Im ersten Teil der Artikelreihe „Coaching-Haltung für Scrum Master“ habe ich dir Coaching-Fähigkeiten vorgestellt. Im zweiten Teil haben wir Fragen besprochen, die du als Scrum Master nutzen kannst, um die Haltung eines Coaches einzunehmen.
Im dritten Teil dieser Reihe widmen wir uns folgender Frage:
Wie kannst du Gespräche im Coaching von Teams strukturieren?
Viele Scrum Master stellen sich diese Frage. Sie möchten wissen, wie sie aktives Zuhören, Zusammenfassen und Fragenstellen anwenden können. Ihr Ziel ist es, ihrem Team damit zu helfen. In den letzten zehn Jahren habe ich viel ausprobiert bei meiner Arbeit mit Scrum Teams. Ich habe festgestellt, dass tiefgründige Fragen oft nicht ausreichen. Auch geschicktes Zusammenfassen allein bringt das Team selten wirklich voran. Manchmal habe ich sogar die Erfahrung gemacht, dass diese Interventionen das Team verwirrten und vom eigentlichen Ziel abbrachten. Deshalb habe ich nach Wegen gesucht, die Diskussionen im Team so zu strukturieren, dass sie konstruktiv sind.
Hierfür gibt es viele Prozesse, Schulen oder Modelle, wie GROW, CLEAR, FUEL, Co-Aktiv oder NLP.
Am hilfreichsten finde ich den lösungsfokussierten Coaching-Prozess. Er passt gut zur Haltung eines Scrum Masters, eignet sich für jedes Scrum Event und löst mein häufigstes Problem: Teams verzetteln sich damit nicht mehr in der endlosen Identifizierung von Problemen und Ursachen.
Der Unterschied zwischen Problemfokus und Lösungsfokus
Hier einige Beispiele für die unterschiedlichen Herangehensweisen:
Wie du sehen kannst, beruht das Modell des lösungsfokussierten Coachings auf einer bestimmten Annahme. Es geht davon aus, dass die Betonung der Stärken und Möglichkeiten zu einer positiven Veränderung führt. Diese Herangehensweise ist effektiver als eine Konzentration auf Schwächen und Probleme.
Nachdem du die Theorie kennst, lass uns die Leitfrage des Artikels beantworten:
Wie kannst du Gespräche im Coaching von Teams strukturieren?
Der Prozess, Coaching-Gespräche zu strukturieren, besteht aus drei Schritten:
- Ziel: Was möchte das Team erreichen?
- Ressourcen: Welche Stärken oder Möglichkeiten stehen dem Team zur Erreichung des Ziels zur Verfügung?
- Lösung: Auf Grundlage der vorherigen Erkenntnisse können nun konkrete Lösungsstrategien entwickelt werden.
Veronika Jungwirth und Ralph Miarka, zwei weltweit anerkannte lösungsfokussierte Coaches, haben dieses allgemeine Vorgehen erweitert und zu einer Lösungspyramide zusammengefasst. Ich finde die Pyramide besonders hilfreich in Sprint-Plannings oder Sprint-Retrospektiven. Gleichzeitig ist sie einfach anzuwenden. Deshalb möchte ich sie dir jetzt vorstellen.
Wir werden die Stufen am Beispiel einer Sprint-Retrospektive besprechen, dann hast du gleich ein Vorgehen für deine nächste Retrospektive.
Stufe 0: Den Boden mit dem Thema bereiten
Die Lösungspyramide von Veronika und Ralph steht auf einem Boden.
Der Boden ist das Thema. Da das Thema bereits vorhanden ist, bezeichne ich es als Stufe 0, damit wir es nicht vergessen. Im Falle der Sprint-Retrospektive ist der Boden der aktuelle Sprint. Hier eine Möglichkeit, wie du den Boden in einer Sprint-Retrospektive vorbereiten kannst:
- Willkommenheißen: „Vielen Dank, dass ihr heute zur Retrospektive des 13. Sprints gekommen seid.“
- Check-in-Runde mit der Frage: „Wenn du auf diesen Sprint zurückblickst, worauf bist du besonders stolz?“
- Vorstellung der „Prime Directive“ nach Norman L. Kerth in Kurzfassung: „Wir gehen davon aus, dass jeder jederzeit sein Bestes gegeben hat.“
Wenn du den Boden bereitet hast, fällt der Schritt auf die erste Stufe leichter.
Stufe 1: Auswirkungen und Ziele formulieren
Dies ist die wichtigste Stufe der Pyramide.
Das Verfolgen eines gemeinsamen Ziels ist für mich das Wesen der Teamarbeit. In der Sprint-Retrospektive gibt es die Richtung für das Event vor. Hier eine Frage, wie du deinem Team helfen kannst, ein Ziel zu finden:
„Was sollte im nächsten Sprint anders sein?“
Sollten die Mitglieder jetzt verschiedene Probleme aufzählen, dann hilf ihnen, diese Probleme positiv in Ziele umzudeuten.
