Die Gründe, warum Scrum Master im Team als Coach auftreten wollen, liegen auf der Hand:
Coaching unterstützt die Entwicklung von Selbstorganisation, Motivation und Engagement, Eigenverantwortung und Problemlösungsfähigkeit im Team, um nur einige der Vorzüge zu nennen.
Gleichzeitig finden es viele angehende Scrum Master (noch) schwierig, eine Coaching-Haltung einzunehmen. Ich gehörte lange auch zu diesen Scrum Mastern. Ich wusste nicht, wie ich mich absichtslos auf eine Situation einlassen sollte. Ich hatte Schwierigkeiten, mich auf die Bedürfnisse, Gefühle und Perspektiven der anderen voll einzulassen. Es fiel mir schwer, dem Team zu vertrauen, dass es ohne meine Expertise eine gute Entscheidung treffen würde. Ich fürchtete um meine Stellung im Team, wenn ich nicht als Scrum Experte auftrat.
In den letzten 10 Jahren habe ich viel von erfahrenen Coaches gelernt. Ich habe diese Erkenntnisse nach und nach in meine Arbeit als Scrum Master integriert. Heute möchte ich dir die fünf Fertigkeiten vorstellen. Diese haben mir am meisten dabei geholfen, in die Haltung eines Coaches zu schlüpfen.
Nutze sie, um die Haltung des Nicht-Wissenden einzunehmen.
Alles beginnt damit, dass du weniger redest und mehr …
Fertigkeit 1: Aktives Zuhören
... zuhörst. Dies klingt in der Theorie einfach.
In der Praxis fällt es uns schwer, irrelevante Gedanken zu unterdrücken. Dafür ist unser Gehirn nicht gemacht. Es versucht ständig, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen und zu bewerten. Diese „Überwachungsfunktion“ ist für unser Überleben wichtig. Wollen wir uns aber ablenkungsfrei auf eine Sache konzentrieren, ist sie eher hinderlich. Deshalb braucht es dafür dann eine aktive Handlung. Daher der Zusatz „aktiv“ in „aktives Zuhören“. Und dies müssen wir lernen. Manche Menschen besuchen dafür Meditationsseminare. Diese haben für mich nie funktioniert. Mir hilft dieses Mantra:
„Simon, pass auf! Gleich musst du das Gehörte noch mal Wort für Wort wiedergeben.“
Wenn du mehr darüber lesen willst, wie ich „aktives Zuhören“ gelernt habe, dann findest du hier meine Geschichte damit: „Warum aktives Zuhören kein Soft-Skill, sondern ein Hard-Skill ist (und wie Scrum Master diese wichtige Fähigkeit erlernen können)“.
Und manchmal solltest du als Scrum Master dann wirklich das Gesagte wiedergeben. Was uns zur nächsten Fertigkeit bringt:
Fertigkeit 2: Zusammenfassen
Um den gesamten Kontext einer Situation zu erfassen, ist es wichtig, dass sie uns in allen Details und Einzelheiten berichtet wird.
Gleichzeitig geht bei vielen Details der Kern der Situation schnell verloren. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Coach die gehörten Erfahrungen von Zeit zu Zeit kurz und prägnant zusammenfassen können. Dies hilft uns herauszufinden, ob wir den Kern der Situation verstanden haben. Und es signalisiert unserem Gegenüber, dass wir ganz bei ihm sind.
Hier drei Beispiele, wie du deine Zusammenfassung einleiten kannst:
- „Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann ...“
- „Bitte lass mich kurz wiederholen, was ich bisher gehört habe ...“
- „Wenn ich die Situation so zusammenfasse, beschreibt es dann ihren Kern ...?“
Wie gehen wir mit negativen Situationen um? Oder mit Situationen, in denen es scheinbar für den Coachee keinen Ausweg gibt? Hierbei kann dir die nächste Fertigkeit helfen:
Fertigkeit 3: Umdeuten
Im Wesentlichen bedeutet Umdeuten, in einer Situation einen möglichen Vorteil im vermeintlichen Nachteil zu erkennen.
Hier ein Beispiel:
Vor einigen Jahren hat mich der Product Owner unseres damaligen Teams angesprochen und gemeint, er sei mit der Zusammenarbeit zwischen ihm und Stefan unzufrieden. Stefan reagiere nicht auf seine Nachrichten in Teams.
