hilf deinem Team, Daten über diese Metriken zu sammeln:
- Release-Häufigkeit,
- Lead- und Cycle-Time,
- Feature-Nutzungs-Index und
- Kundenzufriedenheit
Damit kannst du die beiden Fragen beantworten und du erhältst auch eine Antwort, wie nützlich Scrum für dein Unternehmen im Moment ist!