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Entlassungswelle bei Agile Coaches: So nutzt du als Scrum Master diesen beunruhigenden Trend zu deinem Vorteil

March 4, 2024

Anfang letzten Jahres bahnte sich ein bedenklicher Trend an:

Das bekannteste Beispiel hierfür war Capital One, das mehr als 1100 Stellen im Technologie-Bereich strich. Dies war Teil einer breit angelegten Maßnahme zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Capital One schrieb:

„Die agile Rolle in unserer Tech-Organisation war für unsere früheren Transformationsphasen von entscheidender Bedeutung, aber mit zunehmender Reife unserer Organisation ist der natürliche nächste Schritt die Integration agiler Lieferprozesse direkt in den Kern unserer Entwicklungspraktiken.“

Die Bank begründet diesen Schritt zum einen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Zum anderen damit, dass in den vergangenen Jahren viel in Technologie und Agile Transformation investiert wurde und diese Prozesse jetzt gestrafft werden, um Kosten zu sparen.

Dass es sich nicht nur um eine Schlagzeile handelt, konnte ich das ganze letzte Jahr mitverfolgen. Hierfür genügt ein Blick auf die Anmeldezahlen für das „Professional Scrum Master“-Training:

  • 2020: 6 Studenten
  • 2021: 118 Studenten
  • 2022: 121 Studenten
  • 2023: 56 Studenten

Wie du sehen kannst, hat sich die Nachfrage vom Jahr 2022 zum Jahr 2023 halbiert.

Und dass es sich wirklich um einen Abwärtstrend handelt und nicht nur um marktbedingte Schwankungen, ist mir seit Ende des letzten Jahres bewusst.

In dem agilen Beratungsunternehmen Colenet, in dem ich arbeite, unterstützen wir neben der Software- und Organisationsentwicklung unsere Kunden auch mit agilem Coaching. Bei Colenet arbeiten nur Coaches, die bereits über eine große Erfahrung verfügen. 
Im Beratungsgeschäft ist es dabei üblich, dass nie alle Coaches gleichzeitig einen Auftrag haben. Es gibt immer den einen oder anderen Kollegen, der auf der Suche nach einem neuen Projekt ist.

Seit Anfang dieses Jahres suchen gleich vier sehr gut ausgebildete, erfahrene Kollegen ein Projekt. Was so noch nie vorkam.

Und damit ist Colenet kein Einzelfall.

Ein befreundeter Scrum-Master-Kollege hat mir letzte Woche erzählt, dass er bereits seit 6 Monaten nach einem neuen Auftrag sucht. Da ich viel von ihm halte, hat mich diese Nachricht geschockt. Gleichzeitig bin ich froh, dass er mir davon erzählt hat. Seine Nachricht hat mich wachgerüttelt.

Daraufhin habe ich mich gefragt, worin besteht der Wert eines Agile Coaches für Unternehmen:

Sind Zertifikate und Erfahrung nicht mehr genug, um gefragt zu sein?

Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, habe ich mir noch einmal das Scrum-Master-Zertifikat von Scrum.org angesehen.

Bei der Einführung im Jahr 2016 stellte Ken Schwaber es auf seinem Blog so vor:

  • Grundlagenwissen: Personen, die ein PSM-1-Zertifikat besitzen, verfügen über das nötige Wissen, um Scrum einzusetzen und ihre Verantwortung im Scrum Team zu erfüllen. Sie sind bereit, einem Scrum Team beizutreten. Um die Prüfung zu bestehen, genügt meist der Besuch der „Professional Scrum Master“-Schulung und das Studium des Scrum Guides. Die Fragen in der Prüfung sind deshalb auch nur „Wahr/Falsch“-Fragen oder Multiple-Choice-Fragen.