Du kannst dazu folgende Fragen nutzen:
- „Was möchtest du stattdessen?“
- „Wozu möchtest du, dass dieses Problem gelöst wird?“
Meiner Erfahrung nach beansprucht dieser Schritt in einer Sprint-Retrospektive einige Zeit.
Stufe 2: Funktionierendes beschreiben
Die Ziele aus Stufe 1 sind häufig sehr ambitioniert.
Somit besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass diese Ziele im nächsten Sprint auch erreicht werden können. Deshalb ist es hilfreich, zu sammeln, was bereits alles funktioniert.
Hierbei helfen die folgenden Skalierungsfragen:
„Auf einer Skala von 0 bis 10, wie weit haben wir dieses Ziel bereits erreicht? Dabei bedeutet 10, dass das Ziel erreicht ist; 0 bedeutet das Gegenteil. Wo stehen wir gerade? Was funktioniert bereits gut? Was zeigt, dass wir nicht mehr bei 0 sind, sondern bereits bei XYZ?“
Das Team hat erkannt, wo es bei der Zielerreichung momentan steht. Es weiß auch, was bereits funktioniert. Jetzt kannst du das Team bitten, nach konkreten Lösungsschritten zu suchen.
Stufe 3: Nächste Schritte planen
Bei der Suche nach praktikablen Lösungsschritten wende ich einen hilfreichen Trick an, den ich von Marc Kaufmann gelernt habe.
Das Ziel stellt auf der Skala eine 10 dar. Nehmen wir an, das Team hat sich auf der letzten Stufe der Pyramide darauf geeinigt, dass sie bereits bei Y sind. Dann stelle deinem Team diese Fragen:
- „Angenommen, ihr seid jetzt bei Y+1 – wie könntet ihr das geschafft haben?“
- „Woran erkennen wir im nächsten Sprint, dass wir nun bei Y+1 sind?“
Die Antworten auf diese Fragen liefern die Verbesserungen für den nächsten Sprint. Sie machen sie gleichzeitig konkret und messbar.
Stufe 4: Zuversicht prüfen
Um die Umsetzungswahrscheinlichkeit zu erhöhen, empfehlen Veronika und Ralph eine Maßnahme. Sie berücksichtigen bestehende Zweifel. Am Ende jedes lösungsfokussierten Gesprächs raten sie dazu, die Zuversicht zu prüfen.
Ich nutze in der Retrospektive dazu folgende Frage:
„Auf einer Skala von 0 bis 5, wie zuversichtlich sind wir, dass wir diese Verbesserung im nächsten Sprint umsetzen können?“
Wenn die Zuversicht hoch ist, ist die Sprint-Retrospektive beendet. Ist die Zuversicht eher gering, dann bedeutet dies für dich, zurück zu Schritt 1 zu gehen. Diese Situation bietet nach Ansicht von Veronika und Ralph auch eine Chance:
„Eine niedrige Zuversicht am Ende eines Prozesses ist auf den ersten Blick unerwartet und daher unangenehm. Bei näherer Betrachtung jedoch eröffnet diese neue Form der Offenheit viele Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Zusammenarbeit.“
Wenn du als Scrum Master als Coach auftreten möchtest, dann bietet die Lösungspyramide ein einfaches Werkzeug, um deine Coaching-Gespräche im Team zu strukturieren.
Möchtest du mehr über die Lösungspyramide erfahren? Dann empfehle ich dir das Buch „Agile Teams lösungsfokussiert coachen“ von Veronika und Ralph. Es liefert dir auch Tipps, wie du mit Konflikten umgehen und Einzelcoachings durchführen kannst. Und das Beste: Es ist so praxisnah geschrieben, dass du die Inhalte sofort im nächsten Gespräch nutzen kannst.
Wie soll es weitergehen?
- Im ersten Teil der Artikelreihe „Coaching-Haltung für Scrum Master“ habe ich fünf essenzielle Fragen vorgestellt. Diese Fragen können dir als Scrum Master helfen. Sie haben mir geholfen, Blockaden zu lösen und den Lösungsraum zu öffnen.
- Im zweiten Teil habe ich dir fünf essenzielle Fertigkeiten gezeigt. Diese zielen darauf ab, wie du Selbstorganisation, Motivation und Eigenverantwortung im Team fördern kannst. Als Coach kannst du sie anwenden.
- Heute habe ich dir ein Vorgehen verraten, wie du Gespräche so strukturierst, dass sie konstruktiv sind.
- Wenn du noch tiefer ins Thema eintauchen willst, dann wirf einen Blick auf Marc Kaufmanns kostenlose Masterclass „Coaching Skills für Scrum Master und Product Owner: Vom Widerstand zur Kollaboration“