Daraufhin fragte ich ihn:
„Wann wäre das Verhalten von Stefan nützlich?“
Er antwortete:
„Ich schalte Outlook und Teams nur ab, wenn ich mich wirklich auf eine Sache konzentrieren muss. Etwa gestern, als ich am PRD geschrieben habe.“
Was möchte ich dir mit diesem Beispiel verdeutlichen?
Umdeuten beruht auf der Annahme, dass jede Handlung, jedes Verhalten, jedes Gefühl seine Berechtigung hat. Und durch „Umdeuten“ befreist du die Handlung von der Situation und ermöglichst dadurch dem Coachee, eine neue Perspektive darauf einzunehmen. Dadurch hilfst du ihm auch, die Berechtigung zu erkennen.
Umdeuten geschieht durch das Stellen einer Frage, was ein Beispiel für die nächste Fertigkeit ist:
Fertigkeit 4: Fragen stellen
Die richtigen Fragen zu stellen, scheint eine Wissenschaft für sich zu sein.
Es gibt ganze Bücher, gefüllt mit Hunderten von Coaching-Fragen. Das liegt daran, dass es Hunderte von unterschiedlichen Situationen gibt, in denen sich der Coach befinden kann. Wie gehen wir als Scrum Master mit dieser Komplexität um?
Wir begegnen ihr mit Einfachheit.
Hier sind fünf einfache Fragen, die in jeder Situation helfen. Sie sind vielleicht nicht so spektakulär wie die Wunderfrage von Steve de Shazer:
„Stell dir vor, du wachst morgen auf und das Problem ist gelöst. Was hat sich verändert?“
Aber sie helfen zielsicher in jeder Situation. Hier meine „Top 5“ der Coaching-Fragen:
- Was noch?
- Wozu?
- Wozu? Wozu? Wozu?
- Was sollte stattdessen sein?
- Berichte mir bitte von einer Situation, in der das Problem weniger schlimm war.
Wenn du Beispiele zu diesen Fragen lesen willst, dann wirf einen Blick auf meinen Artikel: „Coaching-Haltung für Scrum Master: 5 essenzielle Fragen, um Blockaden zu lösen, den Lösungsraum zu öffnen und Zusammenarbeit zu ermöglichen“. Dort gehe ich auf alle Fragen im Detail ein.
Zum Schluss gibt es noch eine besondere Art von Fragen, die ich hervorheben möchte:
Fertigkeit 5: Prozess-Metafragen
Kommt dir eine der folgenden Situationen bekannt vor?
- Manchmal fallen dir keine Fragen ein, die du stellen kannst, um das Team bei der Lösung seiner Herausforderung einen Schritt weiter zu begleiten.
- In einer Sprint-Retrospektive bist du unsicher, wie du jetzt weiter verfahren sollst.
- Das Gespräch läuft schon seit geraumer Zeit und du wünschst dir eine kurze Rückmeldung, ob es für alle Beteiligten wertvoll ist.
In diesen Situationen hilft es mir, eine Frage zum Prozess zu stellen.
Hier einige Beispiele:
- Was könnten wir uns noch fragen, um eine neue Idee zu entwickeln?
- Welche Methode, Technik oder Frage würde uns jetzt helfen, um einen Schritt weiter zu kommen?
- Wie empfindet ihr das Gespräch bisher?
Die Antworten geben mir Ideen und Impulse, wie sich das Gespräch weiterentwickeln kann.
Für mich sind Prozess-Metafragen ein Beispiel dafür, dass wir als Scrum Master die Haltung des Nicht-Wissenden eingenommen haben.
Wenn du als Scrum Master als Coach auftreten willst, dann bist du hiermit deinen ersten Schritt gegangen.
Der nächste Schritt besteht darin, diese Fertigkeiten in Einzel- und Gruppengesprächen anzuwenden und dich dabei kontinuierlich zu verbessern.
Wenn du noch unschlüssig bist, wie du beginnen sollst, und deshalb nach einer sicheren Umgebung suchst, diese Fertigkeiten zu üben und Feedback zu erhalten, dann empfehle ich dir den Besuch meiner nächsten „Professional Scrum Master – Advanced“-Schulung. Dort hast du zwei Tage lang die Möglichkeit, alle Fertigkeiten, die einen Scrum Master als Coach auszeichnen, zu üben.
Mehr noch: Der Besuch ist eine Investition in deine Karriere als Scrum Master. Denn nur 5 % aller Scrum Master weltweit führen das Zertifikat „Professional Scrum Master 2“.