     
  • Fortgeschritten in der Anwendung: Personen, die die PSM-2-Prüfung bestanden haben, haben Scrum für die Entwicklung von Software und Produkten eingesetzt. In der Regel verfügen diese Personen über mehr als drei Jahre Erfahrung, um die Prüfung zu bestehen. Bei der Anwendung von Scrum waren sie sowohl erfolgreich, haben aber auch aus ihren Fehlern gelernt. Deshalb werden in der Prüfung auch kleine Fallstudien abgefragt, in denen der Prüfling seine Erfahrung nutzen muss, um die richtige Antwort zu geben. Diese Personen können Führungsaufgaben in Scrum Projekten und bei der Entwicklung von Produkten mit Scrum übernehmen.

Natürlich reicht ein Zertifikat nicht bei der Auswahl eines Scrum Masters aus. Ken schreibt deshalb, dass neben der bestandenen Prüfung Gespräche mit den Kandidaten geführt werden sollten, um deren Eignung für den Kontext, die Technologien und die Ziele des Unternehmens zu prüfen.

Eine Stelle, bei der ich allerdings beim Lesen hängen geblieben bin, ist die Aussage, dass fortgeschrittene Scrum Master die Führung in Projekten übernehmen können.

Wenn ich mit Agilen Coaches spreche, höre ich immer wieder, dass sie wirksamer sein wollen, die Führung übernehmen und das Gehalt eines Managers haben möchten.

Aber wollen Agile Coaches auch die Verantwortung eines Managers übernehmen?

Was meine ich damit?

Betrachten wir als Beispiel eine Situation, die ich kürzlich in meinem Unternehmen erlebt habe. Seit dem letzten Herbst erhalten alle Agilen Coaches automatisch eine detaillierte Übersicht verschiedener Daten, neben vielen weiteren Informationen finden sich darunter die den Kunden berechneten Stunden und der Tagessatz. 
Dieses Tool wurde nicht ohne Kontroverse eingeführt. Es gab auch Stimmen, die kritisiert haben, dass diese Daten vorrangig die Auslastung beim Kunden ins Zentrum rücken und weniger die Lernkultur in unserem Unternehmen. Damit hat er zweifelsohne recht. Allerdings sehe ich darin eine Chance für jeden agilen Coach, aktiv zur Ergebnisverbesserung unseres Unternehmens beizutragen. 

Seither frage ich mich deshalb:

Wollen Agile Coaches wirklich die Führung im Team übernehmen und somit auch die Verantwortung für die Geschäftsergebnisse mittragen?

Ich finde, ein Scrum Master, der dies tut, ist ein fortgeschrittener Scrum Master. Wie Ken schreibt, jemand, der Führungsaufgaben in Scrum Projekten übernehmen kann, also auch die Verantwortung für die Ergebnisse seines Teams und in letzter Instanz für die Ergebnisse des Unternehmens mitträgt.

Deshalb bin ich mittlerweile davon überzeugt:

Zertifikate und Erfahrung sind nicht mehr genug, es geht um tatsächliche Geschäftsergebnisse

Diese bestätigt auch eine Statistik von Scrum Match.

Scrum Match ist die weltweit führende Recruiting-Plattform für Scrum Master und Unternehmen, die echte Scrum Master suchen. Von 800 Scrum Mastern, die sich in den letzten vier Monaten dort registriert haben, sind nur 21 % in der Lage, Scrum nicht nur um seiner selbst willen zu praktizieren, sondern auch signifikante Unternehmensergebnisse mit Scrum zu erzielen. Was den aktuellen Trend verdeutlicht, dass Agile Coaches zunehmend Schwierigkeiten haben, neue Aufträge zu finden.

Ich sehe es so:

Unternehmen betrachten einen Scrum Master nicht als „Life Coach“, sondern als Trainer, ähnlich wie im Sport.

Betrachten wir Basketball. Meinen Lieblingssport. Basketball ist ein Ergebnissport. Es geht darum, zu gewinnen. Das Gleiche gilt für Unternehmen. Ein Unternehmen strebt auch nach Ergebnissen. Es geht darum, unternehmerisch zu gewinnen. Was letztendlich bedeutet, mehr Einnahmen zu erzielen als Ausgaben zu haben.

Und der Trainer des Teams trägt dafür Mitverantwortung. Er verantwortet die grundsätzliche Ausrichtung der Mannschaft. Mit seiner Taktik, Menschenführung, Trainingssteuerung, Regeneration usw. unterstützt er das Team dabei, zu gewinnen.

Hat eine Mannschaft jetzt keinen Erfolg oder werden die Erwartungen nicht erfüllt, muss die Geschäftsführung des Vereins analysieren:

  • Sind die Probleme auf Dinge zurückzuführen, die der Trainer direkt beeinflusst?
  • Hat der Trainer Maßnahmen ergriffen, um den Problemen entgegenzuwirken?
  • Kann die Abwärtsspirale mit diesem Trainer gestoppt werden?

Ein Trainer ist am Ende nichts anderes als eine leitende Führungsperson. Genau so stuft Ken Schwaber auch einen fortgeschrittenen Scrum Master ein, wenn er schreibt:

„Diese Personen können Führungsrollen in Scrum Projekten und Scrum Produkten übernehmen.“

Und wenn ein Unternehmen, wie im Beispiel von Capital One, in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage steckt, dann analysiert es, ob die Probleme auf Dinge zurückzuführen sind, die ein agiler Coach direkt beeinflusst, und ob er frühzeitig Maßnahmen dagegen ergriffen hat.

So niederschmetternd es erstmal für uns Scrum Master klingt, erkenne ich diese Chance:  

Wir Scrum Master müssen und können nachweislich zeigen, wie unsere Arbeit dazu beiträgt

  • den aktuellen Wert des Unternehmens zu optimieren,
  • die Time-to-Market zu verkürzen und
  • die Innovationsfähigkeit zu steigern.

Es gilt zu belegen, dass die Führung, die ein Scrum Master bietet, nachweislich positive Auswirkungen auf die Ergebnisse des Unternehmens hat.

Die neue Art der Führung ist bitter nötig. 

In einer Welt, in der klassisches Projektmanagement aufgrund schnell wechselnder Situationen nicht funktioniert, bedarf es dieser neuen Art des Managements. Es bedarf Führungskräfte, die ergebnisbasierte Ziele setzen, den Fortschritt messen und nicht davor zurückschrecken, die Ziele anzupassen, wenn es die Umstände erfordern. Und die bei der Verfolgung der Ziele auf selbstorganisierende Teams setzen.

Also Führungskräfte, die Empirie leben. Und wer ist dafür besser geeignet als der Scrum Master?

Ein Blick auf meine Anmeldezahlen für das „Professional Agile Leadership – Evidenzbasiertes Management“-Training zeigt, dass diese Neuausrichtung des Scrum Masters als Führungskraft, die Verantwortung für die Ergebnisse des Teams übernimmt, bereits in vollem Gange ist:

Wie du sehen kannst, hat sich das Interesse an evidenzbasierter Führung vom Jahr 2022 auf das Jahr 2023 bereits verdoppelt.

Dieser Paradigmenwechsel ist keineswegs neu. Blicken wir 100 Jahre zurück, erkennen wir ein ähnliches Muster:

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Frederick Winslow Taylor das Management als Wissenschaft in produzierenden Unternehmen etabliert. Sein Ansatz basierte bereits darauf, Methoden durch Beobachtung, Experiment und Analyse zu entwickeln. Das „Scientific Management“ hat die industrielle Produktion sowie das Verständnis von Arbeitsorganisation und Effizienz wesentlich geprägt. Heutzutage liegt unser Fokus jedoch nicht mehr auf der Effizienz in der Produktion, sondern auf der Effektivität in der Entwicklung neuer Produkte. Wir suchen nicht nach Ansätzen, die ausschließlich auf die Spezialisierung der Arbeitskraft von Mitarbeitern abzielen.

Wir suchen nach Ansätzen, wie die Kreativität und Selbstorganisation von Teams nachweislich Innovation fördert und somit die Unternehmensergebnisse verbessert.


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